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Steigen Sie nicht aus dem Fahrzeug, hatte Haagner gesagt. Aussteigen ist nicht sicher. Das war nun wirklich zum Lachen. Wenn ich aus diesem Wagen herauskam, nahm ich die Löwen gerne in Kauf.

Was hatte ich in dem Film für ein Geschrei veranstaltet. Kalt erinnerte ich mich daran. Die geistigen Qualen, die ich mir vorgestellt und die ich gespielt hatte. Der Zerfall einer Psyche, ein Vorgang, den ich in eine Serie von Bildern zerlegt hatte, die eins nach dem anderen präsentiert wurden, bis die Abfolge unerbittlich zu der leeren Hülse eines Menschen führte, der seelisch zu kaputt war, um sich davon jemals zu erholen, selbst wenn er physisch gerettet wurde.

Der Mann in dem Sportwagen war eine erfundene Figur gewesen. Er war gezeigt worden als jemand, der in jeder Situation impulsiv und gefühlsbetont reagiert, und deshalb konnte er in der äußersten Not auch Weinkrämpfe haben. Aber ich war nicht wie dieser Mann; in vieler Hinsicht war ich ihm genau entgegengesetzt. Ich sah das vorliegende Problem hauptsächlich von der praktischen Seite und gedachte das auch weiterhin zu tun.

Irgendwann würde irgend jemand mich finden. Ich mußte nur alles daransetzen, solange am Leben — und bei Verstand — zu bleiben.

Die Sonne stieg, und im Wagen wurde es heiß; aber das störte mich noch nicht weiter.

Meine Blase war zum Bersten voll.

Ich konnte die Hände so um das Lenkrad herum strek-ken, daß ich den Reißverschluß meiner Hose aufbekam. Aber ich konnte mich auf dem Sitz nicht viel bewegen, und selbst wenn es mir gelang, mit dem Ellbogen die Tür zu öffnen, hatte ich keine Chance, bis nach draußen zu kommen. Obwohl es sinnlos war, schob ich den unvermeidlichen Augenblick auf, bis das Zurückhalten eher schmerzhaft als lästig war. Aber der Widerstand hatte seine Grenzen. Als ich schließlich nachgeben mußte, ging viel zwar auf den Boden, aber viel auch nicht, und ich spürte, wie die Nässe vom Schritt bis zum Knie in meine Hose sickerte.

In einer Pfütze zu sitzen, machte mich ungemein wütend. Daß ich gezwungen worden war, mich naßzumachen, kam mir unsinnigerweise brutaler vor, als daß ich überhaupt in den Wagen gesteckt worden war. Im Film hatten wir dieses Problem überspielt, als wäre es gegenüber dem Geisteszustand belanglos. Wir hatten uns geirrt. Es gehörte dazu.

Das Resultat war, daß ich in meinem Entschluß, mich nicht unterkriegen zu lassen, nur bestärkt wurde. Es machte mich gemein und rachsüchtig.

Ich bekam einen Haß auf Danilo.

Der Morgen schleppte sich dahin. Die Hitze war anstrengend, und ich wurde das Stillsitzen leid. Aber in Spanien, sagte ich mir, hatte ich drei Wochen in genau der gleichen Haltung zugebracht. Da war es sogar viel heißer gewesen. Ich blendete bewußt den Gedanken aus, daß wir in Spanien immer eine Mittagspause eingelegt hatten.

Meiner Uhr nach war es bald schon Mittag. Nun… vielleicht kam ja jemand…

Und wie sollte einer hierherkommen? fragte ich mich. Vor mir war kein Weg, nur kleine Bäume, dürres Gras und karges Gestrüpp. Zu beiden Seiten das gleiche. Aber der Wagen mußte hierhergefahren worden sein, ein vorbeisegelnder Adler hatte ihn nicht fallen gelassen. Ich drehte den Hals, und in den Rückspiegel schauend sah ich, daß die Straße, soweit vorhanden, direkt hinter mir lag. Es war ein unbefestigter Weg, der kein Anzeichen von Instandhaltung und sehr viele Spuren von Verlassenheit aufwies, und etwa zwanzig Meter von dort, wo ich saß, lief er vollends aus. Mein Wagen war vom Ende des Wegs schnurstracks in den Busch gesteuert worden.

In weniger als einem Monat würde es regnen; die Bäume und das Gras würden saftig und grün werden und die Straße sich in Schlamm verwandeln. Niemand würde den Wagen finden, falls er noch da war, wenn der Regen kam.

Falls ich… noch da war, wenn der Regen kam.

Ich gab mir einen Ruck. Diese Gedankengänge führten geradewegs zum Geisteszustand des Mannes in dem Film, und ich hatte mir doch vorgenommen, klüger zu sein.

Natürlich.

Vielleicht würden sie einen Hubschrauber schicken…

Es war ein grauer Wagen, unscheinbar. Aber aus der Luft war sicher jedes Fahrzeug auszumachen. Es gab einen kleinen Flugplatz in der Nähe von Skukusa; ich hatte die Markierung auf der Karte gesehen. Bestimmt würde Evan einen Hubschrauber losschicken…

Aber wohin? Ich saß mit dem Gesicht nach Norden, am Ende eines unbenutzten Fahrwegs. Ich konnte überall sein.

Vielleicht würde mich, wenn ich doch Lärm schlug, jemand hören… All die Leute, die meilenweit weg in ihren sicheren kleinen Autos daherkurvten, mit brummendem Motor und fest geschlossenen Fenstern.

Die Hupe… nutzlos. Es war so ein Auto, bei dem man die Zündung einschalten muß, bevor die Hupe geht.

In der Zündung… kein Schlüssel.

Der Mittag ging vorüber. Ich hätte ein schönes kühles Bier vertragen können.

Ein lautes Rascheln in dem Gestrüpp hinter mir ließ mich hoffnungsvoll den Kopf in diese Richtung drehen. Jemand war gekommen. Na, hatte ich es nicht gewußt?

Aber keine Freiheit bringenden menschlichen Stimmen ertönten. Mein Besucher hatte gar keine Stimme, denn es war eine Giraffe.

Der große, braun-gelb gefleckte Wolkenkratzer schob sich rhythmisch schwankend an dem Auto vorbei und begann das spärliche Laub vom Wipfel des Baumes vor mir zu rupfen. Die Giraffe war so nah, daß ihr Körper die Sonne aussperrte und eine willkommene Oase des Schattens abgab. Riesenhaft und anmutig blieb sie eine Weile, äste friedlich und hielt hin und wieder inne, um das gehörnte Haupt zum Wagen hin zu beugen und ihn aus Augen anzuplinkern, die von unverschämt langen Wimpern eingerahmt waren. Jeder Vamp würde vor dem Wimpernschlag einer Giraffe vor Neid erblassen.

Ich begann laut mit ihr zu reden.»Schwirr doch mal ab nach Skukusa, ja, und sieh zu, daß unser Freund Haagner schleunigst mit seinem Rangerover herkommt.«

Der Klang meiner Stimme erschreckte mich, denn ich hörte meine eigenen Befürchtungen heraus. Ich hoffte vielleicht, daß Evan, Conrad, Haagner oder auch nur irgendein vorbeikommender Fremder mich finden würde, aber ich glaubte nicht daran. Unbewußt war ich wegen des Films bereits auf langes Warten eingestellt.

Daß schließlich jemand auftauchen würde, glaubte ich schon. Der Bauer würde mit seinem Esel daherkommen, den Wagen sehen und den Mann retten. Es war der einzig erträgliche Ausgang. Der, an den ich mich klammern und auf den ich hinarbeiten mußte.

Zu guter Letzt würde man mich suchen.

Wenn ich nicht zu der Premiere erschien, würde es Fragen und Nachforschungen geben und schließlich eine Suchaktion.

Die Premiere war nächsten Mittwoch.

Heute, nahm ich an, war Freitag.

Menschen konnten nur sechs bis sieben Tage ohne Wasser leben.

Ich starrte düster die Giraffe an. Sie klapperte mit den fantastischen Wimpern, schüttelte sacht den Kopf wie vor Kummer und schlenderte elegant davon.

Bis Mittwoch abend würde ich sechs volle Tage ohne Wasser verbracht haben. Am Donnerstag würde man mich noch nicht finden.

Freitag oder Samstag vielleicht, wenn sie es klug anfingen. Es ging nicht. Es mußte gehen.

Als die Giraffe ihr Fleckchen Schatten mit sich nahm, merkte ich, wie glühend heiß die Sonne geworden war. Wenn ich nichts unternahm, dachte ich, würde ich mir einen bösen Sonnenbrand zuziehen.

Am erbarmungslosesten der Sonne ausgesetzt waren merkwürdigerweise meine Hände. Wie in den meisten Autos warmer Länder war das obere Drittel der Windschutzscheibe als Blendschutz grün getönt, und wenn ich den Kopf zurücklegte, konnte ich mein Gesicht den einfallenden Strahlen entziehen; aber sie fielen ungehindert auf meinen Schoß. Ich vermied das Schlimmste, indem ich meine Manschetten aufknöpfte und die Hände in den gegenüberliegenden Ärmel steckte wie in einen Muff.