«Schwierig«, bemerkte sie.»Die Post ist unmöglich.«
«Nun, vielleicht könnte morgen früh jemand nach Calgary fliegen«, schlug ich vor.»Eventuell sogar unseren Zug dort abpassen. Wir kommen um zwanzig vor eins an und fahren weiter um halb zwei. Wahrscheinlich ist die Zeit zu knapp, aber wenn’s doch geht, soll Bill das Kuvert an den Zugführer, George Burley, adressieren. Ich gebe George Bescheid.«
«Mein lieber junger Mann«, sagte sie,»lassen Sie mich das alles mal aufschreiben.«
Ich wartete, während sie es tat.
«Also«, sagte sie.»Entweder George Burley im Zug oder Nell Richmond im Chateau Lake Louise.«
«Richtig. Ich rufe Sie bald wieder an.«
«Nicht auflegen«, sagte sie.»Ich habe eine Nachricht von Val Catto für Sie.«
«Ah, gut.«
«Er sagte… und das ist jetzt O-Ton… >Gestohlenes
Beweismaterial ist vor Gericht nicht verwendbar, aber in Erfahrung gebrachte Fakten lassen sich überprüfenc. «Das belustigte Verständnis klang hell aus ihrer Stimme.»Womit er sagen will, schauen Sie mal rein, aber Finger weg.«
«Ja.«
«Und er sagte, Sie sollen an sein Motto denken.«
«Okay.«
«Was ist sein Motto?«fragte sie neugierig, wollte es offensichtlich gern wissen.
«Erst denken, dann handeln, so man Zeit hat.«
«Hübsch«, meinte sie befriedigt.»Er bat mich, Ihnen mitzuteilen, daß er schwer an den unbekannten Zahlen arbeitet und daß Sie sich nicht der Gefahr einer Verhaftung aussetzen sollen.«
«In Ordnung.«
«Rufen Sie mich morgen von Calgary an«, sagte sie.»Dann ist in England schon Abend. Val hat einen ganzen Tag für die Zahlen gehabt.«
«Sie sind fabelhaft.«
«Und ich werde Ihnen sagen, wann Sie Ihre Fotos kriegen.«
Es klickte, und weg war sie, und ich vermochte kaum zu glauben, daß ich jemals an ihr als Schaltstelle gezweifelt hatte.
Der Zug war vom Abstellgleis hereingekommen und stand warm und pulsierend auf dem Bahnhof, die Lok wieder angefügt, Pferde und Pfleger an Bord, Eis und frische Lebensmittel aufgeladen.
Es war, als sähe ich einen alten Freund wieder, vertraut und geradezu gemütlich. Ich zog mir in meinem Abteil Tommys Uniform an und ging zum Speisewagen durch, wo Emil, Oliver und Cathy mich beiläufig begrüßten wie einen, der klar zur Mannschaft gehört. Wir legten sofort die rosa Tischtücher auf und stellten frische Blumen in die Vasen, und Angus mit seiner großen weißen Mütze, der inmitten von Dampfschwaden» Sweet Bonny Boat «pfiff, verwandte sein Können auf weißen Reis und Kammmuschelfleisch in Parmesansauce, während Simone ziemlich verbissen Salat schnitt.
Die Fahrgäste kehrten lange vor acht Uhr in gehobener Stimmung zurück, Mercer begleitet von einem Gepäckträger, der eine Kiste edelsten Schampus herbeikarrte, eigens zum Anstoßen auf den Erfolg der Unwins. Die Unwins selbst — und es war unmöglich, ihnen ihre große Stunde zu mißgönnen — sagten immer wieder, es sei toll, einfach toll, daß tatsächlich ein Pferd aus dem Zug eines der Rennen gewonnen habe, dadurch lohne sich die Sache erst so richtig, und die ganze in den Speisewagen wandernde Gesellschaft stimmte in echter Partylaune zu und klatschte Beifall.
Filmer, sah ich mit Interesse, während ich Gläser verteilte, lächelte charmant nach allen Seiten, obwohl ihm wahrscheinlich doch nichts so unlieb war wie der Riesenerfolg, als der das Zugunternehmen sich erwies.
Daffodil hatte ein funkelndes purpurrotes Kleid angezogen und zeigte sich nicht verstimmt über den fünften Platz von Pampering. Sie war wie gewohnt freundlich zu der frostigeren Bambi, die in hellem Türkis und Perlen erschienen war.
Mercer kam zu Emil und sorgte sich, daß der Sekt nicht kühl genug sei, doch Emil versicherte ihm, er habe alle zwölf Flaschen zwischen den zahlreichen Plastiktüten mit Eiswürfeln gelagert; bis der Zug abfuhr, würden sie genau richtig sein.
