«Natürlich nicht. Wir treiben ja die Strecke nicht durch Erdreich, sondern durch Grundgestein. Es besteht keine Gefahr, daß der Stollen einstürzt. Hin und wieder fällt mal eine gelockerte Felsplatte von der Decke oder von der Wand. Das passiert meistens in frisch gesprengten Bereichen. Sehen wir solch lockeres Gestein, holen wir es nach Möglichkeit gleich runter, um Unfällen vorzubeugen.«
Evan sah keineswegs beruhigt aus. Er kramte sein Taschentuch hervor und wischte sich das Gesicht.
«Womit sprengen Sie?«fragte Danilo. Losenwoldt mochte ihn noch immer nicht und gab keine Antwort. Roderick, den es ebenfalls interessierte, stellte die gleiche Frage.
Losenwoldt unterdrückte ostentativ einen Seufzer und antwortete abgehackter denn je.»Wir nehmen Dynagel. Das ist ein schwarzes Pulver. Es wird in verschlossenen roten Behältern gelagert, die an der Stollenwand befestigt sind.«
Er zeigte auf einen, der ein Stück weiter vorn hing. Ich war an zwei oder drei vorbeigelaufen, Vorhängeschloß und alles, ohne mir Gedanken über ihren Zweck zu machen.
Danilo sagte sarkastisch zu Roderick:»Fragen Sie ihn mal, was passiert, wenn sie sprengen«, und Roderick tat es. Losenwoldt zuckte die Achseln.»Was glauben Sie wohl? Aber keiner sieht die Sprengung. Alles verläßt die Mine, bevor die Ladungen gezündet werden. Nach der Sprengung fährt vier Stunden lang keiner ein.«
«Wieso nicht, mein Junge?«wollte Conrad wissen.
«Staub«, sagte Losenwoldt knapp.
«Wann bekommen wir das Golderz zu sehen — das Reef?«fragte Danilo.
«Gleich. «Losenwoldt wies in die Verlängerung des Hauptstollens.»Weiter vorn wird es sehr heiß. Da kommt ein Abschnitt ohne Belüftung. Danach gibt es dann wieder Luft. Lassen Sie Ihre Lampen an; Sie werden sie brauchen. Passen Sie auf, wo Sie langgehen. Der Boden ist stellenweise uneben. «Er klappte den Mund zu und marschierte wie zuvor mit dem Rücken zu uns los.
Wieder gingen wir hinterher.
Ich sagte zu Evan:»Alles in Ordnung?«, was ihn so aufregte, daß er den Rücken straffte und sagte, selbstverständlich sei alles in Ordnung — hielt ich ihn vielleicht für blöd?
«Nein«, sagte ich.
«Na also. «Er zog entschlossen an mir vorbei, um näher an die Perlen heranzukommen, die Losenwoldt uns hinwarf, und ich bildete wieder den Schluß.
Die Hitze weiter vorn war stark, aber trocken, so daß man sie zwar spürte, aber nicht in Schweiß geriet. Der Stollen wurde jetzt holprig — unebene Wände, aufgerissener Boden, kein Licht, keine Markierungslinien; außerdem führte er allmählich bergab. Wir stapften auf dem kiesigen, knirschenden Untergrund voran.
Je weiter wir kamen, desto mehr Aktivität begegnete uns. Überall waren mit Werkzeugen ausgerüstete Männer in weißen Overalls zugange, und das Geleucht an ihren Helmen strahlte die konzentrierten Gesichter ihrer Gegenüber an. Die Helmschilder warfen oft ein dunkles Schattenband über die Augen der Leute, und ein paarmal mußte ich den vor mir gehenden Roderick antippen, damit er sich umdrehte und ich sehen konnte, ob ich noch dem richtigen Mann folgte.
Am Ende des heißen Abschnitts war es, als käme man direkt in die Arktis. Losenwoldt blieb stehen und beratschlagte kurz mit zwei anderen jungen Bergleuten, die sich dort unterhielten.
«Wir werden uns jetzt trennen«, sagte er schließlich.»Sie beide gehen mit mir. «Er wies auf Roderick und Evan.»Sie beide mit Mr. Anders. «Er teilte Conrad und Danilo einer dickeren Ausgabe seiner selbst zu.»Sie«- er wies auf mich —»mit Mr. Yates.«
Yates, jünger als die anderen, war unsicher und unterwürfig, was niemandem half, und hatte einen leichten Sprachfehler wie von einer Gaumenspalte. Er schenkte mir ein nervös zuckendes Lächeln und sagte, es mache mir hoffentlich nichts aus, aber er sei es nicht gewohnt, Leute herumzuführen, das sei normalerweise nicht seine Aufgabe.
«Um so netter, daß Sie es tun«, sagte ich beschwichtigend.
