Gegen fünf erreichten wir das Numbi-Tor, die nächste Zufahrt zum Park. Der Nationalpark erstreckte sich von hier zweihundert Meilen nach Norden und fünfzig nach Osten, und nur ihr eigener Wunsch zu bleiben hielt die Tiere in diesen Grenzen fest. Das Numbi-Tor bestand aus einem schlichten Schlagbaum, bewacht von zwei Schwarzafrikanern in Khakiuniform, und einem kleinen Büro. Evan legte Passierscheine für zwei Wagen vor und Buchungsbestätigungen für den Aufenthalt in den Camps, und lächelnd und salutierend stempelte man uns die Scheine, und der Schlagbaum ging hoch.
Leuchtend rote und purpurne Bougainvilleas gleich dahinter erwiesen sich als irreführend: Der Park selbst war nach Monaten ohne Regen trocken wie Zunder und dornig braun. Die schmale Straße erstreckte sich vor uns in eine ausgedörrte Wildnis, in der das einzige sichtbare Werk von Menschenhand der Asphalt selbst war.
«Zebras!«rief Evan durch sein heruntergedrehtes Fenster.
Ich folgte der Richtung seines Zeigefingers und sah die staubige Herde geduldig unter kahlen Bäumen stehen, wobei sie langsam mit den Schwänzen schlugen und auf unheimliche Weise mit dem streifigen Schatten verschmolzen.
Conrad hatte eine Karte, und das war ganz gut so. Wir wollten zum nächstgelegenen Camp, Pretoriuskop, aber vor uns wanden sich die Wege kreuz und quer, unbefestigte trockene Sandpisten zweigten jäh ab in weite Landstriche, als deren Bewohner man sich unschwer Löwe, Nashorn, Büffel und Krokodil vorstellen konnte.
Und natürlich Elefanten.
Das Camp erwies sich als ein mehrere Hektar großes Gelände, das umschlossen war von einem starken Drahtzaun und nichts so Lagerartiges wie etwa Zelte enthielt. Es war eher wie Butlin’s im Eingeborenen-Look, fand ich: Grüppchen von runden, strohgedeckten Backsteinhütten wie rosarote Trommeln mit breitkrempigen Hüten drauf.
«Rondavels«, sagte Evan in bester Alleswissermanier und winkte zu den Unterkünften hinüber. Er meldete uns in dem großen Empfangsbüro an und fuhr gleich los, um die Hütten mit den richtigen Nummern zu suchen. Es waren drei: für jeden eine. Im Innern zwei Betten, ein Tisch, zwei Stühle, Einbauschrank, Duschraum und Klimaanlage. Jegliche moderne Errungenschaft mitten im Dschungel.
Evan klopfte an meine Tür und sagte, ich solle herauskommen, wir würden einen kleinen Ausflug machen. Das Camp schließe seine Tore abends um halb sieben, so daß wir noch vierzig Minuten Zeit hätten, nach Affen und Elefanten zu suchen.
«Den Kombi ausräumen dauert zu lange«, sagte er.»Wir nehmen also Ihren Wagen.«
Ich fuhr, und sie sahen unentwegt aus dem Fenster. In der Ferne lausten sich ein paar Paviane im Abendsonnenschein auf einem Felsenhügel, und eine Herde Impalas tat sich an nahezu blattlosen Sträuchern gütlich, doch ein Elefant war nicht zu sehen.
«Kehren wir lieber um, ehe wir uns verfahren«, sagte ich, aber auch so schlüpften wir nur Sekunden vor Torschluß noch zurück ins Lager.
«Was passiert, wenn man zu spät kommt?«fragte ich.
«Dann muß man draußen übernachten«, sagte Evan bestimmt.»Wenn das Tor erst zu ist, bleibt es zu.«
Evan schien wie üblich seine Kenntnisse aus der Luft zu greifen, ein Rätsel, das sich später löste, als er eine Informationsbroschüre hervorholte, die er bei der Anmeldung bekommen hatte. Die Broschüre riet auch davon ab, Wagenfenster herunterzudrehen und» Zebra!«in die Gegend zu schreien, da die Tiere das nicht mochten. Wildtiere hielten Autos offenbar für harmlos und ließen sie in Ruhe, neigten aber dazu, jedes Stück Mensch zu beißen, das hervorschaute.
Conrad hatte den ganzen Kombi ausladen müssen, um an die rote Bierbox ranzukommen; sicher würde er sie in Zukunft als letztes verstauen. Wir setzten uns um einen runden Tisch vor den Hütten, kühlten unsere Kehlen in der warmen Luft und sahen zu, wie die Dunkelheit zwischen den Ron-davels Einzug hielt. Trotz Evan war es friedlich genug, um die angespanntesten Nerven zu beruhigen… und noch den wachsamsten Verstand in Sicherheit zu wiegen.
