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«Ich hoffe doch«, sagte sie,»daß Sie nicht so denken.«

«Nein.«

«Gut. «Sie sah erleichtert aus.

«Waren Sie sich da nicht sicher?«fragte ich neugierig.»Bin ich so… halbseiden?«

«Nun.. «Da war ein Anflug von Verlegenheit.»Ich wollte kein Gespräch dieser Art anfangen, wirklich nicht. Aber wenn Sie’s wissen möchten, Sie haben etwas Undurchschaubares… extrem Verschlossenes an sich… als wollten Sie nicht, daß man Sie zu genau kennenlernt. Das hat mich eben stutzig gemacht. Tut mir leid…«

«Ich werde Sie mit heißen Küssen überschütten.«

Sie lachte.»Nicht Ihr Stil.«»Warten Sie ab. «Und zwei Menschen, die sich so kurze Zeit erst kannten, redeten nicht unversehens so miteinander, dachte ich, wenn nicht spontanes Vertrauen und Sympathie da waren.

Wir standen in dem kleinen Flur zwischen Küche und Speiseraum, und sie hielt immer noch das Klemmbrett an ihre Brust gedrückt. Sie würde es runternehmen müssen, dachte ich flüchtig, bevor es ernstlich heiß zugehen konnte.

«Ihnen sieht immer der Schalk aus den Augen«, sagte sie.»Und nie verraten Sie, warum.«

«Ich dachte gerade daran, wie Sie Ihr Klemmbrett als Schutzschild benutzen.«

Ihre Augen wurden groß.»Ein Mistkerl in der Zeitungsredaktion hat mir die Brust begrapscht… Warum sage ich Ihnen das? Es ist Jahre her. Was liegt schon daran? Und überhaupt, wie soll man denn sonst ein Klemmbrett halten?«

Sie legte es trotzdem auf die Theke, doch viel länger unterhielten wir uns nicht mehr, da allmählich die Zecher von nebenan durchkamen, um schlafenzugehen. Ich zog mich in die Küche zurück und hörte, wie Nell gefragt wurde, wann es Frühstück gebe.

«Zwischen sieben und halb zehn«, sagte sie.»Angenehme Nachtruhe allerseits. «Sie steckte ihren Kopf durch die Tür.

«Ihnen auch, schlafen Sie gut. Ich hau mich ins Bett.«

«Gute Nacht«, sagte ich lächelnd.

«Gehen Sie noch nicht?«

«Doch, bald.«

«Wenn alles… sicher ist?«

«So könnte man sagen.«

«Was erwartet denn der Jockey Club eigentlich von Ihnen?«

«Daß ich Ärger sehe, bevor es dazu kommt.«

«Das ist doch so gut wie unmöglich.«»M-hm«, sagte ich.»Ich habe nicht vorausgesehen, daß jemand die Lorrimores abkuppelt.«

«Dafür wird man Sie rausschmeißen«, meinte sie trocken,»falls Sie also schlafen, schlafen Sie gut.«

«Tor würde Sie küssen«, sagte ich.»Tommy darf nicht.«

«Ich betrachte es als getan.«

Vergnügt ging sie weg, das Klemmbrett wieder an Ort und Stelle — eine Gewohnheit wohl ebensosehr wie eine Schutzmaßnahme.

Ich kehrte in die Bar zurück und verplemperte Zeit mit dem Barmann. Die engagierte Pokerrunde schien entschlossen, die ganze Nacht durchzuspielen, der Tanz im Gesellschaftsraum rief noch immer Gelächter hervor, und das Nordlicht entzückte die Getreuen auf dem Aussichtsdeck. Der Barmann gähnte und sagte, er werde die Bar bald schließen. Alkohol gab es nur bis Mitternacht.

Ich hörte Daffodils Stimme, bevor ich sie sah, so daß ich, als Filmer an der Bartür vorbeikam, gebückt mit eingezogenem Kopf hinter der Theke stand, als ob ich dort aufräumte. Ich hatte den Eindruck, daß sie im Vorübergehen allenfalls einen flüchtigen Blick hereinwarfen, während Filmer sagte:»… wenn wir nach Winnipeg kommen.«

«Sie meinen Vancouver«, sagte Daffodil.

«Ja, Vancouver.«

«Sie bringen das andauernd durcheinander…«

Ihre Stimme, die laut gewesen war wie seine auch, damit sie sich verstehen konnten, während einer vor dem anderen herlief, verklang, als sie sich durch den Gang entfernten — vermutlich unterwegs zum Bett.

Da Daffodils Abteil eines von den dreien gleich neben der Bar war, räumte ich ihnen etwas Zeit zum Gutenachtsagen ein, ehe ich langsam nach vorn ging. Sie waren nirgends zu sehen, als ich durch den Speisewagen kam, und Filmer war offenbar geradewegs in sein Abteil gegangen, denn unter seiner Tür schien ein Streifen Licht durch; mit Daffodil aber verhielt es sich anders. Anstatt behaglich zugedeckt in ihrem Bett nahe der Bar zu liegen, kam sie mir überraschend aus dem Abteil vor Filmers entgegen, und ihre Diamanten streuten kleine helle Feuer bei jedem Schritt.

