Evan nickte wissend. Wir gingen weiter.
Schließlich kamen wir zu einer breiteren Stelle, wo ein Querschlag nach rechts abzweigte. Eine weitere Gruppe Afrikaner versammelte sich dort, zog Jacken an und wurde auf einer Liste abgehakt.
«Sie haben ihre Schicht beendet«, sagte Losenwoldt auf seine knappe Art, zähneknirschend.»Ihre Namen werden abgehakt, um zu gewährleisten, daß keiner von ihnen mehr unter Tag ist, wenn wir sprengen.«
«Sprengen, lieber Junge?«sagte Conrad zerstreut.
Der Fachmann beäugte ihn mit Mißfallen.»Der Fels muß gesprengt werden. Man bekommt ihn nicht mit Pik-keln los.«
«Aber ich dachte, das sei eine Goldmine, mein Junge. Man muß doch wohl nicht sprengen, um Gold abzubauen? Da gräbt man doch Kies aus und siebt das Gold heraus.«
Losenwoldt sah ihn fast verächtlich an.»In Kalifornien und Alaska und an einigen anderen Orten mag das der Fall sein. In Südafrika ist das Gold nicht sichtbar. Es steckt in winzigen Partikeln im Gestein. Man muß das goldhaltige Gestein heraussprengen, es an die Oberfläche bringen und zahlreichen Verfahren unterwerfen, um das Gold zu ge-winnen. In dieser Mine muß man drei Tonnen Gestein heben, um eine Unze reines Gold zu erhalten.«
Ich glaube, daß es uns allen die Sprache verschlug. Danilo fiel richtig die Kinnlade herunter.
«In einigen Minen hier auf dem Goldfeld von Oden-daalsrus«, fuhr Losenwoldt fort, anscheinend ohne unsere Verblüffung zu bemerken,»braucht man nur anderthalb Tonnen zu fördern, um eine Unze zu gewinnen. Das sind natürlich die ergiebigsten Minen. Andere benötigen mehr als wir: dreieinhalb bis vier Tonnen.«
Roderick schaute sich um.»Und das ganze Gold ist hier abgebaut worden? Und da, wo wir herkommen?«
Jetzt wurde ihm der mitleidig-verächtliche Blick zuteil.
«Dieser Stollen führt nicht durch goldhaltiges Gestein. Er ermöglicht uns nur, an das goldführende Gestein in diesem Teil der Mine heranzukommen. Es findet sich erst ab dreizehnhundert Metern Tiefe.«
«Ach du lieber Gott«, sagte Conrad und sprach für uns alle.
Losenwoldt leierte widerwillig seinen Vortrag herunter, doch sein Publikum war gefesselt.
«Das Reef — so heißt das goldhaltige Gestein — ist nur eine dünne Schicht. Sie verläuft abschüssig von Norden unter Welkom durch nach Süden, wo sie am mächtigsten ist. Das Reef erstreckt sich etwa acht Meilen von Ost nach West und etwa vierzehn von Nord nach Süd, aber mit unregelmäßigen Begrenzungen. Es ist nirgends mehr als einen Meter mächtig und in dieser Mine im Durchschnitt 33 Zentimeter.«
Er erntete eine Menge wahrhaft erstaunter Blicke, aber nur Danilo hatte eine Frage.
«Ich nehme doch an, das lohnt sich«, meinte er zwei-felnd.»Die ganze Arbeit und die Technik, um an so ein bißchen Gold zu kommen.«
«Es muß sich wohl lohnen, sonst wären wir nicht hier«, sagte Losenwoldt in vernichtendem Ton, und zumindest für mich klang das nach Unkenntnis der Gewinnziffern des Unternehmens. Aber es zahlte sich bestimmt aus, überlegte ich, sonst würde van Horen nicht in einem kleinen Palast wohnen.
Niemand sonst sagte etwas. Selten war zwangloses Geplauder so resolut unterbunden worden. Und Evans angeborene Neigung, stets das Kommando zu übernehmen, war ernstlich beeinträchtigt; hatte er im Aufzug schon ängstlich gewirkt, so schien es jetzt, als litte er am meisten von uns allen unter dem Gedanken an die Millionen Tonnen Gestein, deren Druck direkt auf uns lastete.
«Also gut«, sagte Losenwoldt voller Genugtuung darüber, daß er dem Fußvolk den Mund gestopft hatte.»Schalten Sie jetzt bitte Ihre Grubenlampen an. Da drin gibt es kein Licht mehr. «Er wies in den Querschlag.»Wir wollen uns ansehen, wie der Streckenbau vorangeht.«
Er stiefelte los, ohne zu kontrollieren, ob wir alle hinter ihm waren, aber wir folgten ihm, wenngleich Evan einen Blick zurück in Richtung Schacht warf, der einem vorsichtigeren Führer nahegelegt hätte, nicht zuviel als selbstverständlich zu betrachten. Der Stollen verlief eine Zeitlang gerade und bog dann nach rechts ab. Als wir uns der Ecke näherten, hörten wir ein zunehmend lautes Dröhnen, das sich hinter der Biegung noch erheblich steigerte.