Die Youngs, deren Slipperclub den dritten Platz belegt hatte, wurden von den überglücklichen Unwins umarmt und eingeladen, sich an ihren Tisch zu setzen, so daß die armen Flokatis bei anderen Trost suchen mußten, deren Hoffnungen auch im letzten Bogen erloschen waren. Sheridan Lorrimore erzählte einem gutmütig-geduldigen Ehepaar haarklein von seinen Eishockey-Großtaten, und Xanthe, schmollend und beleidigt, weil Mrs. Young sie vorübergehend im Stich gelassen hatte, war neben Giles-dem-Mörder gelandet, der, wenn ich mich nicht sehr täuschte, im wirklichen Leben Jungen bevorzugte.
Der Expreß verließ Winnipeg pünktlich um zwanzig nach acht, und ich setzte meine ganze Energie und Aufmerksamkeit daran, ein guter, normaler Kellner zu sein, auch wenn ich mir der unheilvollen Gestalt, die nach vorn zu am dritten Tisch vor der Küche direkt am Gang saß, ständig bewußt war. Ich begegnete nie Filmers Blicken und glaube nicht, daß er besondere Notiz von mir nahm, doch mit der Zeit wurden wir alle — Emil, Oliver, Cathy und ich — den Fahrgästen zwangsläufig vertrauter. Mehrere von ihnen erkundigten sich, ob wir zum Pferderennen gegangen waren (wir waren alle dort gewesen) und ob wir auf den Sieger gesetzt hatten (nein, hatten wir nicht). Zum Glück hatte Mercer sich mit Emil darüber unterhalten und fand es unnötig, mich auch noch zu fragen, so daß ich mit meinem englischen Akzent nicht allzuviel an seinem Tisch zu reden brauchte.
Die Partystimmung hielt sich während des ganzen Abendessens, begleitete auch eine kurze szenische Einlage von Zak, der erklärte, daß der Mountie in Winnipeg geblieben sei, um vom Boden aus zu ermitteln, und stieg danach noch mächtig an, als man im Aussichtswagen wieder lachend auf unsicheren Beinen tanzte.
Nell, die in dem weniger engen schwarzen Rock, den sie diesmal zu ihrer tadellos sitzenden weißen Seidenbluse trug, nicht ganz so förmlich wirkte, lief umher und sagte mir im Vorübergehen, daß Cumber und Rose im Chateau Lake Louise eine ähnliche Party geben wollten.
«Wer?«fragte ich.
«Cumber und Rose. Mr. und Mrs. Young.«
«Oh.«
«Ich war heute die meiste Zeit mit ihnen zusammen. «Sie lächelte kurz und ging weiter. Kein Klemmbrett, fiel mir auf.
Cumber und Rose, dachte ich beim Einsammeln der Aschenbecher. So, so. Rose paßte sehr gut zu Mrs. Young. Cumber klang nach Kummer und hatte wohl auch etwas für sich, obgleich Mr. Young kein Trauerkloß war; ein bißchen schwerblütig vielleicht, aber nicht schwunglos.
Mercer und Bambi luden Filmer und Daffodil wieder in ihren Privatwagen ein, doch war es diesmal Oliver, der sie mit einer Schüssel Eis versorgte. Mercer kam nach einiger Zeit zurück, um auch die Unwins und die Youngs zu holen, und überall ging das fröhliche Treiben unbekümmert weiter.
Nach Mitternacht sagte Nell, sie werde schlafen gehen, und ich begleitete sie durch den Zug zu ihrem Abteil, fast direkt gegenüber meinem. Sie blieb in der Tür stehen.
«Es läuft gut, finden Sie nicht?«sagte sie.
«Großartig. «Das meinte ich ernst.»Sie haben hart dafür gearbeitet.«
Wir schauten uns an, sie in geschäftsmäßigem Schwarzweiß, ich in meiner gelben Weste.
«Was sind Sie wirklich?«sagte sie.
«Neunundzwanzig.«
Ihre Mundwinkel zuckten.»Eines Tages knacke ich Ihre Abwehr schon noch.«
«Ihre ist schon halb hin.«
«Wie meinen Sie das?«
Ich schlug die Arme vor meine Brust.»Kein Klemmbrett«, sagte ich.
«Ach… na ja… heute abend brauchte ich das nicht.«
Sie war nicht gerade verlegen. Ihre Augen lachten.
«Das dürfen Sie nicht«, sagte sie.
«Was darf ich nicht?«
«Mir einen Kuß geben.«
Ich hatte es gewollt. Sie hatte es mir genau angesehen.
«Wenn Sie mit in meine Klause kommen, darf ich es«, sagte ich.
Sie schüttelte lächelnd den Kopf.»Ich verspiele doch nicht meine Glaubwürdigkeit hier im Zug, indem ich zulasse, daß man mich aus dem Schlafzimmer eines Angestellten kommen sieht.«