Am nächsten Tag, Donnerstag, brachen wir in der Morgendämmerung auf und frühstückten im nächsten Camp, Skukusa, wo wir auch die Nacht verbringen wollten.
Skukusa war größer und besaß Rondavels für gehobene Ansprüche, so daß Evans Produktionsfirma natürlich gleich zugegriffen hatte. Sie hatten auch einen Wildhüter namens Haagner zu unserer ganztägigen Betreuung engagiert, und das wäre ausgezeichnet gewesen, hätte es sich nicht um einen Afrikaander gehandelt, mit dessen Englisch es haperte. Er war groß, behäbig, ruhig und emotionslos, der Gegenpol zu Evans leidenschaftlicher Begeisterung fürs Allegorische.
Evan feuerte Fragen auf ihn ab und mußte däumchendrehend auf die Antwort warten; sicher übersetzte Haagner lediglich das eine für sich in Afrikaans, formulierte das andere und übersetzte es ins Englische, doch die Verzögerung irritierte Evan von Anfang an. Haagner hielt Evan auf Distanz und ließ sich nicht zur Eile drängen, woraus Conrad die (dezent verborgene) Befriedigung des Unterdrückten zog, der seinen Herrn auf einer Bananenschale ausrutschen sieht.
Wir fuhren mit Haagners Rangerover, begleitet von der Arriflex, einem Tonbandgerät, einem halben Dutzend kleinerer Kameras und der roten Kühlbox mit einer gemischten Ladung aus Filmen, Bier, Obst und Sandwiches in Plastiktüten. Evan hatte noch Skizzenblöcke, Karten und Notizbücher eingesteckt und bemerkte sechsmal, die Produktion hätte ihm eine Sekretärin mitgeben sollen. Conrad murmelte, wir könnten froh sein, daß sie uns Drix Goddart noch nicht mitgegeben habe, doch dem säuerlichen Blick nach zu urteilen, den Evan mir zuwarf, war er nicht unbedingt der gleichen Meinung.
«Olifant«, sagte Haagner und zeigte mit dem Finger, nachdem ihm dreimal der Zweck der Expedition erklärt worden war.
Er hielt den Wagen an.»Dort, im Tal.«
Wir schauten. Viele Bäume, ein Streifen Grün, ein sich windender Fluß.
«Da, Mann«, sagte er.
Endlich erblickten unsere ungeschulten Augen sie; drei dunkle, bucklige Silhouetten, die, durch die Entfernung verkleinert, halb durch Buschwerk verdeckt, träge mit den Ohren wackelten.
«Nicht nah genug«, sagte Evan ungehalten.»Wir müssen näher ran.«
«Nicht hier«, sagte Haagner.»Sie sind auf der anderen Seite vom Fluß. Vom Sabiefluß. >Sabie< ist Bantuwort; es bedeutet >Furcht<.«
Ich sah ihn mißtrauisch an, doch er wollte Evan keineswegs provozieren; er gab nur eine Auskunft. Der friedlich wirkende Wasserlauf wand sich langsam durch das Tal und flößte so wenig Furcht ein wie die Themse.
Evan hatte keine Augen für die verschiedenen Verwandten der Antilope, auf die Haagner hinwies, noch für die Blauhäher und Hornraben, die Meerkatzen und die Gnus, und schon gar nicht für die Herden sanftmütiger Impalas. Nur das potentiell Gewalttätige erregte seine Aufmerksamkeit: der Geier, die Hyäne, das Warzenschwein, der möglicherweise auftauchende Löwe, der seltene Gepard.
Und natürlich Olifanten. Evan machte sich das Afrikaanswort zu eigen und ließ es auf seiner Zunge zergehen, als habe er es selbst erfunden. Olifantendung auf der Straße (frisch, sagte Haagner) erregte ihn fast bis zum Orgasmus. Er bestand darauf, daß wir anhielten und zurücksetzten, um die Exkremente besser sehen zu können, und darauf, daß Conrad die Arriflex zum Fenster hinaushielt und gut fünfzehn Meter Film aus verschiedenen Winkeln und mit unterschiedlichen Brennweiten verschoß.
Haagner, der den Wagen für jede neue Aufnahme geduldig in Stellung brachte, sah sich diese Possen an und hielt Evan offensichtlich für geistesgestört; ich lachte innerlich, bis ich platzte. Wäre der gute Elefant zurückgekommen, hätte Evan ihn zweifellos aufgefordert, für Szene 1, die zweite noch einmal Kot abzusetzen. Er hätte daran nichts komisch gefunden.