«Was ist das für ein Lärm?«fragte Evan mit einer Stimme, die noch frei von akuter Angst war.
Losenwoldt sagte über seine Schulter hinweg:»Teils die Belüftung, teils die Bohrungen«, und ging weiter. Die in
Abständen angeordnete Glühbirnenbeleuchtung endete. Das Licht an unseren Helmen zeigte den Weg.
Plötzlich erkannten wir einen fernen, hellen Schein, weit vor dem Licht, das wir selbst aussandten. Bei genauerem Hinsehen löste der Schein sich in drei einzelne Grubenlampen auf, die in die gleiche Richtung leuchteten wie unsere, aber diese Lampen strahlten nur massiven Fels an. Wir kamen ans Ende des Stollens.
Die Wände waren an dieser Stelle nicht mehr beruhigend weiß angemalt und mit einem roten Strich versehen, sondern hatten das gleichförmige dunkle Grau des Felsgesteins. Irgendwie unterstrich das noch, wie fantastisch es war, sich so tief in die unberührte Erdkruste hineinzugraben, auf der Suche nach unsichtbarem gelbem Staub.
Die Luftleitung endete jäh, und die Druckluft strömte röhrend aus der Öffnung. Weiter hinten gewann der Bohr-lärm die Oberhand, ein Angriff auf das Trommelfell wie eine Handvoll entfesselte Diskotheken.
Drei Bergleute standen auf einer hölzernen Plattform und bohrten nahe der zweieinhalb Meter hohen Decke ein Loch in den Fels. Unsere Lampen beschienen den Schweiß auf ihrer dunklen Haut und reflektierten auf den Unterhemden und dünnen Hosen, die sie anstelle der dik-ken weißen Overalls ihrer Kollegen trugen.
Der Krach kam ebensosehr von einem Kompressor, der auf dem Boden stand, wie von dem Bohrer selbst. Wir schauten eine Weile zu. Evan wollte etwas fragen, aber nur jemand, der von den Lippen lesen konnte, hätte ihn verstanden.
Schließlich gab Losenwoldt, indem er den Kopf schwenkte, mit verkniffenem Mund das Zeichen zur Umkehr. Wir folgten ihm und waren froh, daß der Druck auf unseren Ohren nachließ. Ich ging am Schluß und knipste da, wo die Luftleitung endete, für einen Moment meine Lampe aus und blickte zurück. Drei Männer auf einem Gerüst, vertieft in ihre Arbeit, eingehüllt in Lärm und beleuchtet nur von den Glühwürmchen auf ihren Häuptern. Wenn ich mich abwandte und weiterging, würde das ur-zeitliche Dunkel sie wieder völlig umschließen. In meiner Phantasie kamen sie mir vor wie ein Trupp fleißiger Teufel, die sich zum Höllenfeuer durchgruben.
Wieder zurück in dem breiteren Abschnitt, setzte Losenwoldt unsere Unterweisung fort.
«Sie bohren Löcher von ungefähr zwei Metern, mit Hartmetallbohrern. Das«- er zeigte mit dem Finger —»sind die Bohrer.«
Wir sahen in die Richtung, in die er wies. Die waagerecht gestapelten, zwei Meter langen Geräte an der Stollenwand hatten zuerst eher wie ein Haufen unbenutzter Leitungsrohre ausgesehen; aber es waren dickwandige Bohrstangen von etwa sechs Zentimetern Durchmesser, jede mit einer Spitze aus glänzendem Wolframstahl.
«Die Bohrer müssen jeden Tag zum Schleifen nach oben gebracht werden.«
Wir nickten wie weise alte Eulen.
«Die drei Männer sind mit dem Bohren für heute fast fertig. Sie haben zahlreiche Löcher in die Ortsbrust getrieben. Jedes Loch wird mit einer Ladung Sprengstoff gefüllt, und nach der Sprengung wird das losgebrochene Gestein entfernt. Dann kehren die Driller zurück, und der Vorgang beginnt von neuem.«
«Wieviel Streckenmeter schaffen sie am Tag?«fragte Roderick.
«Zweieinhalb pro Schicht.«
Evan lehnte sich gegen die Felswand und fuhr sich mit der Hand über eine Stirn, so feucht, daß selbst Clifford Wenkins sie nicht hätte übertreffen können.
«Verwenden Sie gar keine Abstützungen?«sagte er.
Losenwoldt nahm die Frage wörtlich und erkannte nicht die Furcht, die dahintersteckte.