Im Hier und Jetzt hielten wir ohne Zwischenfall in White River. Ich sah George draußen unter der Bahnhofsbeleuchtung und beobachtete, wie er zum Ende des Zuges marschierte. Anscheinend waren die Lorrimores noch wohlbehalten bei uns, denn bald kam er ohne Hast oder Bestürzung zurück, und etwas später fuhr der Zug gewohnt unauffällig ab nach Westen.
Ich schlief ein paar Stunden und wurde noch im Dunkeln durch ein sachtes Klopfen an meiner Tür geweckt; wie sich herausstellte, war es Emil, voll angekleidet und voller
Entschuldigungen.
«Ich wußte nicht, ob ich Sie wecken sollte. Wenn es Ihnen ernst ist damit, wäre es jetzt Zeit, die Frühstückstische zu decken.«
«Es ist mir ernst«, sagte ich.
Er lächelte sichtlich zufrieden.»Zu viert geht es viel schneller.«
Ich sagte, ich käme sofort, und trabte gewaschen, rasiert und gebügelt nach rund zehn Minuten an. Oliver und Cathy waren bereits dort, hellwach. Die Küche war erfüllt von herrlichen Backstubendüften, und Angus meinte ebenso träge wie großzügig, er werde nicht hinsehen, wenn wir ein, zwei Scheiben von seinem Rosinenbrot äßen oder von seinem ApfelWalnuß-Kuchen. Simone sagte mürrisch, wir dürften nicht an die Croissants gehen, sonst würden sie nicht reichen. Es war fast wie in der Schule.
Wir legten die Gedecke auf, stellten auf jeden Tisch eine Solitärvase mit einer Nelke in frischem Wasser und falteten gewissenhaft rosa Servietten. Um Viertel nach sieben widmeten die ersten Frühstücksgäste sich ihren Benedikt-Eiern, und ich schenkte Tee und Kaffee ein, als wäre ich dazu geboren.
Um halb acht, im aufkommenden Tageslicht, hielten wir kurz an einem Ort, den die angemessen kleine Tafel auf dem kleinen Bahnhof als» Schreiber «auswies.
Von hier aus, überlegte ich, hatte der Fahrdienstleiter am Abend zuvor mit George und mir gesprochen — und während ich durchs Fenster auf die paar verstreuten Häuser sah, erschien George draußen und wurde von einem Mann begrüßt, der aus dem Bahnhof kam. Sie konferierten eine Weile, dann stieg George wieder ein, und der Zug setzte ruhig seinen Weg fort.
Ein aufsehenerregender Weg: Das ganze Frühstück hindurch verlief das Gleis am Nordufer des Lake Superior entlang, so dicht, daß der Zug manchmal über dem Wasser zu schweben schien. Die Fahrgäste ließen Oohs und Aahs vernehmen; die Unwins (Upper Gumtree) saßen mit den Besitzern Flokatis zusammen, die Redi-Hots mit einem Ehepaar, das pausenlos vom überragenden Können seines ebenfalls im Zug befindlichen Pferdes Wordmaster sprach.
Filmer kam allein, setzte sich an einen freien Tisch und bestellte Eier und Kaffee bei Oliver, ohne ihn anzusehen. Bald darauf erschienen die Youngs und gesellten sich lächelnd wie alte Bekannte zu Filmer. Ich fragte mich, ob er wohl unwillkürlich an Ezra Gideon, den guten Freund der Youngs, denken mußte, doch in seinem Gesicht war nichts als Höflichkeit zu lesen.
Xanthe schlenderte noch müde und zerzaust in den Kleidern von gestern herein und ließ sich auf den freien Sitz neben Filmer plumpsen. Interessanterweise bemühte er sich nicht, den Platz für Daffodil zu reservieren, sondern betete die Frage von Mrs. Young nach, wie Xanthe geschlafen habe.
Wie ein Sack offenbar, obwohl sie zu bedauern schien, daß sie nicht von permanenten Alpträumen berichten konnte. Mr. Young wirkte gelangweilt, als sei er das Thema längst leid, doch seine Frau behielt ihren liebenswürdig tröstenden Gesichtsausdruck ohne erkennbare Mühe bei.
Ich wartete ungeduldig auf Neil, und schließlich kam sie dann in einem glatten schwarzen Rock (schlimmer und schlimmer), mit steifer kaffeebrauner Bluse und schlichten goldenen Ohrringen. Ihr blondes Haar hatte sie kunstvoll zu einer Schnecke gedreht und am Hinterkopf mit einem breiten Schildpattkamm hochgesteckt: es sah damenhaft und kompetent aus, aber alles andere als kuschelig.
