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Die Zuschauer tobten. Das Geld war auf Premiere. Das Gebrüll hätte man bis Montreal hören können. Die kanadischen Rennsportbehörden erlebten erneut ein Rennexpreß-

Sonderrennen mit einem phantastischen, glänzenden Finish… und Mercer, der gute Miene dazu machte, wurde wieder Zweiter.

Es waren die Unwins, die im Taumel der Begeisterung Upper Gumtree zum Absattelplatz für den Sieger führten. Die Unwins aus Australien, die alles, was nah genug war (einschließlich des Pferdes), umarmten und küßten. Die Unwins, die fotografiert wurden, einer links, einer rechts von ihrem schnaufenden Sieger, um dessen Schultern jetzt eine lange, prächtige Blütendecke lag. Die Unwins, die den Ehrenpreis, den Scheck und die Reden entgegennahmen vom Präsidenten des Rennvereins und den hohen Tieren des Jockey Club; ihre Erinnerungen an den Tag würden die süßesten sein.

Ich freute mich für sie, ließ das Fernglas sinken, durch das ich sogar die Tränen auf Mrs. Unwins Wangen hatte sehen können, und dort unter mir, vor der Tribüne, stand der Mann mit dem hageren Gesicht und blickte zu den Vereinsfenstern hinauf.

Fast zitternd vor Hast nahm ich das Fernglas wieder hoch, fand ihn, ging auf Autofokus, drückte den Auslöser, hörte das leise Klicken der Blende: hatte ihn im Kasten.

Es war meine einzige Chance gewesen. Noch ehe der Film weitergerollt war, hatte er die Augen gesenkt und weggeschaut, so daß ich nur seine Stirn und sein graues Haar sehen konnte; und innerhalb von zwei Sekunden war er auf die Tribüne zumarschiert, heraus aus meinem Blickfeld.

Ich ahnte nicht, wie lange er dort gestanden hatte. Ich war zu sehr durch die Freude der Unwins abgelenkt gewesen. So schnell ich konnte, ging ich die Tribüne hinunter, und das war viel zu langsam, da alle anderen dasselbe machten.

Zurück auf ebener Erde, konnte ich den Hageren nirgends entdecken. Die Massen waren in Bewegung, versperrten überall die Sicht. Das Sonderrennen war der Höhepunkt gewesen, und es stand zwar noch ein Rennen auf dem Programm, doch schien das niemand sonderlich zu interessieren. Jede Menge rotweiße Rosetten, Baseballmützen, T-Shirts und Luftballons waren auf dem Weg zum Ausgang.

Die Unwins mit Gefolge verschwanden im Eingang der Vereinstribüne, zweifellos zu weiterem Champagner und Zeitungsinterviews, und wahrscheinlich waren alle anderen Besitzer auch dort drinnen. Wenn der Hagere zu den Vereinsfenstern hochgeschaut hatte in der Hoffnung, Filmer zu sehen — oder von Filmer gesehen zu werden —, dann kam Filmer vielleicht runter, um mit ihm zu reden, und ich kriegte sie gemeinsam vor die Linse, was sich eines Tages als nützlich erweisen könnte. Wartete ich einfach, würde es vielleicht passieren.

Ich wartete einfach.

Filmer kam schließlich herunter, aber mit Daffodil. Der Hagere trat nicht an sie heran. Sie stiegen in ihren chauffeurgesteuerten Schlitten und wurden Gott weiß wohin kutschiert, und ich dachte frustriert an die Zeit und wie wenig davon in Winnipeg noch blieb. Es war schon fast sechs; heute abend würde ich nirgends einen offenen Fotoschnelldienst finden, und ich mußte zurück ins Sheraton, meine Tasche abholen und um halb acht oder wenig später wieder im Zug sein.

Ich zog mich in die Toilette zurück, nahm den Film aus der Kamera und schrieb eine kurze Notiz dazu. Dann rollte ich Film und Notiz in ein Papierhandtuch ein und ging hinaus, um Bill Baudelaire zu suchen; da Filmer uns nicht sehen würde, konnte ich ihn auf dem Gelände wohl ruhig einmal ansprechen. Ich hatte ihn den ganzen Nachmittag hin und wieder von weitem gesehen, aber jetzt, wo ich ihn brauchte, war sein rotes Haar nirgends in Sicht.

Zak kam mit Donna herüber und bot mir an, in ihrem Bus mit in die Stadt zurückzufahren, und genau in diesem Moment sah ich nicht Bill Baudelaire selbst, aber jemanden, der zu den

Besitzern gehen könnte, wo Tommy nicht zugelassen war.

«Wann fährt der Bus?«fragte ich Zak schnell, schon einen Sprung weg von ihm.

