«Conrad«, rief ich aus. Ich hatte gedacht, es handele sich um Evan.»Was ist mit ihm?«
«Ich glaube, er hatte einen Asthmaanfall. Jedenfalls sind wir hin und haben ihn gefragt, und er sagte, Sie seien nicht mit ihm raufgekommen.«
«Oh«, sagte ich tonlos. Wäre ich bei ihm gewesen, wäre ich sicher mit ihm hochgefahren, aber ich hatte ihn ja nicht mehr gesehen, seit wir uns vor dem Reef getrennt hatten.
Wir kamen zu den Förderwagen und stiegen ein. Sehr viel Platz bei nur fünf Leuten statt zwölf.
«Der, dem nicht gut war«, meinte Losenwoldt tugendhaft,»der Kräftige mit dem Hängeschnurrbart, der war nicht bei mir. Wäre er bei mir gewesen, hätte ich ihn natürlich zu den Wagen zurückbegleitet, und dann hätte ich natürlich gewußt, daß Sie nicht bei ihm waren.«
«Natürlich«, sagte ich trocken.
Wir ratterten durch den Stollen zum Fuß des Schachts und von dort, nach dem Austausch der Klingelzeichen, im Förderkorb durch eine Dreiviertelmeile Fels hinauf ans Sonnenlicht. Die Helligkeit tat im ersten Moment weh, und es war so kalt, daß ich zu zittern anfing.
«Jacke«, rief einer von meinen Begleitern.»Wir hatten eine Decke mit runtergenommen — die hätten wir Ihnen umlegen sollen. «Er eilte in ein kleines Gebäude beim Schacht und kam mit einer abgetragenen TweedSportjacke wieder, in die er mir hineinhalf.
Ein besorgt aussehendes Empfangskomitee stand herum: Evan, Roderick, Danilo und van Horen selbst.
«Mein lieber Freund«, sagte er und starrte mich an, als wolle er sich vergewissern, daß ich wirklich da war.»Was soll ich sagen?«
«Um Himmels willen«, sagte ich,»das war doch meine eigene Schuld, und es tut mir schrecklich leid, daß ich so viel Aufregung verursacht habe. «Van Horen sah erleichtert aus und lächelte, genau wie Evan, Roderick und Danilo. Ich drehte mich nach den drei Unbekannten um, die mich heraufgeholt hatten; Losenwoldt war bereits fort.»Danke«, sagte ich.»Herzlichen Dank.«
Sie grinsten alle.»Wir möchten eine Belohnung.«
Bestimmt sah ich verdutzt aus. Ich fragte mich, was angemessen wäre. Wieviel.
«Ihr Autogramm«, erklärte einer von ihnen.
«Oh. «Ich lachte.»Okay.«
Er holte einen Notizblock hervor, und ich schrieb jedem ein Dankeschön, auf drei getrennte Seiten. Ein wirklich guter Preis, dachte ich.
Der Grubenarzt tupfte Staub von der Wunde an meinem Kopf und sagte, sie sei nicht tief, nichts Ernstes, sie brauche nicht genäht zu werden und verbunden auch nur, wenn ich’s wollte.
«Nein, danke«, sagte ich.
«Alles klar. Dann nehmen Sie mal die Tabletten hier. Damit Sie keine Kopfschmerzen bekommen.«
Ich nahm sie gehorsam. Holte Conrad, der jetzt wieder normal atmete, nebenan aus einem Ruheraum und ging mit ihm, nachdem man uns den Weg erklärt hatte, zum Mittagessen ins Kasino. Unterwegs tauschten wir sozusagen unsere Krankengeschichten aus. Keiner von uns war zufrieden mit sich.
Wir fünf aßen mit Quentin van Horen und zwei leitenden Angestellten, deren Namen ich nie erfuhr, an einem Tisch. Mein knappes Entkommen wurde von allen immer wieder durchgekaut, und ich sagte mit Nachdruck zu Roderick, daß ich ihm sehr verbunden wäre, wenn er mein Mißgeschick nicht an die große Glocke hängen würde.
Er grinste.»Klar… Das gäbe auch viel mehr her, wenn Sie in die Luft geflogen wären. Ein Kontrolleur, der ordentlich seine Arbeit macht, hat wenig Nachrichtenwert.«
«Gott sei Dank«, sagte ich.
Conrad sah mich an.»Aber es ist doch wie verhext mit Ihnen in Südafrika, mein lieber Junge. Schon zum zweitenmal innerhalb einer Woche wären Sie fast umgekommen.«
Ich schüttelte den Kopf.»Nicht wie verhext. Ganz im Gegenteil. Ich habe zweimal überlebt. Betrachten Sie’s mal so.«
«Nur noch sieben Leben übrig«, sagte Conrad.
