Evan trennte sich widerstrebend von dem Haufen und überlegte, wie er sich als möglichst sinnfälliges Symbol verwenden ließ. Conrad meinte, er könne ein Bier gebrauchen, doch Haagner deutete geradeaus und sagte:»Onder-Sabie«, der nächste Halt, das nächste Camp, wie sich herausstellte.
«Olifant im Salijifluß«, sagte Haagner, als er vom Plausch mit einigen Kollegen wiederkam.»Wenn wir gleich hinfahren, sehen Sie sie vielleicht.«
Evan scheuchte uns von dem schattigen Tisch und unseren halb geleerten Gläsern auf und preschte wieder hinaus in die zunehmende Mittagshitze. Rings um uns fächelten vernünftigere Sterbliche sich Luft zu und dachten an Siesta, aber Evan stellte Olifanten über die Vernunft.
Der Rangerover war wie ein Backofen.
«Heiß heute«, sagte Haagner.»Morgen noch heißer. Der Sommer kommt. Bald ist der Regen da, und der ganze Park wird grün.«
Evan sagte bestürzt:»Nein, nein. Der Park muß so ausgedörrt sein, wie er jetzt ist. Unwirtliches Land, kahl, hungrig, räuberisch, aggressiv und grausam. Bloß nicht satt und üppig.«
Haagner verstand kaum ein Zehntel. Nach einer langen Pause wiederholte er lediglich die schlechte Neuigkeit:»Wenn der Regen einsetzt, ist in einem Monat der ganze Park grün. Dann gibt es viel Wasser. Jetzt gibt es nicht viel. Die kleinen Flußläufe sind alle trocken. Olifant finden wir an den großen Flüssen. Am Saliji.«
Er fuhr mehrere Meilen und hielt bei einem großen hölzernen Sonnendach, das hoch oben am Ende eines Tals errichtet worden war. Unter uns floß der Saliji, und die Elefanten zeigten sich Evan im besten Licht. Eine große Familie von ihnen spielte im Wasser, bespritzte sich gegenseitig mit ihren Rüsseln und paßte auf ihren Nachwuchs auf.
Da es ein offizieller Picknickplatz war, eigens angelegt auf planiertem Gelände, durften wir alle aussteigen. Ich streckte mich dankbar und kramte in der roten Box nach etwas Trinkbarem. Conrad hielt eine Kamera in der einen Hand und ein Bier in der anderen, und Evan schwang seine Begeisterung wie eine Peitsche über uns.
Haagner und ich saßen bei vierzig Grad im Schatten an einem der verstreut stehenden kleinen Tische und aßen von den eingepackten Sandwiches. Er hatte Evan ermahnt, sich beim Filmen nicht zu weit von dem Unterstand zu entfernen, da dies eine offene Einladung für hungrige Löwen darstelle, aber Evan glaubte selbstredend, er würde keinem begegnen; und er begegnete auch keinem. Er schleifte Conrad samt Arriflex für ein paar Nahaufnahmen fünfzig Meter bergab in den Busch, und Haagner rief drängend hinter ihm her, er solle zurückkommen; er verliere seinen Job, wenn ihm Evan verlorengehe.
Conrad kam bald wieder herauf, wischte sich Tropfen von der Stirn, die nicht bloß hitzebedingt waren, und erzählte, irgend etwas habe da hinter ein paar Felsen geknurrt.
«Es gibt zwölfhundert Löwen im Schutzgebiet«, sagte Haagner.»Wenn sie Hunger haben, töten sie. Die Löwen allein töten jedes Jahr dreißigtausend Tiere im Park.«
«Gott«, rief Conrad, und sein Interesse an Evans ganzem Projekt ließ sichtlich nach.
Endlich kehrte Evan unversehrt zurück, doch Haagner betrachtete ihn mit Mißfallen.
«Mehr Olifant im Norden«, sagte er.»Für Olifant müssen Sie nach Norden. «Raus aus seinem Bezirk, besagte sein Tonfall.
Evan nickte kurz und beruhigte sich.
«Morgen. Wir brechen morgen nach Norden auf und übernachten in Camp Satara.«
Ebenfalls beruhigt, fuhr Haagner uns langsam zurück in Richtung Skukusa und wies uns die ganze Zeit wieder gewissenhaft auf Tiere hin.
«Könnte man den Park auf einem Pferd durchqueren?«fragte ich Haagner.
