Ich drehte eine Übungsrunde, verfuhr mich, kaufte einen Stadtplan und fand wieder zurück. Der Wagen war bergauf etwas schwach, aber sehr kurvengängig: ein Auto für den Sonntagsnachmittagsausflug mit Großmama und ihrem feschen Hut.
Kapitel 12
Der Stadtplan und das Auto brachten mich zu Rodericks Wohnung, als es gerade dunkel wurde.
Ich testete die Bremsen, ehe ich losfuhr, da der Wagen stundenlang unbewacht auf dem Parkplatz gestanden hatte. Natürlich waren sie in Ordnung. Ich bespöttelte mich selbst dafür, daß ich so zickig war.
Rodericks Wohnung lag im sechsten Stock.
Sie hatte einen Balkon.
Roderick lud mich als erstes ein, mit rauszukommen und mir die Aussicht anzuschauen.
«Es ist fantastisch abends um diese Zeit«, sagte er,»wenn überall die Lichter angehen. Tagsüber sind es zu viele Fabriken und Straßen und Bergwerkshalden, wenn man nicht gerade eine Schwäche für Industrie und Wirtschaft hat… Und bald ist es schon zu dunkel, um in der Dämmerung noch Konturen zu erkennen.«
Ich blieb unwillkürlich in der Tür stehen.
«Kommen Sie«, sagte er.»Haben Sie Höhenangst?«
«Nein.«
Damit trat ich hinaus, und die Aussicht wurde seiner Ankündigung gerecht. Der Balkon ging nach Süden: Geradeaus vor uns schwebte das drachenförmige Kreuz des Südens schräg am Himmel, und orangerote Lichter erstreckten sich wie eine Kette auf der Autobahn in Richtung Durban.
Roderick lehnte sich nicht an die löchrige Schmiedearbeit, die den Balkon einfaßte. Innerlich fröstelnd, während ich mich zugleich ermahnte, nicht so ein Affe zu sein, hielt ich mich näher am Haus als Roderick. Ich fühlte mich schuldig, weil ich ihm mißtraute, konnte ihm aber dennoch nicht trauen und erkannte, wie zersetzend Argwohn war.
Wir gingen hinein. Natürlich gingen wir hinein. Unversehrt. Ich spürte, wie sich in meinem Kinn und meinem Bauch Muskeln entspannten, von denen ich gar nicht gewußt hatte, daß sie angespannt waren. Blödmann, dachte ich und versuchte die Tatsache auszublenden, daß sowohl bei dem Mikro- wie bei dem Minenunglück Roderick dabeigewesen war.
Seine Wohnung war klein, aber wie vorauszusehen effektvoll eingerichtet. Ein schwarzer Sitzsack lungerte auf einem hell olivgrünen Teppichboden; aus khakifarbenen Wänden sprossen wuchtige Messingleuchten zwischen großen minimalistischen Gemälden in herausfordernd knalligen Farben; ein niedriger Glastisch stand vor einem kastenförmigen Sofa aus imitiertem Tigerfell; und eine Andy Warhol nachempfundene Bierdose, hüfthoch, schmückte eine Ecke. Ausgesprochen modisch, das Ganze; wie sein Besitzer vermittelte es den Eindruck, daß extrem sein alles ist, Mann, und wenn du nicht so abgefahren bist wie möglich, dann kannst du dich gleich begraben lassen. Es schien eine ausgemachte Sache, daß er Pot rauchte.
Natürlich hatte er eine teure Stereoanlage. Die Musik, die er auflegte, war weniger untergründig, als sie in London zu bekommen war, aber die Mischung aus Anarchie und Selbstmitleid kam in den näselnden Stimmen trotzdem deutlich rüber. Ich fragte mich, ob das nur mit zum Image gehörte oder ob es ihm wirklich gefiel.
«Was zu trinken?«bot er an, und ich sagte ja, gern.
Campari und Soda, bittersüßes rosa Zeug. Er sah es als selbstverständlich an, daß mir das recht war.
«Katya wird bald kommen. Sie hatte irgendwelche Aufnahmen.«
«Geht es ihr wieder gut?«
«Klar «sagte er.»Hundertprozentig. «Er spielte die Erleichterung herunter, doch ich erinnerte mich an sein Entsetzen, seine Tränen; es lebten noch echte Gefühle hinter der Schicki-Fassade.
Er trug wieder ein Paar wie auf die Haut geklebte Hosen und dazu ein tailliertes blaues Rüschenhemd mit Schnür-bändern statt Knöpfen. Ein Outfit, so prägnant und plakativ wie Straßenschilder: der wilde Mann im Balzkleid. Meine eigene Kleidung machte wohl auch eine Aussage, denn genaugenommen tut das jede.
