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Ich ging in den Schlafwagen auf der anderen Seite der Küche und öffnete die Tür der Wohnstätte von Julius Apollo.

Kapitel 9

Aufgrund des von ihm bezahlten doppelten, wenn nicht dreifachen Preises hatte Filmer ein Zweibettabteil für sich allein. Nur das untere Bett war für die Nacht hergerichtet: das obere steckte noch in der Decke. Obwohl zu erwarten stand, daß er mindestens noch eine Viertelstunde im Wagen der Lorrimores blieb, war ich entschieden nervös und ließ die Tür offen, damit ich, falls er unverhofft zurückkam, sagen konnte, ich sähe nur nach, ob alles in Ordnung sei. Meine Uniform bot viele Vorteile.

Die Schlafräume waren naturgemäß klein, doch tagsüber, wenn die Betten hochgeklappt waren, immerhin recht geräumig. Ein Waschbecken war zu sehen, das übrige Sanitäre befand sich in einem dezenten kleinen Kabinett. Zum Kleideraufhängen gab es eine fünfundzwanzig Zentimeter breite Nische am Kopfende der Betten, in Filmers Fall ausreichend für zwei Anzüge. Zwei weitere Jacken hingen auf Bügeln an Wandhaken.

Ich durchsuchte rasch sämtliche Taschen, doch sie waren größtenteils leer. Nur in einer Innentasche fand ich einen Reparaturschein für eine Armbanduhr, den ich wieder zurücklegte.

Eine Kommode gab es nicht; so gut wie alles andere mußte in seinem Koffer sein, der an der Wand stand. Mit einem Auge auf den Gang draußen probierte ich eines der Druckschlösser und wunderte mich nicht, daß es abgesperrt war.

So blieb nur noch ein winziges Schränkchen über der Kleidernische, in dem Julius Apollo einen schwarzledernen Kulturbeutel und seine Bürsten verstaut hatte.

Am Boden unter seinen Anzügen, ganz nach hinten in die Nische geschoben, fand ich seinen Aktenkoffer.

Ich steckte meinen Kopf aus der Tür, die gleich neben der

Nische war, und blickte den Gang rauf und runter.

Niemand zu sehen.

Ich ging in die Hocke, halb im Abteil, halb draußen, und legte mir die Ausrede zurecht, ich hätte ein Geldstück verloren. Ich langte in die Nische und zog den Aktenkoffer nach vorn; er war aus schwarzem Krokodilleder mit goldenen Verschlüssen, wie der auf dem Rennplatz in Nottingham.

Mehr, als daß er jetzt hier war, sollte ich jedoch nicht erfahren, denn er hatte Kombinationsschlösser, die zwar durchaus zu knacken waren, aber bloß, wenn man für jedes Schloß Stunden Zeit hatte, und die hatte ich nicht. Ob der Aktenkoffer noch das enthielt, was Horfitz Filmer in Nottingham zugespielt hatte, konnte man nur raten, und so gern ich den Inhalt auch gesehen hätte, mehr wollte ich im Moment nicht riskieren. Ich stieß die Tasche wieder in die Nische, richtete mich vor der Abteiltür auf, schloß sie und kehrte zu den fröhlichen Szenen weiter hinten zurück.

Inzwischen war es fast Mitternacht. Die Youngs erhoben sich im Speiseraum, um schlafen zu gehen. Xanthe aber, bestürzt über den Weggang ihrer neuen Freundin, klammerte sich praktisch an Mrs. Young und sagte mit einem Nachhall der früheren Hysterie, sie könne unmöglich im Privatwagen schlafen, sie werde Alpträume bekommen, sie habe viel zuviel Angst; bestimmt werde derjenige, der den Wagen losgekuppelt hatte, es mitten in der Nacht noch einmal tun, und sie würden alle sterben, wenn der Canadian in sie hineinkrachte, denn der sei schließlich noch hinter ihnen, oder nicht, oder nicht?

Doch, das war er.

Mrs. Young gab sich alle Mühe, sie zu beschwichtigen, doch es war unmöglich, ihre Ängste nicht zu respektieren. Sie war zweifellos knapp dem Tod entgangen. Mrs. Young sagte ihr, der Verrückte, der böswillig den Wagen abgekuppelt habe, sei Stunden hinter uns in Cartier, doch Xanthe war nicht zu beruhigen.

Mrs. Young wandte sich an Nell, fragte, ob es eine andere Möglichkeit gebe, wo Xanthe schlafen könne, und Nell, die einen Blick auf ihr stets präsentes Klemmbrett warf, schüttelte zweifelnd den Kopf.