«In zwanzig Minuten… vom Vorplatz. Es ist ein Transparent dran.«

«Dann komme ich hin. Danke.«

Ich legte im Eilschritt eine ziemliche Strecke zurück, ohne direkt zu laufen, und holte die wohlgeformte Rückansicht eines dunkelhaarigen Mädchens ein, das einen roten Mantel mit einem breiten weißen, goldbeschlagenen Gürtel trug.

«Nancy?«sagte ich hinter ihr.

Sie drehte sich überrascht um und sah mich fragend an.

«Ehm…«sagte ich,»du hast gestern eine Erfrischung für Bill Baudelaires Tochter bei mir abgeholt.«

«Ach ja. «Sie erkannte mich verspätet.

«Weißt du zufällig, wo ich ihn jetzt finden könnte?«

«Er ist oben im Verein und stößt mit den Siegern an.«

«Könntest du… könntest du vielleicht noch mal was bei ihm abgeben?«

Sie zog die sommersprossige Teenagernase kraus.»Ich bin grad erst runter, um frische Luft zu schnappen. «Sie seufzte.»Ach, na gut. Er würde wahrscheinlich wollen, daß ich’s mache, wenn Sie drum bitten. Sieht aus, als ob er Sie in Ordnung findet. Was soll ich ihm denn diesmal bringen?«

Ich gab ihr das Papierhandtuch-Päckchen.

«Weisung?«fragte sie.

«Es liegt ein Brief bei.«

«Echte Mantel-und-Degen-Affäre.«

«Herzlichen Dank auch, und… ehm, gib es ihm unauffällig.«

«Was ist denn drin?«fragte sie.

«Ein Film mit Fotos von den heutigen Rennen.«

Sie wußte nicht recht, ob sie enttäuscht sein sollte.

«Verlier es nicht«, sagte ich.

Das gefiel ihr offenbar schon besser, und sie grinste mich über die Schulter an und spazierte zum Tribüneneingang. Ich hoffte, sie würde oben keine große Schau mit der Übergabe abziehen, beschloß aber für alle Fälle, mich nirgends aufzuhalten, wo sie mich sehen und den Besitzern zeigen könnte. Also ging ich zum vorderen Ausgang hinaus, fand den Schauspielerbus mit dem Erlebnis-und-Rennexpreß-Transparent und mischte mich unter die darin versammelte Truppe.

Im großen ganzen hatten die Schauspieler zwar auf Premiere gesetzt (was sonst?), waren aber zufrieden, weil man sie des längeren fürs Fernsehen interviewt hatte. Viele Rennbegeisterte von Winnipeg, berichtete Zak, hatten gefragt, wie sie in den Zug kommen könnten.»Ich muß sagen«, meinte er gähnend,»die ganze Reklame dafür hat wirklich eingeschlagen.«

In der Bekanntheit und dem Erfolg, dachte ich, lag die Gefahr. Je mehr Augen in Kanada, Australien und England auf den Zug gerichtet waren, um so mehr könnte Filmer darauf aus sein, ihn in Mißkredit zu bringen. Könnte… könnte. Ich wachte über einen wandernden Schatten; wollte etwas verhindern, das vielleicht gar nicht geschah, suchte nach der Absicht, um ihrer Verwirklichung zuvorzukommen.

Als der Bus mich an einer günstigen Ecke in der Stadt absetzte, ging ich zu Fuß zum Sheraton und sprach dort von einer Telefonzelle aus mit Mrs. Baudelaire.

«Bill rief mich vor zehn Minuten von der Rennbahn an«, sagte sie.»Sie hätten ihm einen Film geschickt und nicht angegeben, wo die Fotos hin sollen.«

«Ruft er Sie noch mal an?«fragte ich.

«Ja, ich sagte ihm, ich würde Sie bald sprechen.«»Gut, also der Film enthält nur eine Aufnahme. Sonst ist er leer. Richten Sie Bill bitte aus, daß der Mann auf dem Foto der Verbündete unserer Zielperson ist. Sein Verbündeter im Zug. Würden Sie fragen, ob Bill ihn kennt? Fragen Sie, ob ihn irgend jemand kennt. Und falls etwas über ihn bekannt ist, was mich weiterbringen könnte, soll er Sie bitte informieren, damit ich es von Ihnen erfahre.«

«Himmel«, sagte sie.»Das muß ich erst mal klarziehen. «Sie unterbrach sich, schrieb.»Im wesentlichen, wer er ist, was er macht und ob Ihnen das, was er macht, weiterhelfen kann.«

«Ja«, sagte ich.

«Und möchten Sie einen Abzug von dem Foto?«

«Ja, bitte. Fragen Sie, ob es sich einrichten läßt, daß der Abzug bis morgen abend oder übermorgen früh im Chateau Lake Louise bei Nell Richmond ist.«