Katyas Aussage war klar wie ein Trompetenstoß und lautete:»Schaut mich an.«
Sie wehte herein wie eine Brise frischfröhliches Showgeschäft, in einem umwerfenden gelben Overall, dessen Beine unter den Knien zu weit ausgestellten, schwarz geränderten Rüschen wurden. Sie sah aus wie eine zweigeteilte Flamencotänzerin, und sie krönte diesen Eindruck mit einem hohen Schildpattkamm, den sie wie eine Tiara in ihren Wuschelkopf gesteckt hatte.
Mit ausgestreckten Armen kam sie auf mich zu, aus allen Poren förmlich sprühend vor Lebendigkeit, als hätte der Stromschlag, statt ihr zu schaden, ihre Vitalität verdoppelt.
«Link, mein Lieber, wie wundervoll«, sagte sie überschwenglich. Und sie hatte jemand mitgebracht.
Die Schranken in meinem Kopf schlossen sich sofort wie eine Wand und blieben den ganzen Abend zu. Rode-rick und Katya hatten eine Sexbombe besorgt, um mich zu einem Fehltritt zu verleiten, und ihre Absicht verriet sich in Katyas verstärkt intrigantem Gehabe. Das Spiel gefiel mir nicht, aber als alter Hase hatte ich es im Griff. Ich seufzte bedauernd wegen des Essens ohne Trara, das Roderick versprochen hatte. Von Anfang an zuviel erwartet, nahm ich an.
Das Mädchen war hinreißend, mit einer Wolke dunkler Haare und riesengroßen, etwas kurzsichtig wirkenden Augen. Sie trug ein weich fließendes Gewand, grün und bodenlang, das sich jeder ihrer Bewegungen anschmiegte, jetzt eine Hüfte hervorhob, jetzt eine Brust, alles offensichtlich gut geformt.
Roderick beobachtete heimlich meine Reaktion, während er weitere Camparis einschenkte.
«Das ist Melanie«, sagte Katya gerade so, als hätte sie Venus aus den Wellen gezaubert; und vielleicht lag auch ein Hauch Botticelli in der anmutigen Nackenlinie.
Bestimmt heißt sie Mabel, sagte ich mir ungalant und begrüßte sie mit lauem Lächeln und einem konventionellen Händedruck. Aber Melanie war kein Mädchen, das sich durch einen kühlen Empfang beirren ließ. Sie schenkte mir ein leises Flattern ihrer ziemlich langen Wimpern, verzog reizend die zartrosa Lippen und legte ein glühendes Versprechen in die rauchgrauen Augen. Sie hat so was schon mal gemacht, dachte ich, und sie ist sich ihrer Wirkung so bewußt wie ich, wenn ich vor der Kamera stehe.
Melanie setzte sich zufällig neben mich auf das Tigerfellsofa und lagerte sich träge hin, so daß die ganze schlanke Gestalt unter dem grünen Stoff sichtbar wurde. Sie hatte zufällig kein Feuerzeug dabei, so daß ich mit Rodericks kugelförmigem orangen Tischmodell aushelfen mußte. Zufällig mußte sie meine Hand in ihre beiden Hän-de nehmen, um die Flamme an das Ende ihrer Zigarette zu führen. Zufällig stützte sie sich mit der Hand auf meinen Arm, als sie sich vorbeugte, um die Asche abzuklopfen.
Katya verbreitete Fröhlichkeit, Roderick füllte mir Gin ins Glas, als er dachte, ich sähe nicht hin, und ich fragte mich allmählich, wo sie das Tonbandgerät versteckt hatten. Wenn diese kleine Nummer nicht für die Öffentlichkeit bestimmt war, war ich der Klempnergehilfe.
Dinner gab es bei Kerzenschein an einem viereckigen schwarzen Tisch in einer senffarbenen Eßecke. Das Essen war vorzüglich, und die Unterhaltung provokativ, doch größtenteils spielten die drei sich untereinander die Bälle zu, während ich wenn nötig mit einem Lächeln oder Murmeln antwortete, das sich nicht als Zitat verwenden ließ.
Melanie duftete zart nach Joy, und Roderick hatte meinen Wein mit Kognak versetzt. Er beobachtete und bela-berte und bediente mich mit freundlichen Augen und wartete darauf, daß ich mich ihnen auslieferte. Zum Teufel mit dem Rand Daily Star, dachte ich; mein Freund Roderick ist ein Mistkerl, und ich kann den Mund halten.
Etwas von meiner Wachsamkeit mußte in meinen Augen zu erkennen gewesen sein, denn plötzlich huschte ein nachdenklicher Ausdruck über Rodericks Stirn, und er ging in zwei Sätzen von sexuellen Anspielungen zu sinnvoller Gesellschaftskritik über.
Er sagte:»Wie stehen Sie zur Apartheid, jetzt, wo Sie acht Tage hier sind?«