Er schüttelte entschieden den Kopf.»Sehr gefährlich. Gefährlicher, als wenn man zu Fuß geht, und zu Fuß gehen ist auch nicht sicher. «Er sah Evan an.»Wenn Ihr Wagen liegenbleibt, warten Sie auf das nächste Fahrzeug und bitten Sie jemand, die Wildhüter im nächsten Camp zu verständigen. Steigen Sie nicht aus. Laufen Sie nicht im Park herum. Laufen Sie vor allem nicht bei Nacht im Park herum. Bleiben Sie die ganze Nacht im Wagen.«
Evan lauschte dem Vortrag mit allen Anzeichen von Gleichgültigkeit. Er zeigte auf eine der unbeschotterten Nebenstraßen mit dem Schild» Keine Durchfahrt«, an denen wir immer wieder vorbeikamen, und fragte, wo sie hinführten.
«Manche gehen zu den Wachstationen der BantuRanger«, sagte Haagner nach einer Übersetzungspause.»Andere zu Wasserlöchern. Manche sind Feuerschneisen. Es sind Wege für die Ranger — die Wildhüter. Nicht für
Besucher. Benutzen Sie diese Wege nicht. «Er blickte Evan an, der ganz so aussah, als ob er sich nicht unbedingt daran halten würde.»Es ist nicht gestattet.«
«Warum nicht?«
«Der Park hat achttausend Quadratmeilen. Besucher können sich verfahren.«
«Wir haben eine Karte«, wandte Evan ein.
«Die Nebenstraßen«, sagte Haagner stur,»sind auf den Karten nicht eingezeichnet.«
Evan aß meuterisch ein Päckchen Sandwiches und drehte das Fenster runter, um die Plastiktüte hinauszuwerfen.
«Unterlassen Sie das«, sagte Haagner so scharf, daß es ihn bremste.
«Warum?«
«Die Tiere fressen das und ersticken daran. Es darf kein Abfall rausgeworfen werden. Für die Tiere ist das lebensgefährlich.«
«Na gut«, sagte Evan mißmutig und gab mir die zerknüllte Tüte, damit ich sie wieder in die rote Kühlbox legte. Da die Box jedoch verschlossen und auch nicht für Abfall gedacht war, steckte ich die Tüte in meine Hosentasche. Evan rundete seinen ärgerlichen Auftritt dadurch ab, daß er die halbverzehrte Kruste seines Käse-und-Tomaten-Sandwiches hinauswarf.
«Bitte nicht die Tiere füttern«, sagte Haagner automatisch.
«Wieso?«Evan setzte ein trotziges Tierschützergesicht auf.
«Es ist unklug, den Tieren beizubringen, daß Autos Freßbares enthalten.«
Das brachte ihn prompt zum Schweigen. Conrad sah mich mit hochzuckender Augenbraue an, und ich verbannte jeden Ausdruck aus meinem Gesicht, soweit das geht, wenn man sich innerlich kugelt.
Wegen eines Olifanten, der einen Steinwurf entfernt vor uns mit den Ohren schlackerte, kamen wir nicht rechtzeitig nach Skukusa zurück. Evan, blind für die rasch untergehende Sonne, sah überall Allegorien und ließ Conrad kilometerweise Film mit Aufnahmen durchs Fensterglas verschwenden. Er hatte gewollt, daß Conrad draußen ein Stativ aufstellte, um ein ruhigeres Bild als mit der Hand zu bekommen, doch selbst sein Eifer wurde ein wenig gedämpft durch den entgeisterten Ton, in dem Haagner sich dagegen stemmte.
«Olifant ist das gefährlichste von allen Tieren«, sagte er ernst, und Conrad versicherte ihm ebenso ernst, daß er, Conrad, um nichts auf der Welt den Rangerover verlassen werde. Haagner erlaubte nicht einmal ein offenes Fenster und wollte sofort wegfahren. Anscheinend brachten Olifanten, wenn sie auf diese Weise mit den Ohren wedelten, ihren Unmut zum Ausdruck, und da sie sieben Tonnen wogen und mit 25 Meilen in der Stunde Sturm laufen konnten, war Herumlungern nicht ratsam.
Evan glaubte nicht, daß irgendein Tier sich unterstehen würde, so wichtige menschliche Wesen wie E. Pentelow, Regisseur, und E. Lincoln, Schauspieler, zu attackieren. Er überredete Conrad, die Kamera einzuschalten, und Haag-ner saß da bei laufendem Motor, den Fuß auf dem Gaspedal. Als der Elefant schließlich einen Schritt in unsere Richtung machte, schossen wir in einem solchen Ruck davon, daß es Conrad samt Kamera und allem auf den Wagenboden warf.
Ich half ihm auf, und Evan beschwerte sich bei Haagner. Der Wildhüter, dessen Geduld sich dem Ende näherte, hielt mit einem nicht minder scharfen Blick den Wagen an und zog die Handbremse.
«Also schön«, sagte er.»Wir warten.«
Der Elefant kam hundert Meter hinter uns auf die Straße. Die großen Ohren flatterten wie Fahnen.