Daffodil nahm die schlechte Nachricht schweigend auf, stubste aber mit einigen heftigen Stößen und einem langen abschließenden Daumendruck ihre Zigarette aus. Die Flokatis sahen sie unsicher an und fragten, ob sie etwas für sie tun könnten.
Sie schüttelte den Kopf. Sie schien wütend und den Tränen nahe, hatte sich aber entschieden in der Gewalt.
«Geben Sie mir Kaffee«, sagte sie zu mir, und zu den Flokatis:
«Ich glaube, ich steige in Calgary aus. Ich glaube, ich fahre nach Hause.«
Kleine Bewegungen retteten mich, sonst hätte ich ihr die braune Flüssigkeit glatt über die Hand geschüttet.
«Aber nein!«riefen die Flokatis sofort bekümmert.»Tun Sie doch so was nicht. Ihr Pferd lief gestern ausgezeichnet, auch wenn es nur Fünfter geworden ist. Unseres wurde beinah Letzter… und wir fahren auch weiter. Sie dürfen nicht aufgeben. Außerdem haben Sie doch Laurentide Ice noch, für Vancouver.«
Daffodil schaute sie wie abwesend an.»Es ist nicht wegen gestern«, sagte sie.
«Aber weshalb dann?«
Daffodil sagte es ihnen nicht. Vielleicht wollte sie nicht; vielleicht konnte sie nicht. Sie kniff bloß die Lippen zusammen, schüttelte ihren Lockenkopf und kramte eine neue Zigarette hervor.
Da die Flokatis keinen Kaffee mehr wollten, konnte ich nicht länger bleiben und zuhören. Ich wechselte auf die andere Seite des Gangs und spitzte meine Ohren, doch die Flokatis erfuhren offenbar nichts Näheres von Daffodil, die nur noch entschlossener wiederholte, sie wolle nach Hause.
Nell in ihrem schlichten schwarzen Rock, das Klemmbrett in Bereitschaft, unterhielt sich vorn bei der Küche immer noch mit Fahrgästen. Ich ging mit meiner fast leeren Kaffeekanne durch und winkte unauffällig zum Küchenvorraum hin, den sie bald darauf mit fragend erhobenen Augenbrauen betrat.
«Daffodil Quentin«, sagte ich, in die Kaffeekanne schauend,»ist so aufgebracht, daß sie den Zug verlassen will. Sie hat es den Flokatis gesagt, nicht mir… Sie wissen’s also nicht, okay?«
«Aufgebracht worüber?«Nell war bestürzt.
«Hat sie ihnen nicht erzählt.«
«Danke«, sagte sie.»Ich will sehen, was ich tun kann.«
Erregte Gemüter beruhigen, für lächelnde Gesichter sorgen; all das gehörte zu ihrer täglichen Arbeit. Sie machte sich wie von ungefähr auf den Weg durch den Speisewagen, und ich ging in die Küche, um meine Mission zu beenden. Bis ich mit einer vollen Kanne wieder herauskam, war Nell bei Daffodil angelangt, stand neben ihr und hörte zu. Nell bat die an
Nachbartischen sitzenden Youngs und Unwins um Hilfe, und bald darauf war Daffodil von einer Gruppe von Leuten verdeckt, die sie umzustimmen versuchten.
Ich mußte ziemlich lange warten, bis ich hörte, was da lief, aber schließlich ging die ganze kleine Schar mit Daffodil hinten hinaus zum Aussichtswagen, und Nell kam wieder in den Vorraum. Sie erzählte es mir ratenweise, während ich hin und her tippelte, um die Frühstückstische abzuräumen, und jedesmal kurz bei ihr stehenblieb.
«Cumber und Rose…«Die Youngs, dachte ich.»Cumber und Rose und auch die Unwins sagen, daß gestern abend nichts passiert ist — sie haben sich im Wagen der Lorrimores alle glänzend unterhalten. Schließlich sagte Daffodil, daß sie nach der Party noch eine Meinungsverschiedenheit mit Mr. Filmer gehabt hat. Sie konnte kaum schlafen und weiß nicht genau, was sie tun soll, aber sie hat keine Lust mehr, mit Laurentide Ice nach Vancouver zu fahren, und ihr graut vor der Weiterreise. Die Youngs haben sie überredet, mit ihnen aufs Aussichtsdeck zu gehen, um darüber nachzudenken, aber ich glaube wirklich, sie meint es ernst. Sie ist stocksauer.«
«M-hm. «Ich brachte die letzten Frühstücksreste in die Küche und drückte mich unter Entschuldigungen vor dem Abwasch.
«Wie kann Mr. Filmer Daffodil bloß so aufgeregt haben?«rief Nell aus.»Sie hat sich offensichtlich amüsiert, und er ist so ein netter Mann. Alle dachten, sie kämen blendend miteinander aus. «Sie hielt inne.»Mr. Unwin glaubt, es ist ein Liebesstreit.«
«So?«Ich überlegte.»Ich glaube, ich werde mal den Zug erkunden. Nachsehen, ob sich sonst noch was tut.«
Vielleicht hatte Daffodil Avancen gemacht und war zu schroff abgewiesen worden, dachte ich. Vielleicht auch nicht.
«Mr. Filmer ist nicht zum Frühstück gekommen«, sagte Nell.
«Die ganze Sache ist sehr beunruhigend. Und gestern abend waren alle noch so zufrieden.«
Wenn Daffodils Reiseabbruch das Schlimmste war, was geschah, dachte ich, wären wir noch gut davongekommen. Ich ließ Nell allein, wanderte den Gang hinauf und erreichte schon bald Filmers Abteiltür, die wenig Aufschluß gab, da sie geschlossen war.
Ich wandte mich an den Schlafwagensteward weiter vorn im Wagen, der eben dabei war, die Betten für den Tag hochzuklappen und die Sitze herzurichten.
«Mr. Filmer? Der ist noch in seinem Abteil, soviel ich weiß. Er war ein bißchen grantig zu mir, meinte, ich solle mich beeilen. Sonst ist er nicht so. Er aß irgendwas und hatte da auch eine Thermosflasche stehen. Solche Passagiere haben wir allerdings öfter. Sie halten es nachts nicht aus, ohne die Kühlbox leerzufuttern oder so.«
Ich nickte unverbindlich und ging weiter, dachte aber bei mir, wenn Filmer Essen und eine Thermosflasche zum Frühstück mit an Bord genommen hatte, dann mußte er schon in Winnipeg gewußt haben, daß er das brauchen würde — folglich war der Streit gestern abend geplant und nicht von Daffodil verursacht worden.
George Burley schrieb im Dienstabteil an seinem Bericht.
«Guten Morgen«, sagte er strahlend.
«Was macht der Zug?«
«Die Schlafwagenstewards vorne drohen alles hinzuschmeißen, eh? wegen des Erbrochenen in den Toiletten.«
«Pfui.«
Er lachte leise.»Ich habe in Winnipeg eine Extraladung Desinfektionsmittel kommen lassen«, sagte er.»Die Reisekrankheit macht sie fertig, wissen Sie.«
Ich schüttelte den Kopf über sein genüßliches Grinsen und eilte weiter, hielt wie immer Ausschau nach dem Hageren, wollte vor allem aber zu den Pferden.
Leslie Brown, hohläugig vor Schlafmangel, musterte mich nur halb so angriffslustig wie sonst.
«Kommen Sie rein«, sagte sie und trat von ihrer Tür weg.»Ich könnte ehrlich gesagt etwas Hilfe brauchen.«
Da ich gerade an mehreren bleichen Pflegern vorbeigekommen war, die sich in ihrem Großraumabteil selbst bemitleideten, dachte ich erst, sie meinte tätige Hilfe beim Versorgen der Pferde, aber so war es offenbar nicht.
«Da geht irgend etwas vor, was ich nicht verstehe. «Sie sperrte die Eingangstür hinter mir ab und ging voran zu dem freien Platz, wo ihr Lehnstuhl neben dem unangerührten Wassertank stand.
«Was denn?«fragte ich, ihr folgend.
Sie deutete stumm nach vorn in den Wagen, und ich ging weiter, bis ich zum letzten freien Platz zwischen den Boxen kam, und dort, in einer Art Nest aus Heuballen, hatte sich einer der Pfleger halb sitzend, halb liegend zusammengerollt wie ein Embryo und stöhnte leise vor sich hin.
Ich ging wieder zu Leslie Brown.»Was ist denn mit ihm?«sagte ich.
«Ich weiß nicht. Er war gestern abend blau, aber das waren sie alle, und mir sieht das nicht nach einem normalen Kater aus.«
«Haben Sie die anderen gefragt?«
Sie seufzte.»Die können sich an gestern abend kaum erinnern. Denen ist egal, was er hat.«
«Zu welchem Pferd gehört er?«
«Laurentide Ice.«
Es hätte mich wohl gewundert, wenn sie etwas anderes gesagt hätte.
«Das ist doch das Pferd«, fragte ich,»dessen Trainer numerierte Futterrationen mitgeschickt hat, weil schon mal eins von Mrs. Quentins Pferden an falscher Fütterung gestorben ist, oder?«
Sie nickte.»Ja.«
«Und der Junge war in der Stallung in Winnipeg die ganze Zeit bei dem Pferd?«
«Ja, natürlich. Sie haben die Pferde bewegt und versorgt und sind nach den Rennen gestern alle wieder mit Pferdetransportern zum Zug zurückgekommen, als der noch auf dem Nebengleis stand. Ich kam da auch mit. Den Pferden fehlt nichts, das kann ich Ihnen versichern.«