Die anderen entfernten sich in zwei kleinen Grüppchen und waren bald in dem allgemeinen Gedränge weißer Overalls verschwunden.
«Dann kommen Sie mal.«
Wir gingen weiter durch den Stollen. Ich fragte meinen neuen Führer, wie stark das Gefälle sei.
«Rund fünf Prozent«, sagte er. Danach aber verfiel er in Schweigen, und ich schätzte, wenn ich sonst noch etwas wissen wollte, mußte ich schon fragen. Yates kannte nicht den Rundführungstext wie Losenwoldt, der rückblickend gar nicht so übel erschien.
Hin und wieder tauchten in der linken Wand Löcher auf, hinter denen offenbar ein großer Hohlraum lag.
«Ich dachte, der Stollen läuft durch massiven Fels«, bemerkte ich.»Was sind das dann für Löcher?«»Oh… wir sind jetzt im Reef. Aus dem Abschnitt da hinter der Wand ist das Reef weitgehend abgebaut worden… gleich kann ich Ihnen das besser zeigen.«
«Das Reef hat also ein Gefälle von fünf Prozent?«fragte ich.
Er wunderte sich über die Frage.»Natürlich«, sagte er.
«Und der Querschlag, der da hinten gebohrt wird, wo führt der hin?«
«In einen anderen Teil des Reefs.«
Ja. Blöde Frage. Das Reef erstreckte sich buchstäblich meilenweit. Der Abbau der Goldader mußte ungefähr so sein, wie wenn man eine dünne Scheibe Schinken aus einem dicken Sandwich herausholt.
«Was geschieht, wenn das ganze Reef abgebaut ist?«fragte ich.
«Das sind doch riesige Bereiche und nichts, was die darüberliegenden Gesteinsschichten trägt.«
Er antwortete durchaus bereitwillig.»Wir entfernen nicht sämtliche Stützen. Zum Beispiel sind die Stollenwände ja dick, trotz der Löcher, die der Sprengung und dem Belüften dienen. Sie tragen das Hangende in dem ganzen Gebiet hier. Irgendwann natürlich, wenn die Grube ausgeschöpft und stillgelegt ist, werden sich die Gesteinsschichten nach und nach setzen. Der größte Teil von Johannesburg soll sich um etwa einen Meter gesenkt haben, als die darunterliegenden Schichten nach dem Abtragen des ganzen Reefs zusammengesunken sind.«
«In den letzten Jahren?«fragte ich erstaunt.
«Aber nein. Das ist lange her. Die Rand-Goldfelder liegen näher an der Oberfläche, und dort begann der Abbau zuerst.«
Leute schafften Hartmetallbohrer den Stollen hinauf, und andere passierten uns in der Gegenrichtung.
«Wir bereiten die Sprengung vor«, sagte Yates ungefragt.»Die Bohrarbeiten sind beendet, und die Techniker legen die Ladungen an.«
«Dann bleibt uns nicht mehr viel Zeit«, sagte ich.
«Wahrscheinlich nicht.«
«Ich würde gerne sehen, wie am Reef selbst gearbeitet wird.«
«Oh… ja. Dann noch ein Stück hier entlang. Ich bringe Sie zum nächsten Abbau. Weiter unten sind noch mehr.«
Wir kamen zu einem verhältnismäßig großen Loch in der Wand. Es reichte vom Boden gut anderthalb Meter hinauf, aber man konnte nicht aufrecht durchgehen, da es innen steil nach oben anstieg.
Er sagte:»Achten Sie auf Ihren Kopf. Es ist sehr niedrig da drin.«
«Okay«, sagte ich.
Er bedeutete mir, vor ihm hineinzuklettern, und ich tat es. Der Hohlraum war etwa einen Meter hoch, erstreckte sich jedoch nach beiden Seiten außer Sicht. Eine Menge Schinken war bereits aus diesem Teil des Sandwiches verschwunden.
Statt über festen Felsboden kletterten wir jetzt über ein Bett von scharfkantigen Steinsplittern, die klirrend unter unseren Füßen wegrutschten. Ich kroch ein Stück in die flache Höhle hinein und wartete auf Yates. Er war dicht hinter mir und sah nach rechts, wo einige Männer weiter unten an einem zehn Meter langen, gewölbten Abschnitt der vorderen Wand arbeiteten.
«Sie prüfen noch mal die Sprengladungen«, sagte Yates.»Bald werden alle rausgehen.«
«Das lose Zeug, auf dem wir liegen«, sagte ich,»ist das das Reef?«»Oh… nein, nicht direkt. Das sind nur Steinsplitter. Sehen Sie, das Reef lag etwa auf halber Höhe der Strosse.«
«Was heißt Strosse?«
«Entschuldigung. Strosse ist das, wo wir jetzt drin sind. Der Ort, an dem das Reef entnommen wird.«