«In einem Abteil ist noch ein Oberbett frei«, sagte sie langsam,»aber es hat nur einen Vorhang und keine Waschgelegenheit außer am Ende des Wagens — Xanthe ist wohl etwas anderes gewöhnt.«

«Das ist mir egal«, sagte Xanthe heftig.»Ich würde auf dem Boden schlafen oder auf den Sitzen im Gesellschaftsraum oder sonstwo. Ich nehme das Oberbett… bitte geben Sie’s mir.«

«Spricht nichts dagegen«, sagte Nell.»Wie ist es mit Schlafsachen?«

«Die gehe ich nicht in unserm Wagen holen. Auf keinen Fall.«

«Gut«, sagte Nell.»Ich gehe und frage Ihre Mutter.«

Mrs. Young blieb bei Xanthe, die wieder leicht zitterte, bis Nell schließlich mit einer kleinen Tasche und mit Bambi zurückkam.

Bambi versuchte ihre Tochter umzustimmen, doch wie vorauszusehen ohne Erfolg. Ich hielt es für unwahrscheinlich, daß Xanthe je wieder in diesem Wagen schlafen würde, so stark war ihre momentane Reaktion. Sie, Bambi, Nell und die Youngs gingen ohne mich anzusehen an mir vorbei und durch den Gang neben der Küche, um das Ausweichquartier zu begutachten, das sich, wie ich wußte, in dem Schlafwagen vor Filmers befand.

Nach einer Weile kamen Bambi und Nell allein zurück, und mit einem ruhigen Dankeschön an Nell ging Bambi ein paar Schritte weiter und blieb bei ihrem Sohn stehen, der nichts getan hatte, um seine Schwester zu trösten oder ihr zu helfen, und jetzt für sich alleine saß.

«Komm mit, Sheridan«, sagte sie, nicht in gebieterischem Ton, aber auch ohne Zuneigung.»Dein Vater möchte, daß du kommst.«

Sheridan warf ihr einen haßerfüllten Blick zu, der sie nicht im mindesten zu kümmern schien. Sie wartete geduldig, bis er ausgesprochen widerwillig aufstand und ihr heimwärts folgte.

Bambi, so schien mir, hatte sich angewöhnt, gegen Sheridan gleichgültig zu sein, um nicht von ihm verletzt zu werden. Sie mußte genau wie Mercer jahrelang unter seinem rüden Benehmen in der Öffentlichkeit gelitten haben, und sie hatte sich davon distanziert. Sie versuchte nicht, die Nachsicht der Opfer seiner Unverschämtheit zu kaufen, wie Mercer es tat — sie ignorierte die Unverschämtheit.

Ich fragte mich, was zuerst da war, die illusionslose Kälte ihrer Weltklugheit oder der Mangel an Wärme bei ihrem Sohn, und vielleicht hatten sie beide Eis in sich, und eines hatte das andere verstärkt. Bambi, fand ich, war ein höchst unpassender Name für sie; sie war kein unschuldiges, großäugiges, zartes Reh, sondern eine erfahrene, reservierte, gutaussehende Frau in Nerzpelzen.

Nell, die hinter ihr her schaute, seufzte und sagte:»Sie hat Xanthe keinen Gutenachtkuß gegeben, wissen Sie, oder sie auch nur zur Beruhigung mal umarmt. Nichts. Und Mercer ist so nett.«

«Vergessen Sie sie.«

«Ja… Ist Ihnen klar, daß am nächsten Halt die Presse wie ein Rudel jagender Löwen über diesen Zug herfallen wird?«

«Löwinnen«, sagte ich.

«Was?«

«Es sind die Weibchen, die im Rudel jagen. Ein Männchen sitzt dabei, sieht zu und schnappt sich den Löwenanteil der Beute.«

«Davon möchte ich nichts hören.«»Unser nächster Aufenthalt«, sagte ich,»ist eine Viertelstunde in White River, mitten in der Nacht. Wir wollen sehen, daß wir nach der Verzögerung wenigstens um vier Uhr fünf dort sind, Weiterfahrt vier Uhr zwanzig.«

«Und danach?«

«Abgesehen von einem 3-Minuten-Stopp irgendwo im Hinterwald halten wir fünfundzwanzig Minuten in Thunder Bay, morgen früh um zehn vor elf.«

«Kennen Sie den ganzen Fahrplan auswendig?«

«Emil riet mir, ihn zu lernen. Er hatte recht, als er sagte, die Frage, die ich am häufigsten beantworten müsse, sei: >Wann sind wir da und da?<… und als Kellner vom Dienst, meinte er, würde ich Bescheid wissen, auch wenn wir überall fünfunddreißig Minuten früher ankommen als der fahrplanmäßige Canadian.«

«Emil ist süß«, sagte sie.

Ich sah sie erstaunt an. Ich hätte Emil nicht als süß bezeichnet. Klein, adrett, wach und großzügig, ja.»Süß?«fragte ich.