Giles brüllte Donna an:»Sie allein sind schuld, Sie hätten nicht gestehen dürfen. Sie haben alles kaputtgemacht. Dafür mache ich Sie kaputt.«
Er richtete das Schießeisen auf Donna. Pierre sprang vor sie, um sie zu schützen. Giles schoß auf Pierre, der sich offenbar eine klassische Schulter als Kugelfang ausgesucht hatte. Er schlug die Hand vor sein schneeweißes Hemd, das sich plötzlich leuchtend rot färbte. Kunstvoll stürzte er hin.
Dem Publikum stockte wirklich der Atem. Donna kniete sich verzweifelt neben Pierre, um den großen dramatischen Augenblick auszukosten. Giles versuchte zu fliehen und wurde nicht gerade sanft von Zak und Raoul überwältigt. Leise in sich hineinlachend betrat George Burley den Schauplatz und schwenkte ein Paar Theaterhandschellen. Wie Zak später meinte, war es einfach toll.
Kapitel 17
Emil sagte, es sei genug Champagner übrig, daß jeder noch ein halbes Glas bekommen könne, also gingen er und ich herum und schenkten ein, während Oliver und Cathy die Vorspeisenteller abräumten, die Tischtücher glattzogen und die Gedecke für das Bankett aufzulegen begannen.
Ich blickte ganz kurz zu Filmer. Er wirkte ungemein blaß, hatte Schweiß auf der Stirn. Die auf dem Tischtuch liegende Hand war zur Faust geballt. Neben ihm freuten sich die Redi-Hots über Zak, der an ihrem Tisch stand und ihnen darin recht gab, daß Pierre ein besserungsfähiger Mensch sei, der sich läutern werde. Zak lächelte mir zu und trat beiseite, damit ich die Gläser der Redi-Hots füllen konnte.
Filmer sagte mit rauher, krächzender Stimme:»Wo haben Sie diese Story her?«
Als nähme er ein Kompliment entgegen, antwortete Zak:»Hab ich erfunden.«
«Die müssen Sie doch irgendwo herhaben. «Er war sich ganz sicher, und er war zornig. Die Redi-Hots sahen ihn überrascht an.
«Ich erfinde die Handlung immer«, sagte Zak gelassen.
«Warum — fanden Sie sie nicht gut?«
«Champagner, Sir?«fragte ich Filmer. Ich war ziemlich kühn geworden, schien mir.
Filmer hörte nicht hin. Mrs. Redi-Hot reichte mir sein Glas, und ich schenkte nach. Sie stellte es zurück. Er nahm nichts davon wahr.
«Ich fand die Story großartig«, sagte sie.»Was für ein abscheulicher, gemeiner Mörder. Und die ganze Zeit war er so nett…«
Ich dankte Zak im Weitergehen mit einem flüchtigen Augenkontakt innigst für seine Diskretion, und er nahm den Dank belustigt an.
Am nächsten Tisch hielt Rose Young ihrem Mann entgegen, daß die Sache mit dem Selbstmord nach der Trennung vom besten Pferd bestimmt ein Zufall war… und außerdem hatte Ezra sein Pferd verkauft, sagte sie, er hatte es nicht verschenkt, weil er erpreßt wurde.
«Woher wissen wir denn, daß er nicht erpreßt wurde?«fragte Cumber.
Die Unwins hörten mit offenem Mund zu. Ich füllte ihnen allen still die Gläser, unbemerkt, da sie ganz auf ihr Thema konzentriert waren.
«Wer jetzt Ezras Pferde hat, das möchte ich wissen«, sagte Cumber trotzig.»Und es wird ziemlich leicht festzustellen sein.«
Er sprach laut; laut genug, dachte ich, daß Filmer ihn verstehen konnte, wenn er hinhörte.
Emil war mir bei den Lorrimores zuvorgekommen, doch sie boten ein bemerkenswertes Bild. Mercers Unterarme ruhten auf dem Tisch, während er mit gebeugtem Kopf dasaß. Bambi, ein Tränenglitzern in den frostigen Augen, streckte ihre Hand aus, schloß sie um eine von Mercers Fäusten und strich ihm mit beruhigender Zuneigung über die hervortretenden Knöchel. Xanthe sagte besorgt:»Was habt ihr denn alle?«, und Sheridans Gesicht war ausdruckslos. Nicht hochnäsig, nicht überheblich, auch nicht beunruhigt: eine leergewischte Fläche.
Eine ganze Anzahl Leute war auf dem Mittelgang, nicht nur die Bedienung, sondern auch die Schauspieler, die, noch in ihren Rollen, das Drama so zu Ende brachten, wie es ihnen gefieclass="underline" Walter und Mavis beispielsweise stimmten überein, daß Pierre Donna das Leben gerettet habe und nicht ganz und gar schlecht sein könne und daß er Donna vielleicht doch kriegen würde…wenn er das Glücksspiel aufgab.
