Sie fand zwei freie Plätze nicht weit von den Lorrimores, und als sie sich auf dem einen Sitz niederließ und ihre Handtasche auf den anderen legte, sagte sie aufgeräumt zu dem älteren Ehepaar, das bereits am Tisch saß:»Ich bin Daffodil Quentin. Ist es nicht toll hier?«Sie stimmten ihr herzlich zu. Sie wußten, wer sie war: Sie war die Siegerin von gestern. Schon unterhielten sie sich angeregt, wie nahezu alle anderen im Wagen. Hier gab es keine kühle Anlaufphase, in der man darauf wartete, daß das Eis brach. Was nach dem gestrigen Renntag noch an Eis geblieben war, hatten die Szenen auf dem Bahnhof endgültig geschmolzen, und die Party stand, sie war in vollem Gang.
Emil winkte mich zur Küche, und ich ging in den kleinen Vorraum dort mit dem Büfett, einen Bereich, der den notwendigen Abstand schuf zwischen der heißen, glitzernden» Kombüse «und dem eigentlichen Speiseraum. Der Vorraum führte links zur Küche und rechts auf den Durchgang zum übrigen Zug, wo noch vereinzelte Gäste auftauchten, leicht schwankend jetzt in der zunehmenden Fahrgeschwindigkeit.
Hinter der Theke war Emil dabei, Flaschen mit Pol Roger zu öffnen. Oliver und Cathy holten noch Gläser aus einem Pappkarton und arrangierten sie auf kleinen Tabletts.
«Würden Sie vielleicht ein paar von diesen angelaufenen Gläsern polieren?«sagte Emil zu mir und wies auf ein Tablettvoll.
«Es wäre eine große Hilfe.«
«Befehlen Sie’s mir doch«, sagte ich.
«Putzen Sie sie«, sagte er.
«Na also.«
Alle lachten. Ich schnappte mir ein Handtuch und begann die hohen Flöten zu polieren, und Filmer kam aus dem Durchgang und steuerte den Speiseraum an, ohne in unsere Richtung zu blicken.
Ich beobachtete, wie er zu Daffodil ging, die ihm heftig winkte, und den Platz einnahm, den sie mit ihrer Handtasche freigehalten hatte. Er drehte mir den Rücken zu, wofür ich dankbar war. Obwohl auf seine Nähe vorbereitet, war ich doch nicht ganz gewappnet, und mir stockte immer noch der Atem. So ging es nicht, dachte ich. Ein bißchen Mumm war gefragt. Die Knie konnten später schlottern.
Der Speisewagen füllte sich Platz für Platz, und immer noch kamen Leute. Als Nell eintraf, nahm sie es leicht.»War abzusehen. Die ganzen Schauspieler sind hier. Geben Sie allen Champagner. «Sie ging weiter durch den Wagen, Klemmbrett an die Brust gedrückt, beantwortete Fragen, nickte und lächelte, hielt Ordnung in der Klasse.
Emil gab mir ein Tablett mit Gläsern.»Setzen Sie vier auf jeden Tisch. Oliver folgt Ihnen und gießt ein. Fangen Sie am hinteren Ende an und arbeiten Sie sich vor.«
«Okay.«
Ein Tablett mit Gläsern hätte sich leichter tragen lassen, wenn der Boden stillgestanden hätte, doch ich geriet bis zum hinteren Ende nur ein-, zweimal ins Wanken und erledigte den Auftrag wie gewünscht. Drei oder vier Leute ohne Sitzplatz standen bei der Tür zum Aussichtswagen, darunter die Schauspielerin Angelica. Ich bot auch ihnen Gläser an, und Angelica nahm eins, um gleich wieder alle ringsumher damit zu nerven, daß Steve sie hatte sitzenlassen und daß sie dem Schuft nie hätte trauen sollen, und es ehrte ihr Spiel, wenn die geschürzten Lippen derer, die es satt hatten, davon zu hören, schmal und schmäler wurden.
Oliver, auf meinen Fersen, spendete ihnen Trost durch Pol Rogers perlendes Gold.
Ich kam mit hellwachen Sinnen zu dem Tisch, an dem Filmer mit Daffodil saß, achtete darauf, sie beide nicht direkt anzuschauen, und stellte meine letzten vier Gläser nacheinander auf das Tischtuch.
Augenblicklich sagte Filmer:»Wo habe ich Sie schon mal gesehen?«
Kapitel 7
Etwa fünfzig Schlußfolgerungen schossen mir durch den Kopf, allesamt verheerend. Ich war so sicher gewesen, er würde mich nicht erkennen. Dummer, arroganter Irrtum.
«Das war vermutlich, als wir drüben in Europa waren und an dem Derby-Eve-Dinner in London teilnahmen«, sagte die ältere Frau ihm gegenüber.»Wir saßen am Ehrentisch… Wir waren Gäste des armen, lieben Ezra Gideon.«
Ich entfernte mich unter stummen Dankgebeten an alle, die dort droben zuhören mochten. Filmer hatte nicht mal einen Blick auf mich geworfen, geschweige denn mich erkannt. Als ich schließlich zu ihm hingesehen hatte, war sein Kopf der Tischgesellschaft zugewandt gewesen, und gleiches galt für Daffodil.
