George nickte und sagte, der Wasservorrat des ganzen Zuges sei dort erneuert worden.
«Vor Thunder Bay«, sagte ich,»hätte da jemand was ins Wasser tun können?«
«Natürlich nicht. Ich habe Ihnen doch schon hundertmal gesagt, daß ich die ganze Zeit hier bin.«
«Und wie vertrauenswürdig schätzen Sie die einzelnen Pfleger ein?«
Sie öffnete den Mund, schloß ihn wieder und blickte mich scharf an.
«Ich bin hier, um sie zu beaufsichtigen«, sagte sie.»Bis gestern habe ich keinen von ihnen gekannt. Ich weiß nicht, ob man da einen bestechen könnte, damit er das Wasser vergiftet. Meinen Sie das?«
«Es ist realistisch«, sagte ich lächelnd.
Sie war nicht zu besänftigen, durch nichts milder zu stimmen.
«Mein Stuhl«, sagte sie gedehnt,»steht, wie Sie sehen, neben dem Wassertank. Ich sitze hier und schaue. Ich glaube nicht… um es zu wiederholen, ich glaube nicht, daß sich irgend jemand am Wasser zu schaffen gemacht hat.«
«M-hm«, sagte ich beruhigend.»Aber Sie könnten doch die Pfleger mal fragen, ob sie vielleicht etwas Verdächtiges bemerkt haben.«
Sie wollte automatisch den Kopf schütteln, hielt dann aber inne und zuckte die Achseln.»Ich frage sie, aber die haben nichts gesehen.«
«Und vorsichtshalber«, sagte ich,»für den Fall, daß es zum Schlimmsten kommt und wir erkennen müssen, daß mit den Pferden etwas gedreht worden ist, möchte ich eine Probe vom Tankinhalt entnehmen und auch von dem, was jetzt in ihren Eimern ist. Dagegen haben Sie doch nichts einzuwenden, Miss Brown, oder?«
Widerwillig sagte sie, sie habe nichts dagegen. George erbot sich, loszugehen und geeignete Gefäße zu besorgen, und kehrte bald darauf mit einer Spende des chinesischen Kochs im Aussichtswagen zurück, nämlich vier dem Mülleimer entrissenen und ausgespülten Tomatensaucenflaschen aus Plastik.
George und Leslie Brown entnahmen eine Probe aus dem Tank, die sie auf einen guten Vorschlag des Drachen hin vom unteren Hahn zapften, aus dem auch die Eimer gefüllt wurden. Ich ging zu Voting Right, Laurentide Ice und Upper Gumtree, und alle erlaubten mir großzügig, ihren Trinkvorrat anzugreifen. Mit Leslie Browns Kuli schrieben wir die Herkunft jeder Probe auf das Saucenetikett und steckten alle vier Behälter in eine Plastiktragetasche, die Leslie Brown griffbereit hatte.
Als ich die Beute in der Hand hatte, dankte ich ihr, daß sie so freundlich gewesen war, unsere Fragen zu beantworten und uns zu helfen, und George und ich zogen ab.
«Was denken Sie?«sagte er, als wir den Rückweg durch den Zug antraten.
«Ich denke, sie ist sich jetzt nicht mehr ganz so sicher.«
Er lachte leise.»Von jetzt an wird sie doppelt vorsichtig sein.«
«Wenn es bloß nicht schon zu spät ist.«
Er schaute drein, als wäre das ein toller Witz.»Wir könnten den Tank in Winnipeg leeren, ihn ausschrubben und neu füllen lassen«, sagte er.
«Zu spät. Wenn da was drin ist, war es schon vor Thunder Bay drin, und dann haben die Pferde davon getrunken. Manche Pferde trinken sehr viel Wasser… aber sie sind ein bißchen pingelig. Sie rühren es nicht an, wenn sie den Geruch nicht mögen. Wenn beispielsweise Spuren von Seife drin sind, oder von Öl. Sie würden präpariertes Wasser nur trinken, wenn ihnen der Geruch zusagt.«
«Sie kennen sich ja gut aus«, bemerkte George.
«Ich habe die meiste Zeit meines Lebens auf die eine oder andere Art in der Nähe von Pferden verbracht.«
Wir erreichten sein Büro, und er sagte, er müsse vor dem nächsten 10-Minuten-Halt in Kenora noch Papierkram erledigen. Wir würden um zwanzig nach fünf dort sein, meinte er, also schon bald. Wir lägen dreißig Minuten hinter dem Canadian. An manchen Orten brauche der Rennexpreß eigentlich nicht zu halten, er tue es nur, um den Abstand zum Canadian zu wahren. Halten müßten wir immer dort, wo die Züge mit Wasser und Kraftstoff versorgt würden und der Müll abgeführt werde.