Durch all das fädelte sich der Schlafwagensteward hindurch, der auf dem Weg war, die Betten im Aussichtswagen zu machen. Er nickte mir im Vorübergehen lächelnd zu, und ich nickte zurück; mein Hauptproblem, dachte ich, bestand wohl darin, daß das Spiel allzu gelungen war und daß die Leute, die es am meisten aufgewühlt hatte, nicht zum Abendessen sitzenbleiben würden.
Ich wanderte in die Küche zurück, wo Angus’ Geisterhände ihren Tanz beschleunigten, und hoffte insbesondere, daß Filmers physische Reaktionen ihm nicht zuviel wurden und ihn zum Aufbruch zwangen.
Er rührte sich nicht. Sein steif gehaltener Körper entspannte sich langsam. Die Wirkung des Schauspiels schien nachzulassen, und vielleicht glaubte er wirklich, daß Zak alles erfunden hatte.
Ich deckte die beiden Tische direkt vor der Küche, faltete mechanisch die Servietten und legte Messer und Gabel zurecht. Schließlich kam der Schlafwagensteward aus dem Aussichtswagen zurück, und ich ließ meine Gedecke unvollendet stehen und folgte ihm.
«Sind Sie sicher?«fragte er über seine Schulter weg.»Anscheinend gibt’s im Speisewagen ziemlich viel zu tun.«
«Läßt sich schon machen«, versicherte ich ihm.»Noch fünfzehn Minuten bis zum Dinner. Ich kann doch an diesem Ende anfangen, und wenn mich mein Gewissen plagt, höre ich einfach auf und gehe zurück.«
«Gut«, sagte er.»Wissen Sie noch, wie man die Sitze wegklappt?«
Er klopfte an Filmers Tür.
«Die Leute sind alle hinten im Speisewagen, aber klopfen Sie auf jeden Fall vorher an«, sagte er.
«Okay.«
Wir betraten Filmers Abteil.
«Klappen Sie den Sitz mal zusammen, bevor ich gehe, damit ich Ihnen notfalls helfen kann.«
«Okay.«
Ich klappte etwas umständlich Julius Apollos Sessel zurück. Der Schlafwagensteward schlug mir auf die Schulter und sagte, als er ging, er werde wie gewohnt am anderen Ende anfangen und vielleicht träfen wir uns ja in der Mitte.
«Vielen Dank auch«, setzte er hinzu.
Ich winkte ihm. Der Dank, wenn er es auch nicht wußte, war ganz auf meiner Seite. Ich ließ die Tür auf und klappte Filmers Bett zum Schlafen herunter, strich das untere Laken glatt und schlug eine Ecke des oberen ein, wie man es mir gezeigt hatte.
Ich faßte in Filmers Schranknische, ergriff den schwarzen Krokodillederkoffer und stellte ihn aufs Bett.
Null-vier-neun. Eins-fünf-eins.
Meine Finger zitterten wegen des Zeitdrucks.
Fahrig stellte ich die kleinen Ringe ein, wo doch gerade Präzision gefragt war. Null-vier-neun… Verschluß aufdrücken.
Klick!
Eins-fünf-eins. Verschluß aufdrücken. Klick! Die Schlösser waren offen.
Ich legte den Aktenkoffer flach auf das untere Laken, schob das obere etwas zurück, um Platz zu schaffen, und klappte den Deckel auf. Pochendes Herz, stockender Atem.
Zuoberst lag Filmers Paß. Ich sah ihn mir kurz an, dann genauer, und mit einem ruckartigen stummen Lachen kam mein angehaltener Atem wieder in Fluß. Die Nummer von Filmers Paß war Ho 49151. Ein Hoch auf den Brigadier.
Ich legte den Paß aufs Bett und sah die anderen Papiere durch,
ohne sie herauszunehmen oder ihre Reihenfolge zu verändern. Es war weitgehend ödes Zeug: die ganze Makulatur über die Bahnreise, ein paar Zeitungsseiten über die Rennen, dann ein Ausschnitt aus einem Cambridger Lokalblatt über den Bau einer neuen Bibliothek an einem der Colleges, dank der Großzügigkeit des kanadischen Philanthropen Mercer P. Lorrimore.
Mein Gott, dachte ich.
Unter dem Ausschnitt lag ein Brief — die Fotokopie eines Briefes. Ich las ihn in höchster Eile, spürte, wie Furcht mir den Rücken hinaufkroch, spürte, wie es meine Haut heiß überlief.
Er war kurz. Maschinengeschrieben. Er enthielt keine Absender- oder Empfängerangaben, kein Datum, keine Anrede und keine Unterschrift. Er lautete: