Emil trug mir auf, die Sektgläser einzusammeln, das Wasser auszuschenken und auf jeden Tisch einen Korb Stangenbrot zu stellen. Er selbst entkorkte Wein. Oliver und Cathy brachten Platten mit geräuchertem Lachs und Schalen mit Vichysoise-
Suppe auf Tabletts aus der Küche und stellten sie zur Wahl.
Das Platzproblem löste sich mehr oder minder von selbst. Mavis und Walter, die vorgaben, ihnen sei» das Wohlergehen unseres Pferdes wichtiger als Essen«, gingen weiter vor in den Zug, um im Speisewagen der Rennbahnbesucher zu lunchen, und ebenso Angelica-»mich hält’s hier nicht, ich rase!«Einige andere wie Raoul, Pierre und Donna verschwanden unauffällig, bis Nell beim Durchzählen feststellte, daß jeder zahlende Passagier einen Sitzplatz hatte. Giles-der-Mörder, sah ich mit Interesse, war immer noch im Speiseraum, noch immer unheimlich nett; anscheinend war es für das Schauspiel wesentlich, daß man ihn mochte.
Wir hielten kurz in Newmarket. Kein britischer Besitzer stieg aus. (Schade). Nach der Suppe gab es Hühnerfrikassee mit Zitrone und Petersilie.
Ich wurde von Aquarius zu Ganymed befördert, weg vom Wasser, hin zum Wein. Emil traute mir mit Recht nicht zu, schmutzige Gedecke abzuräumen, was ein gekonntes Jonglieren mit Messern und Gabeln erforderte. Ich durfte mit den anderen die Aschenbecher auswechseln, Ahorn-Haselnuß-Mousse auftragen und Tee und Kaffee in die schon plazierten Tassen füllen. Filmer ignorierte meine Anwesenheit vollständig, und ich mied es tunlichst, seine Aufmerksamkeit dadurch zu erregen, daß ich etwas verschüttete.
Zum Schluß empfand ich große Bewunderung für Emil, Oliver und Cathy, die elegant drei volle Gänge serviert und abgeräumt hatten, während der Boden unter ihren Füßen schwankte, und die normalerweise meine paar Handgriffe noch mit übernommen hätten.
Als fast alle Passagiere (einschließlich Filmer) gegangen waren, sei es zu ihren Abteilen oder in den Aussichtswagen, räumten wir die Tische ab, legten frische Tücher auf und begannen selbst ans Essen zu denken. Zumindest tat ich das. Die anderen gingen in die Küche, ich folgte ihnen, aber dort angelangt, zog Emil sogleich seine Weste aus, legte eine Schürze und lange gelbe Handschuhe an und begann Geschirr abzuwaschen. Eine satte, berghohe Ladung von drei Gängen für achtundvierzig Personen.
Ich sah ihm entgeistert zu.»Machen Sie das immer?«fragte ich.
«Wer sonst?«
Cathy ergriff ein Handtuch, um abzutrocknen.
«Keine Maschinen?«protestierte ich.
«Wir sind die Maschinen«, sagte sie.
Spülen, dachte ich kläglich — ohne mich? Ich nahm mir eines der Handtücher und half ihr.
«Das brauchen Sie nicht«, sagte sie,»aber danke schön.«
Angus der Chefkoch säuberte sein Reich am anderen Ende der langen heißen Küche, und Simone packte dicke Rindfleischsandwiches aus, die wir alle während der Arbeit im Stehen aßen. Es herrschte eine eigentümliche Kameradschaft dabei, als wären wir Kämpfer an der vordersten Front. Sie hatten Anspruch darauf, nach der letzten Schicht im mittleren Speisewagen zu essen, sagte Emil beim Gläserwaschen, gingen meistens aber nur zum Dinner hm, wenn überhaupt. Das verstand ich, da wir nach den Sandwiches an diesem ersten Tag die leider allzuwenigen Restportionen des lukullischen Mittagsmahls verzehrten, das wir serviert hatten.»Weggeworfen wird nichts«, sagte Cathy,»wenn wir solche Touren machen.«
Als das Geschirr glücklich fertig und in die Regale eingeräumt war, stellte sich heraus, daß wir ein paar schöne Stunden freihatten: Wiederantritt Punkt halb sechs.
