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Er nahm den Kopfhörer ab und starrte mich böse an.

«Wüßten Sie«, sagte er,»wie man einen Wagen von einem anderen abkuppelt?«

«Nein, natürlich nicht.«

«Dazu muß man Eisenbahner sein. «Er blickte finster.»Ein Eisenbahner! Das ist, wie wenn ein Mechaniker jemand in einem Auto mit losen Radnabenmuttern wegfahren läßt. Einfach kriminell, eh?«

«Ja.«

«Vor hundert Jahren«, sagte er wütend,»hat man ein System entwickelt, um zu verhindern, daß Wagen, die sich losgerissen haben, rückwärts laufen und irgendwo reinknallen. Bei einem Ausreißer wird selbsttätig die Bremse ausgelöst. «Er funkelte mich an.»Dieses System ist umgangen worden. Bei den Lorrimores waren die Bremsen nicht eingeschaltet. Der Wagen wurde vorsätzlich auf ebenem Boden losgemacht, eh? Ich verstehe das nicht. Zu welchem Zweck?«

«Vielleicht mag jemand die Lorrimores nicht«, tippte ich an.

«Den Schweinehund kriegen wir«, sagte er, ohne zuzuhören.

«In Cartier dürfte es nicht viele geben, die sich mit Zügen auskennen.«

«Haben Sie hier viel Sabotage?«fragte ich.

«So was nicht. Nicht oft. Ein oder zweimal in der Vergangenheit. Aber meistens sind es Rowdies. Ein paar Jugendliche, die Steine von einer Brücke werfen. Manchmal auch ein Diebstahl, eh?«

Er war gekränkt, sah ich, über den von einem Zunftgenossen begangenen Verrat. Er nahm das persönlich. Er schämte sich gewissermaßen, so wie man sich für seine Landsleute schämt, wenn sie sich im Ausland danebenbenehmen.

Ich fragte ihn nach dem Verständigungssystem zwischen ihm und dem Lokführer. Weshalb war er nach vorn gegangen, um den Zug zu stoppen, obwohl er ein Walkie-talkie hatte?

«Das prasselt, wenn wir Tempo draufhaben. Besser, man spricht direkt miteinander.«

Ein Licht blinkte am Bordfunkgerät, und er setzte wieder seinen Kopfhörer auf.

«George hier«, sagte er und hörte zu. Er sah auf seine Uhr und runzelte die Stirn.»Ja. Gut. Verstanden. «Kopfschüttelnd nahm er den Hörer ab.»Sie wollen die Strecke erst nach einem Seil ab suchen, wenn sowohl der Canadian wie auch der Güterzug durch sind. Hat unser Saboteur auch nur einen Funken Verstand, dann ist bis dahin nichts Belastendes mehr zu finden.«

«Wahrscheinlich jetzt schon nicht mehr«, sagte ich.»Es ist fast eine Stunde her, seit wir Cartier verlassen haben.«»Klar«, sagte er. Seine gute Laune brach trotz seines Zorns allmählich wieder durch, das ironische Glitzern kehrte in seine Augen zurück.»Besser als das Krimispiel von diesem Burschen, eh?«

«Ja…«sagte ich nachdenklich.»Sind der Bremsluft- und der Heizungsschlauch das einzige, was einen Wagen mit dem nächsten verbindet? Außer der Kupplung natürlich.«

«Ganz recht.«

«Was ist denn mit Strom… und Wasser?«

Er schüttelte den Kopf.»Strom erzeugt jeder Wagen selbst. Unabhängig. Sie haben Generatoren unterm Boden… ähnlich wie Dynamos an Fahrrädern; der Strom wird durch den Lauf der Räder erzeugt. Der Nachteil dabei ist, daß die Beleuchtung flackert, wenn wir langsam fahren. Ferner gibt es Batterien für den Stillstand, aber die reichen nur eine Dreiviertelstunde, eh? wenn wir nicht auf einem Bahnhof ans Netz angeschlossen sind. Danach brennen wir auf Sparflamme, nur die Gangbeleuchtung und wenig mehr, für etwa vier Stunden, dann stehen wir im Dunkeln.«

«Und Wasser?«fragte ich.

«Das ist unterm Dach.«

«Wirklich?«sagte ich erstaunt.

Er erklärte es geduldig.»Auf größeren Bahnhöfen haben wir alle sechsundzwanzig Meter, das ist die Wagenlänge, Hydranten stehen. Einen pro Wagen. Genauso ist es mit der Stromversorgung, eh? Jedenfalls wird das Wasser in die Tanks unterm Dach gepumpt und fließt durch Schwerkraft wieder runter in die Waschräume.«

Faszinierend, dachte ich. Und so hatte der Wagen der Lorrimores relativ schnell und leicht abgekuppelt werden können.