Ich trat zur Seite, um sie durchzulassen, doch sie blieb glitzernd vor mir stehen und sagte:»Wissen Sie, wo Miss Lorrimore schläft?«

«In dem Wagen, aus dem Sie gerade kommen, Madam«, antwortete ich hilfsbereit.

«Ja, aber wo? Ich habe ihren Eltern versprochen, mich davon zu überzeugen, daß es ihr gutgeht.«

«Der Schlafwagensteward wird es wissen«, sagte ich.»Wenn Sie mir bitte folgen wollen?«

Sie nickte zustimmend, und als ich mich von ihr abwandte, um voranzugehen, dachte ich, daß sie genau besehen wahrscheinlich jünger war, als ich angenommen hatte, oder aber unreif für ihr Alter: ein sonderbarer Eindruck, flüchtig und schon wieder vorbei.

Der Schlafwagensteward, ein Mann in mittleren Jahren, hielt ein Nickerchen, war aber angekleidet. Entgegenkommend zeigte er Daffodil das Oberbett, in dem Xanthe schlief, doch die dicken Filzvorhänge waren fest geschlossen, und als Daffodil den Namen des Mädchens rief, kam keine Antwort. Der etwas väterliche Steward sagte, er sei sicher, daß sie friedlich schlafe, denn er habe gesehen, wie sie vom Waschraum am Wagenende zurückgekommen und in ihr Bett geklettert sei.

«Lassen wir’s dabei«, meinte Daffodil; es war schließlich nicht ihr Problem.»Gute Nacht also, und danke für Ihre Hilfe.«

Wir sahen zu, wie sie davonschwankte mit ihren hochgetürmten leuchtenden Locken und sich am Handlauf festhielt, eine zierliche Gestalt, deren intensiver Moschusduft zur Erinnerung in der Luft zurückblieb, als sie selber fort war. Der Schlafwagensteward seufzte tief ob soviel prächtiger Weiblichkeit und kehrte gleichmütig in sein Abteil zurück, und ich ging einen Wagen weiter vor, wo sich mein Bett befand.

George Burleys Tür, zwei Abteile vor meinem, stand weit offen, und ich sah, daß er angezogen aber leise auf seinem Sitz schnarchend die Festung hielt. Wie durch einen sechsten Sinn alarmiert, schreckte er hoch, als ich im Eingang stehenblieb, und sagte:»Was ist los, eh?«

«Soviel ich weiß, nichts«, sagte ich.

«Ach, Sie sind’s.«

«Tut mir leid, daß ich Sie geweckt habe.«

«Ich hab nicht geschlafen… na ja, gedöst vielleicht. Das bin ich gewöhnt. Ich war mein Leben lang bei der Eisenbahn, eh?«

«Eine Liebesaffäre?«

«Darauf können Sie Gift nehmen. «Er rieb sich gähnend die Augen.»In den alten Zeiten gab es viele große Eisenbahnfamilien. Vater und Sohn… Vettern, Onkel… es wurde weitergegeben. Mein Vater, mein Großvater, das waren Eisenbahner. Aber meine Söhne, eh? Die sitzen in großen Städten hinterm Schreibtisch und tippen auf Computern rum. «Er kicherte.

«Die Bahn wird heute auch vom Schreibtisch aus geführt, eh? Da hocken sie in Montreal und treffen Entscheidungen und haben noch nie einen Zug bei Nacht durch die Prärie pfeifen hören. Das haben die alle verpaßt. Heutzutage fliegen die hohen Tiere überallhin, eh?«Seine Augen glitzerten. Jeder, der kein schienenerprobter Eisenbahner war, war offensichtlich blöd.

«Damit Sie’s wissen«, sagte er,»ich hoffe, ich sterbe auf freier Strecke.«

«Aber noch nicht so bald.«

«Jedenfalls nicht vor White River.«

Ich sagte gute Nacht und ging in mein Abteil, wo der Schlafwagensteward ordnungsgemäß mein Bett heruntergelassen und eine Schokotrüffel aufs Kopfkissen gelegt hatte.

Ich aß die Trüffel. Sehr gut.

Ich zog die gelbe Weste mit dem weißen Futter aus und hängte sie auf einen Bügel, zog auch die Schuhe aus, doch ähnlich wie George fühlte ich mich noch im Dienst, und so löschte ich das Licht, legte mich aufs Bettzeug und sah zu, wie die schwarze Landschaft Kanadas vorüberglitt, während die kostenlose Polarshow am Himmel sich noch stundenlang hinzog. Da schienen breite, waagerechte Lichtbänder zu sein, die langsam ihre Stärke änderten, und hier und dort erstrahlten und verblaßten hellere Flecken geheimnisvoll vor den Tiefen der Ewigkeit. Es war eher friedlich als hektisch, ein Gaukelspiel von langsamen Sonnenauf- und — Untergängen, das zurückreichte bis zu den Fluted-Point-Menschen: zur Demut aufrufend. Was lag, vor dem Hintergrund von zehntausend Jahren gesehen, schon an Filmer und seinen Verfehlungen? dachte ich. Doch alles, was wir hatten, war das Hier und Jetzt, und hier und jetzt… zu jeder Zeit. mußte für das Gute gekämpft werden. Für Redlichkeit, Moral, Rechtschaffenheit, Ordnung, wie immer man es nannte. Ein langer, ewig wiederkehrender Kampf.