Ich servierte vorsichtig Wein und hörte zu, aber die meisten Leute beschäftigten sich eher mit der reizvollen Aussicht auf zwei Tage in den Bergen als mit Daffodils Problemen.
Als Calgary wie spitze weiße Nadeln am Horizont der Prärie auftauchte und alle plötzlich aufgeregt mit dem Finger deuteten, sagte ich Emil, ich würde mich bemühen, zum Geschirrspülen zurückzusein, und trabte durch den Zug zu Georges Büro.
Ob das Kreditkartentelefon in Calgary funktioniere? Ja, sicher. Er winkte mich an den Apparat, als der Zug verlangsamte, und sagte, ich hätte fünfzig Minuten Zeit. Er selbst werde wie üblich draußen sein und Aufsicht führen.
Ich erreichte Mrs. Baudelaire, die unbeschwert und wie sechzehn klang.
«Ihr Foto ist unterwegs«, sagte sie ohne Vorrede.»Aber es wird nicht rechtzeitig in Calgary sein. Am Spätnachmittag fährt jemand von Calgary nach Chateau Lake Louise und bringt es Ihrer Miss Richmond.«
«Großartig«, sagte ich.»Danke.«
«Aber leider gibt es keine Mitteilung von Val Catto wegen Ihrer Zahlen.«
«Läßt sich nicht ändern.«
«Sonst noch was?«fragte sie.
«Ja«, sagte ich.»Ich müßte Bill direkt sprechen.«
«Wie schade. Mir macht das Spaß hier.«
«Oh«, sagte ich.»Bitte… mir doch auch. Nur ist es diesmal mit einer Nachricht oder mit Frage und Antwort nicht getan. Die
Sache ist lang… und verwickelt.«
«Mein lieber junger Mann, entschuldigen Sie sich nicht. Vor zehn Minuten war Bill noch in Winnipeg. Ich rufe ihn sofort an. Haben Sie eine Nummer?«
«Hm, ja. «Ich gab ihr die Nummer des Zugtelefons durch.»Je eher, desto besser, würden Sie ihm das sagen?«
«Bis demnächst«, sagte sie und verschwand.
Unruhig saß ich zehn Minuten ab, bevor das Telefon klingelte.
Bills tiefe Stimme schallte mir ins Ohr.»Wo sind Sie?«
«Im Zug, auf dem Bahnhof Calgary.«
«Meine Mutter sagt, es sei dringend.«
«Ja, aber vor allem, weil dieses Funktelefon im Büro des Zugchefs steht und nur in Städten funktioniert.«
«Verstanden«, sagte er.»Schießen Sie los.«
Ich berichtete ihm von Daffodils Abreise und Lenny Higgs’ Nervenzusammenbruch; von dem, was sie verschwieg und was er gesagt hatte.
Schließlich fragte Bill Baudelaire:»Habe ich Sie richtig verstanden? Dieser Lenny Higgs sagt, Daffodil Quentin hat ihn veranlaßt, ihr Pferd mit etwas zu füttern, wovon das Pferd eine Kolik bekam und starb?«
«Sieht stark nach Ursache und Wirkung aus, aber der Zusammenhang dürfte unbeweisbar sein.«
«Ja. Man hat eine Autopsie vorgenommen und nicht feststellen können, was die Kolik verursacht hat. Es war ihr drittes totes Pferd. Die Versicherungsgesellschaft war sehr mißtrauisch, mußte aber zahlen.«
«Lenny sagt, sie habe ihm erzählt, sie würde ihren lieben Pferden niemals etwas antun, hat ihm aber hundert Dollar zugesteckt, damit er den Mund hält.«
Bill stöhnte.
«Aber«, sagte ich,»der Grund dafür könnte auch gewesen sein, daß sie schon zwei tote Pferde hatte und befürchtete, alle würden genau das denken, was sie ohnehin dachten.«
«Wahrscheinlich«, meinte er.»Wo stehen wir jetzt also?«
«Ausgehend von früheren Erfahrungen«, sagte ich,»und ohne etwas behaupten zu wollen, würde ich annehmen, unser Kandidat hat Daffodil gestern nach Mitternacht wissen lassen, daß ihr Pfleger alles ausgeplaudert hat und auf Bestellung auch in der Öffentlichkeit plaudern wird und daß sie allerwenigstens damit rechnen muß, von der Rennbahn verwiesen zu werden, es sei denn, sie verkauft ihm… oder schenkt ihm… ihren Restanteil an Laurentide Ice.«
Er sagte düster:»Sie kennen ihn ja alle besser als ich, aber ich könnte mir schon denken, daß Sie recht haben. Wenn er vor dem Rennen in Vancouver die Änderung der Teilhaberschaft beantragt, werden wir es genau wissen.«
«M-hm«, stimmte ich zu.»Nun, vielleicht könnten Sie — die Rennsportkommission von Ontario — trotz Zweifels davon ausgehen, daß Daffodil unschuldig ist, was ihre Pferde betrifft. Sie kennen sie natürlich besser als ich, aber mir scheint, sie ist nicht vorsätzlich böse, sondern eher dumm… Ich meine, sie hat etwas Unreifes an sich, auch wenn sie schon fünfzig oder älter ist… und manch einer findet es nicht gar so schlimm, eine Versicherung zu betrügen, das tun auch ganz ehrbare Leute schon mal… und früher oder später wären die drei Pferde ja doch eingeschläfert worden, nicht wahr? Jedenfalls will ich sie nicht entschuldigen, wenn sie es getan hat, sondern nur erklären, wie sie vielleicht darüber denkt…«
«Sie haben sie erstaunlich gut kennengelernt.«
«Ehm… ich habe nur… aufgepaßt.«
«M-hm«, meinte er trocken.»Val Catto sagte mir, daß Ihnen wenig entgeht.«
«Nun… ich, äh, ich weiß nicht, wie Sie dazu stehen, aber ich dachte, wenn wir Lenny Higgs sozusagen entfernen, so daß er nicht mehr bedroht werden kann und auch für Daffodil keine Bedrohung mehr darstellt, und wenn Sie ihr irgendwie sagen könnten, daß Lenny Higgs verschwunden ist und nichts, aber auch gar nichts ausplaudern wird — falls sich das mit Ihrem Gewissen vereinbaren läßt —, dann braucht sie ihren halben Anteil doch nicht abzutreten, und wir haben zumindest einen der schmutzigen Pläne unseres Kandidaten vereitelt. Und das ist doch mein Auftrag, nicht?«
Er atmete tief aus, mit einem langgezogenen Pfeifen.
Ich blieb am Apparat und wartete.
«Ist Lenny Higgs noch im Zug?«fragte er schließlich.
«Wenn er nicht den Kopf verliert, fährt er mit den anderen Pflegern und den Pferden hier zu den Stallungen. Ich sagte ihm, jemand werde ihn abholen und sich um ihn kümmern und ihm einen Freifahrschein geben, wo immer er hinwill.«
«Nun mal langsam.«
«Es ist das wenigste, was wir tun können. Ich meine aber, wir sollten dranbleiben und definitiv sein endgültiges Reiseziel kennen, ihm dort sogar eine Stelle verschaffen, weil wir unsererseits vielleicht möchten, daß er gegen den Mann, der ihm Angst gemacht hat, aussagt. In dem Fall wollen wir ihn doch nicht weltweit suchen. Wenn Sie also jemand schicken können, der ihm hilft, dann soll der einen Abzug des Fotos mitbringen, das Sie für mich haben entwickeln lassen. Ich bin ziemlich sicher, daß das der Mann ist, der ihn eingeschüchtert hat. Wenn ja, wird Lenny der kalte Schweiß ausbrechen.«
Kapitel 14
Leider war noch ziemlich viel Geschirr zu spülen, als ich zurück in die Küche kam, und so faßte ich etwas schuldbewußt mit an, lief aber immer wieder mit Glas und Handtuch in den Speisewagen, um sehen zu können, was sich draußen vor den Fenstern tat.
Daffodil ließ sich vom Bahnhofspersonal aus dem Aussichtswagen helfen und ging, begleitet von Nell und Rose und Cumber Young (der ihre beiden Koffer trug), langsam in den Hauptteil des Bahnhofs hinein. Daffodils Locken waren so keck hochgetürmt wie sonst, doch ihre Schultern hingen unter den Chinchillas herab, und als ich kurz ihr Gesicht sah, hatte es eher den Ausdruck eines verlassenen Kindes als den einer rachedurstigen Xanthippe. Nell war hilfsbereit, Rose Young verströmte Wärme; Cumber Young blickte grimmig.
«Trocknen Sie nun Gläser ab oder nicht?«wollte Cathy wissen. Sie hatte klare, helle Augen, war ebenso flink wie hübsch und außerdem im Augenblick müde.
«Mit Unterbrechungen«, sagte ich.
Ihre momentan schlechte Laune verschwand.»Dann lassen Sie die Unterbrechungen mal weg, sonst komme ich nicht mehr rüber in den Bahnhof, bevor wir abfahren.«
«Gut«, sagte ich und trocknete und polierte hingebungsvoll mehrere Gläser.