«Die neuen Wagen«, sagte George,»werden elektrisch statt mit Dampf beheizt, daher hat der Heizungsschlauch bald ausgedient, eh? Und sie bekommen Tanks für das Abwasser, das jetzt natürlich noch direkt auf die Schienen rieselt.«

«Die ganze Welt«, sagte ich höflich,»wird Kanada um seine Bahn beneiden.«

Er lachte leise.»Die neuen Züge zwischen Montreal und Toronto verspäten sich in drei von vier Fällen, und die Loks fallen regelmäßig aus. Das alte rollende Material, wie unser Zug hier, ist großartig.«

Er setzte wieder den Kopfhörer auf. Ich hob die Hand zum Abschied und kehrte in den Speiseraum zurück, wo der echte Krimi den von Zak mühelos verdrängt hatte, wenngleich einige überzeugt waren, daß all dies zur Handlung gehörte.

Xanthe war jetzt wesentlich fröhlicher, da sie im Zentrum mitfühlender Aufmerksamkeit stand, und Filmer riet Mercer Lorrimore, er solle die Eisenbahngesellschaft wegen Fahrlässigkeit auf Millionen Dollar Entschädigung verklagen. Das Beinah-Unglück hatte den Adrenalinspiegel der Leute in einem Schub erhöht, wahrscheinlich, weil ihnen Xanthe doch mehr zu denken gab als die schaurig-schön davongetragene Angelica.

Nell saß am Tisch eines Ehepaars in den Vierzigern, dem, wie sie mir später erzählte, eines der Pferde im Transportwagen gehörte, ein dunkler Brauner namens Redi-Hot. Der Mann winkte mich zu sich, als ich untätig herumstand, und bat mich, ihm einen Cognac zu bringen, Wodka mit Eis für seine Frau und. was für Nell?

«Nur eine Cola bitte«, sagte sie.

Ich ging zur Küche, wo die Cola stand, bestürmte Nell aber mit heimlich-hektischen Gesten wegen der anderen Getränke. Emil, die Köche, Oliver und Cathy hatten alles aufgeräumt und Feierabend gemacht. Ich besaß keine Wünschelrute, die in Richtung Brandy oder Smirnoff hätte ausschlagen können.

Nell sagte etwas zu den Besitzern und kam, ein Lachen unterdrückend, zu mir.

«Ja, sehr lustig«, sagte ich,»aber was zum Teufel soll ich machen?«

«Nehmen Sie sich ein kleines Tablett und holen Sie die Drinks aus der Bar. Ich erkläre dann schon, daß sie bezahlt werden müssen.«

«Ich habe Sie heute noch keine fünf Minuten allein gesehen«, klagte ich.

«Sie sind unten, ich bin oben.«

«Ich könnte Sie glatt hassen.«

«Aber tun Sie’s?«

«Noch nicht«, sagte ich.

«Wenn Sie ein braver kleiner Kellner sind, geb ich Ihnen ein Trinkgeld.«

Sie ging selbstgefällig federnden Schrittes zu ihrem Platz zurück, und mit einem Fluch, der nicht so gemeint war, brachte ich die Cola und ein Glas an ihren Tisch und ging zum Aussichtswagen durch, um den Rest zu holen. Nachdem ich die Bestellung ausgeführt hatte, bat jemand anders mich um den gleichen Dienst, und bereitwillig versah ich ihn ein zweites, drittes, viertes Mal.

Auf jeder Tour schnappte ich Gesprächsfetzen aus der Bar auf, hörte auch das lautere, noch immer erregte Stimmengewirr weiter hinten im Gesellschaftsraum, und so dachte ich, wenn im Speiseraum alle zufriedengestellt wären, könnte ich mit meinem entwaffnenden kleinen Tablett vielleicht zum anderen Ende durchgehen.

Der einzige Mensch, dem dieser Plan nicht so ganz paßte, war der Barmann, der sich beschwerte, ich hätte doch dienstfrei, und die Fahrgäste sollten in die Bar kommen und ihre Getränke selbst kaufen — ich sahnte seine Trinkgelder ab. Damit hatte er nicht unrecht, und ich bot ihm an, halbe-halbe zu machen. Da er genau wußte, daß die meisten Fahrgäste ohne meine Hin- und Herlauferei lieber aufs Trinken verzichtet hätten, erklärte er sich schnell einverstanden und hielt mich bestimmt nicht nur für einen Schauspieler, sondern auch für einen Simpel.