Nirgends auf unserem Weg zum Pferdewaggon und zurück hatte ich den Mann mit dem hageren Gesicht gesehen. George hatte mich auf jemanden im Dayniter hingewiesen, doch das war nicht der Richtige: grauhaarig zwar, aber zu krank, zu alt aussehend. Der Mann, den ich suchte, war um die Fünfzig, schätzte ich, vielleicht auch jünger und noch kräftig, noch nicht so abgebaut.
Irgendwie, dachte ich, hatte er mich an Derry Welfram erinnert. Weniger massig als der tote Angstmacher und nicht so elegant, aber derselbe Menschenschlag. Die Sorte, die sich Filmer naturgemäß herauszupicken schien.
Ich setzte mich für eine Stunde in mein Abteil, blickte hinaus auf die gleichbleibende Landschaft und versuchte mir vorzustellen, was es sonst noch sein könnte, wofür Filmer bezahlt hatte. Das Ganze lief verkehrt herum, dachte ich. Es war eher üblich, das Verbrechen zu kennen und nach dem Täter zu suchen, als den Verbrecher zu kennen und nach seinem Verbrechen zu suchen.
Die Flaschen mit den vier Wasserproben standen in der Plastiktüte auf dem Boden meines Abteils. Um etwas Schädliches in diesen Tank hineinzubekommen, hätte der Hagere zweifellos einen Pfleger bestechen müssen. Er selbst gehörte nicht zu den Pferdepflegern, obwohl er irgendwann, irgendwo vielleicht einmal einer gewesen war. Die Pfleger im Zug waren durchweg jünger, dünner und, soweit ich sie in ihrer T-Shirt-Stammestracht erlebt hatte, weniger selbstbewußt. Ich konnte mir nicht vorstellen, daß einer von ihnen den Nerv gehabt hätte, Filmer gegenüberzutreten und sein Geld zu fordern.
Während des Kurzaufenthalts in dem kleinen Ort Kenora lehnte ich mich aus der offenen Einstiegstür hinter Georges Abteil und sah zu, wie er auf der Bahnhofsseite des Zuges draußen ein gutes Stück auf und ab ging, um nach dem Rechten zu sehen. Der Wagen der Lorrimores war offensichtlich noch fest angekuppelt. Vorn hinter der Lokomotive verluden zwei Gepäckarbeiter einen kleinen Stapel Kisten. Ich lehnte mich eine Weile aus der Tür auf der anderen Seite des Zuges, aber dort lief überhaupt niemand herum. George stieg wieder ein und schloß die Türen, und bald darauf fuhren wir unserem letzten Halt vor
Winnipeg entgegen.
Ich wünschte mir innigst die Gabe, in Filmers Kopf zu sehen. Wie gern hätte ich durchschaut, was er plante. Ich kam mir blind vor und sehnte mich nach dem zweiten Gesicht. Da es mir jedoch an solchen übermenschlichen Fähigkeiten mangelte, blieb wie üblich nur normales Beobachten und Geduld, und beides erschien mir unzureichend und lahm.
Ich ging zum Speisewagen durch und stellte fest, daß Zak an einigen Tischen bereits Schauspieler für die doppelt lange Cocktailstundenszene postiert hatte. Er und Nell einigten sich gerade darauf, daß die Darsteller nach der Szene wieder gehen sollten (alle außer Giles-der-Mörder), auch wenn sie ungern die ganze Zeit ausgeschlossen waren und sich darüber beklagten.
Emil, der Tischdecken auflegte, sagte, nur Wein sei im Fahrpreis inbegriffen, alle anderen Cocktails müßten bezahlt werden, und ich solle vielleicht mal nur Wein servieren; er, Oliver und Cathy würden den Rest übernehmen. Einverstanden, sagte ich, während ich Aschenbecher und Solitärvasen verteilte. Ich könne auch die Weingläser bringen, sagte Emil. Ein Glas für roten, eins für weißen Wein an jeden Platz.
Die Fahrgäste drifteten von ihren Abteilen und vom Aussichtswagen herein und fanden sich zu mittlerweile vorher sagbaren Gruppierungen. Obwohl Bambi Lorrimore und Daffodil Quentin meiner Ansicht nach zusammenpaßten wie Salz und Erdbeeren, saßen die beiden Frauen sich erneut gegenüber, gebunden durch die Anziehung zwischen ihren männlichen Begleitern. Als ich die Weingläser auf ihren Tisch stellte, erörterten Mercer und Filmer gerade die internationale Pferdezucht von der Wechselkurssituation her. Daffodil erzählte Bambi, es gebe ein süßes kleines Juweliergeschäft in Winnipeg.
Xanthe klammerte sich immer noch an Mrs. Young. Mr. Young wirkte außerordentlich gelangweilt.
Sheridan hatte Bekanntschaft mit dem Mörderdarsteller Giles geschlossen, ein etwas bizarres Zusammentreffen, das noch merkwürdige Folgen haben konnte.