Filmers Gedanken mußten jedenfalls auch durcheinandergeraten sein. Er war direkt verantwortlich für Gideons Selbstmord, und jetzt fand er sich bei Gideons Freunden wieder. Ob ihn das peinlich berührte oder nicht (wahrscheinlich nicht), bestimmt genügte es, um ihn von Kellnern abzulenken.
Ich holte weitere Gläser und brachte einige davon zu den Lorrimores, die eine Oase des Schweigens in der plappernden Menge bildeten und mir überhaupt keine Beachtung schenkten; und von da an fühlte ich, daß ich wirklich die richtige Rolle gewählt hatte und sie unbegrenzt durchhalten konnte.
Als alle bedient waren, erschien Zak der Ermittlungsbeamte wie ein Sturmwind und führte den Krimi weiter durch Szene zwei, indem er genau rekonstruierte, wie man versucht hatte, eines der Pferde zu entführen, und die quälende Frage in den Raum stellte, welches? Zur Belustigung des Publikums befragte er mehrere der echten Besitzer:»Welches ist Ihr Pferd, Sir? Sagten Sie, Upper Gumtree?«Er blickte auf eine Liste.»Ah ja. Dann sind Sie Harvey Unwin aus Australien? Spricht irgend etwas dafür, daß Ihr Pferd die Zielscheibe internationaler Machenschaften sein könnte?«
Es war geschickt und unterhaltsam gespielt. Mercer Lorrimore sagte, als er an die Reihe kam, schmunzelnd, sein Pferd heiße Voting Right und nein, er habe keine Vorankündigung von einem Überfall erhalten. Bambi lächelte dünn, und Sheridan sagte mit lauter Stimme, er finde das Ganze bescheuert; alle wüßten doch, daß gar kein Entführungsversuch gelaufen sei, warum hörte Zak also nicht auf herumzuhampeln und zischte ab?
In die atemlos entsetzte Stille hinein, während Mercer nach Worten rang, lächelte Zak strahlend und sagte:»Ist es die Verdauung? Wir holen Ihnen ein paar Tabletten«, und klopfte Sheridan mitfühlend auf die Schulter.
Es löste stürmischen Beifall im Saal, oder vielmehr im Zug aus. Die Leute lachten und applaudierten, und Sheridan sah wirklich mordlustig drein.
«Nun zu Sparrowgrass«, sagte Zak, mit einem Blick auf seine Liste elegant fortfahrend,»wem gehört Sparrowgrass?«
Der ältere Herr, der bei Filmer saß, sagte:»Mir. Meiner Frau und mir.«
«Dann sind Sie also Mr. und Mrs. Young? Irgendwie verwandt mit Brigham? Nein? Macht nichts. Trifft es nicht zu, daß jemand versucht hat, den Stall niederzubrennen, in dem Ihr Sparrowgrass vor einem Monat stand? Meinen Sie, die beiden Überfälle könnten zusammenhängen?«
Die Youngs blickten erstaunt drein.»Woher wissen Sie denn das?«
«Wir haben unsere Quellen«, sagte Zak hochmütig — und erzählte mir hinterher, daß seine Quelle die Daily Racing Form war, die er neuerdings eifrig gelesen hatte, um Hintergrundmaterial für seine Story zu sammeln. Die Reisenden zeigten sich gehörig beeindruckt.
«Ich bin sicher, daß niemand versucht, mein Pferd zu kidnappen«, sagte Young, jedoch mit einem zweifelnden Unterton, der ein Triumph für Zak war.
«Hoffentlich nicht«, sagte er.»Und als letztes, wem gehört Calculator?«
Die Schauspieler Walter und Mavis Bricknell streckten erregt die Hände hoch.»Uns. Was ist denn mit ihm? Wir müssen gleich mal nachsehen. Das geht einem doch alles sehr an die Nerven. Werden die Pferde denn jetzt richtig bewacht?«
«Beruhigen Sie sich, mein Herr, beruhigen Sie sich, meine Dame«, sagte Zak wie zu Kindern.»Merry & Co hat eigens einen Stallmeister zu ihrer Beaufsichtigung engagiert. Sie werden von jetzt an sicher sein.«
Er beschloß die Szene damit, daß er sagte, wir würden bald in Newmarket halten, doch die britischen Besitzer sollten nicht aussteigen, es gäbe keine Rennen dort. (Gelächter). Das Mittagessen sei jetzt im Anmarsch, setzte er hinzu, und er hoffe, daß um halb sechs alle auf einen Drink wiederkämen, dann nämlich stünden, wie auf ihren Programmen ausgedruckt, interessante Entwicklungen an. Die Fahrgäste klatschten sehr laut, um ihm Mut zu machen. Zak winkte, zog sich zurück und lief den Gang hinunter, fast sofort wieder plattfüßig nach dem schwungvollen Auftritt im Speiseraum, und schon befragte er mit hängenden Schultern sein Notizbuch, was als nächstes zu tun sei. Wie oft mußte er sich wohl mit Leuten wie Sheridan abgeben? Seinem Verhalten nach oft genug.