Die Rede kam wieder aufs Gold. Das war in Welkom wohl immer so, genau wie in Newmarket jeder von Pferden spricht.
«Sagen Sie, wie zieht man das denn aus dem Stein?«wollte Danilo wissen.»Man sieht es ja nicht mal.«
Van Horen lächelte nachsichtig.»Danilo, das ist ganz einfach. Man zerkleinert und zermahlt das Gestein zu einem Pulver. Man gibt Kaliumzyanid hinzu, das die Goldpartikel löst. Man gibt Zink zu, das die Goldpartikel bindet. Dann wäscht man die Säure aus. Danach trennt man Zink und Gold wieder mit Königswasser, und schließlich hat man das Gold.«»O ja, ganz einfach«, stimmte Conrad zu.»Junge, Junge.«
Van Horen erwärmte sich für ihn und lächelte vor Vergnügen.
«Das war eigentlich noch nicht alles. Man muß das Gold noch verfeinern — die Unreinheiten entfernen, indem man es bei größter Hitze schmilzt und es in Barren gießt. Die Rückstände fließen ab, und man erhält das reine Gold.«
Danilo rechnete schnell.»Sie müssen ungefähr dreitausendfünfhundert Tonnen Gestein aus der Mine holen, um einen einzigen kleinen Barren zu kriegen.«
«Richtig«, stimmte van Horen lächelnd zu.»Plus oder minus ein paar Tonnen.«
«Wieviel fördern Sie in der Woche?«fragte Danilo.
«Etwas über vierzigtausend metrische Tonnen.«
Danilos Augen flackerten, als er nachrechnete.»Das wären, ehm… etwa elfeinhalb Goldbarren pro Woche.«
«Möchten Sie einen Job in der Rechnungsabteilung, Danilo?«fragte van Horen ziemlich belustigt.
Aber Danilo war noch nicht fertig.»Jeder Barren wiegt zweiundsiebzig Pfund, ja? Dann ergibt das… Moment… rund achthundert Pfund Gold die Woche. He, und wie steht der Goldpreis je Unze? Mensch, da ist man wirklich im richtigen Geschäft. Super!«Er war jetzt wieder sehr aufgedreht, erfüllt von einer starken inneren Erregung, die seine Augen glänzen ließ. Ein Hang zum Geldverdienen und die Rechnerei, die nötig war, um die Erbschaftssteuer zu umgehen, das schien mir genau zusammenzupassen.
Van Horen sagte, immer noch lächelnd:»Sie vergessen die Löhne und Gehälter, die Unterhaltskosten und die Aktionäre. Es bleiben nur Krümel übrig, wenn alle sich ihren Anteil geholt haben.«
Danilos sich verziehender Mund zeigte, daß er das nicht glaubte. Roderick reckte eine orange Manschette aus dem braunen Wildlederärmel und legte einen halben Zentner Tigerauge frei, der als Manschettenknopf diente.
«Dann gehört Ihnen die Mine also nicht ganz allein, Quentin?«
Die leitenden Angestellten und van Horen selbst lächelten nachsichtig über Rodericks Naivität.
«Nein«, sagte van Horen.»Meine Familie besitzt das Land und die Abbaurechte. Von daher gehört uns das Gold wohl auch. Aber man braucht enormes Kapital, viele Millionen Rand, um einen Schacht niederzubringen und die ganze Grubenanlage zu bauen. Vor etwa fünfundzwanzig Jahren haben mein Bruder und ich eine Gesellschaft gegründet, um Kapital für die Bohrarbeiten aufzutreiben, und so hat die Firma Hunderte von Aktionären.«
«Die Mine sieht nicht so aus, als wäre sie fünfundzwanzig Jahre alt«, wandte ich freundlich ein.
Van Horen richtete seine lächelnden Augen auf mich und erklärte weiter.
«Der Teil, den Sie heute morgen gesehen haben, ist die neueste Strecke und die tiefste. Es gibt andere, die höher liegen. In früheren Jahren haben wir alle oberen Bereiche des Reefs abgebaut.«
«Und es ist immer noch viel übrig?«
Van Horens Lächeln hatte die Unbeschwertheit dessen, dem es nie an einem Tausender fehlen würde.»Es wird Jonathan überdauern«, sagte er.
Evan fand die technische und wirtschaftliche Seite weniger interessant als den Zweck und warf die Arme in die Luft, während er mit seinen wilden Augen reihum die Blicke der anderen festhielt und eindringlich wie gewohnt das Wort ergriff.
«Aber wozu ist Gold gut? Das ist die Frage, die wir uns stellen sollten. Die jeder sich stellen sollte. Welchen Sinn hat es? Alle strengen sich so an, um es zu kriegen, und bezahlen es so teuer, und dabei gibt es keine richtige Verwendung dafür.«