Leute, deren Namen ich noch nicht kannte, winkten ihr eifrig, sie solle sich zu ihnen setzen, und sie tat es mit dem hinreißenden Lächeln, das sie schon ein oder zweimal auf mich losgelassen hatte. Sie sagte Cathy, sie wolle keine Eier, hätte aber gerne Croissants und Kaffee, und bald darauf brachte ich ihr das Gewünschte, während sie mit züchtig niedergeschlagenen Augen dasaß und geflissentlich mein Vorhandensein ignorierte. Ich setzte Butter, Marmelade und Brot vor sie hin. Ich goß ihre Tasse voll. Sie meinte zu ihren Tischgefährten, es sei schön, auf dem ganzen Weg bis Vancouver handverlesenes Personal um sich zu haben.
Ich wußte, es war ein Spiel, aber ich hätte ihr mit Vergnügen den Hals umdrehen können. Ich wollte nicht, daß man mich auch nur ein bißchen wahrnahm. Ich ging weg, wandte mich noch einmal um, und meine Augen begegneten den ihren, die lachten. Es war so ein Blickwechsel, der mich sofort hätte aufmerken lassen, wenn ich ihn bei anderen gesehen hätte, und mir ging durch den Kopf, daß ich nahe daran war, meine Aufgabe zu vernachlässigen, und daß ich vorsichtiger sein sollte. Ich hätte sie nicht zu bedienen brauchen — ich hatte Cathy das Tablett abgenommen. Die Versuchung wird noch dein Verderben sein, Tor, dachte ich.
Außer Xanthe war Mercer der einzige Lorrimore, der beim Frühstück auftauchte, und er kam nicht, um zu essen, sondern bat Emil, Tabletts nach hinten in sein privates Eßzimmer zu schicken. Emil selbst und Oliver servierten alles Nötige, auch wenn Emil bei seiner Rückkehr sagte, das werde hoffentlich nicht beim Lunch und Dinner passieren, da es zuviel Zeit in Anspruch nehme.
Zimmerservice war gänzlich ausgeschlossen, doch gegen die Lorrimores war man nach Möglichkeit nicht ungefällig.
Daffodil erschien als letzte von allen, die glänzenden Locken tipptopp, setzte sich gutgelaunt gegenüber dem Filmer/Young-Tisch auf die andere Seite des Gangs und erkundigte sich, wie Xanthe die Nacht verbracht hatte. Die einzigen, die sich nicht die Mühe nahmen, danach zu fragen, waren offenbar die Angehörigen des fast verunglückten Mädchens. Xanthe plapperte los und erzählte Daffodil, sie habe sich hinter ihrem
Vorhang sicher und geborgen gefühlt. Als ich das nächste Mal langsam an ihrem Tisch vorbeiging, die Kaffeekanne zum Nachschenken bereit, drehte das Gespräch sich wieder um die Reise, und diesmal sagte Xanthe, sie finde Pferderennen im Grunde langweilig und wäre hier nicht mitgefahren, wenn ihr Vater sie nicht dazu gezwungen hätte.
«Wie hat er Sie denn gezwungen?«fragte Filmer interessiert.
«Oh!«Sie klang plötzlich nervös und wich einer Antwort aus.
«Er hat ja auch Sheridan gezwungen mitzukommen.«
«Aber warum, wenn Sie beide nicht wollten?«Das war Daffodil, hinter meinem Rücken.
«Er hat uns gern da, wo er uns sehen kann, sagt er. «Groll und Bitterkeit schwangen in ihrem Ton, aber auch, wie mir schien, die realistische Einsicht, daß ihr Vater es am besten wußte; und wenn man von Sheridans bisherigem Verhalten ausging, war der Sohn unter dem geduldigen Auge seines Vaters fraglos am sichersten aufgehoben.
Das Gespräch verklang hinter mir, und ich hielt an, um die Tassen bei den Unwins nachzufüllen, wo man erörterte, daß Upper Gumtree noch eine Spur besser sei als Mercers Premiere, der auf dem Straßenweg nach Winnipeg kommen würde.
Bald darauf kam George Burley in den Speisewagen und redete eine Weile mit Nell, die anschließend von Tisch zu Tisch ging, das Klemmbrett vor Ort, und wiederholte, was er gesagt hatte.