Ich weiß nicht, was die anderen taten, aber ich ging geradewegs nach vorn in den vollgepackten Zug, schlängelte mich unsicher durch eine schier endlose Reihe von Schlafwagen (vorbei an meinem eigenen Bett), durch den immer noch belebten mittleren Speisewagen, den vollen, lärmenden Gr oßraum-Day niter, drei weitere Schlafwagen, den überfüllten Aussichtswagen (Speiseraum, Küche, Gesellschaftsraum, Aussichtsdeck), noch einen Schlafwagen und erreichte schließlich die Pferde. Insgesamt eine Strecke von etwas unter einer Viertelmeile, aber es kam mir wie ein Marathonlauf vor.
Am Eingang des Pferdewaggons hielt mich eine verschlossene Tür auf und, auf mein wiederholtes Klopfen hin, eine energische Frau, die mir erklärte, ich sei unerwünscht.
«Sie können hier nicht rein«, sagte sie schroff und versperrte mir den Weg mit ihrem Körper.»Das Zugpersonal hat hier keinen Zutritt.«
«Ich arbeite für Merry & Co«, sagte ich.
Sie musterte mich von oben bis unten.»Sie sind ein Kellner«, sagte sie entschieden.»Sie kommen nicht rein.«
Sie bebte vor Autorität, die resolute Hüterin des Passes. Um die Vierzig, schätzte ich, mit ebenmäßigen Gesichtszügen, ungeschminkt und einer schlanken, drahtigen Figur in Hemd, Pullover und Jeans. Ich erkannte ein unbewegliches Objekt, wenn ich es sah, daher zog ich mich durch den ersten Schlafwagen zurück, wo Pfleger in T-Shirts sich in offenen Tagesabteilen lümmelten (zum Schlafen zog man schwere Filzvorhänge zu), und wandte mich ratsuchend an den chinesischen Koch in der Küche des vorderen Aussichtswagens.
«Der Zugführer?«sagte er auf meine Frage hin.»Der ist hier.«
Er wies den Gang hinunter in den Speiseraum.»Sie haben Glück.«
Der Zugführer in seinem grauen Anzug, mit Goldstreifen für langjährige Dienste am linken Ärmel, saß am ersten Tisch von der Küche aus und beendete gerade sein Mittagessen. Es gab noch andere Gäste an anderen Tischen, doch er war allein und nutzte die Mittagspause zum Ausfüllen von Formularen, die er vor sich ausgebreitet hatte. Ich glitt auf einen der Sitze ihm gegenüber, und er hob fragend die Augen.
«Ich bin von Merry & Co«, sagte ich.»Sie wissen, glaube ich, über mich Bescheid.«
«Tommy?«sagte er nach einer Denkpause.
«Ja.«
Er gab mir über den Tisch hinweg die Hand.
«George Burley«, sagte er.»Nennen Sie mich George.«
Er war mittleren Alters, massig, mit kurzgeschnittenen Haaren und Schnurrbart und, wie ich bald herausfand, einer hübschen ironischen Ader.
Ich erklärte ihm das mit der unpassierbaren Tür zum Pferdewaggon.
Seine Augen glitzerten.»Sie haben die Drachenlady kennengelernt, eh? Miss Leslie Brown. Eigentlich soll sie die Pfleger im Zaum halten. Jetzt versucht sie über den Zug zu herrschen, eh?«
Er hatte die unter Kanadiern verbreitete Gewohnheit, noch die alltäglichste Aussage in eine Frage zu verwandeln. Schön heute, eh?
«Ich hoffe«, sagte ich höflich,»daß Sie im Rang über ihr stehen.«
«Darauf können Sie Gift nehmen«, sagte er.»Lassen Sie mich fertig essen und die Papiere erledigen, dann gehen wir gleich mal hin, eh?«
Ich wartete eine Weile, sah die Landschaft vorübergleiten, wilde unbewohnte Flächen mit grünen und herbstfarbenen Bäumen, grauem Fels und blauen Seen, dazwischen winzige Hütten und einsame Häuser, alles leuchtend in der Nachmittagssonne, ein Panoramaeindruck von der Weite Kanadas und seiner dünn gesäten Bevölkerung.
«Gut«, sagte George, seine Papiere zusammenraffend.»Ich trinke nur noch meinen Kaffee aus, eh?«
«Gibt es«, fragte ich,»ein Telefon im Zug?«
Er lachte leise.»Das will ich meinen. Aber es ist ein Funktelefon, eh? Klappt nur in der Nähe von Städten, wo es Sender/ Empfänger gibt. Auf kleinen Bahnhöfen müssen wir aussteigen und die normalen Netztelefone benutzen, wie die Passagiere es bei längeren Aufenthalten tun.«