Wie gewünscht habe ich die Kadaver der sieben Katzen, die gestreckt, ausgeweidet und geköpft im Collegegarten gefunden wurden, untersucht. Ich kann nichts als vorsätzliche Bosheit dabei feststellen. Meiner Ansicht nach handelt es sich da nicht um rituelle Tötungen. Die Katzen wurden in einem Zeitraum von vielleicht drei Wochen getötet, die letzte gestern. Alle außer der letzten waren unter Laub versteckt und sind nach dem Tod von Insekten und Aasfressern angegangen worden. Alle haben gelebt, als sie gestreckt und ausgeweidet wurden. Die meisten, wenn nicht alle, waren noch bei der Köpfung lebendig. Ich habe die Überreste Ihrer Bitte entsprechend beseitigt.
Meine Hand zitterte sichtlich. Ich hob die nächsten Papierbögen an, es waren Mitteilungen von Grundstücksmaklern, und stieß dann ganz zuunterst auf eine kleine gelbe Notiz, die an ein folioformatiges Dokument mit der Überschrift AUFLASSUNG geheftet war.
Die Notiz lautete:»Das müssen Sie unterschreiben, nicht Ivor Horfitz, aber ich denke, es läßt sich geheimhalten.«
Ich blickte etwas verständnislos auf den juristischen Text der
Urkunde:»… das gesamte als SF9OI55 bezeichnete Stück Land auf der Westseite von. «und hörte die Stimme des Schlafwagenstewards durch den Gang näher kommen.
«Tommy. wo stecken Sie?«
Ich klappte den Koffer rasch zu und stieß ihn unter die Bettdecke. Der Paß war noch zu sehen. Ich schob ihn unters Kopfkissen, ging hastig zur Tür hinaus und schloß sie hinter mir.
«Sie waren ja eine Ewigkeit da drin«, sagte er, aber nachsichtig.
«Haben Sie das Bett nicht runtergekriegt?«
«Zu guter Letzt doch«, sagte ich mit trockenem Mund.
«Gut. Also, ich habe vergessen, Ihnen den Konfekt zu geben.«
Er reichte mir eine Schachtel mit großen, silbern verpackten Pralinen.»Legen Sie auf jedes Kopfkissen so eine.«
«Ja«, sagte ich.
«Alles klar mit Ihnen?«fragte er neugierig.
«Aber ja. Es war sehr warm im Speisewagen.«
«Stimmt. «Er ging arglos wieder in seinen Wagenabschnitt. Ich kehrte mit immer noch klopfendem Herzen in Filmers Abteil zurück, holte den Paß unterm Kissen hervor, legte ihn wieder in den Aktenkoffer, sperrte ihn ab, drehte die Zahlenringe — wobei mir klar wurde, daß ich mir nicht gemerkt hatte, wie sie gestanden hatten, als ich hereinkam —, hoffte wie verrückt, daß Filmer sie nicht bewußt einstellte, schob den Koffer an seinen alten Platz, strich das Bett zurecht und legte die Praline ordentlich dahin, wo sie hingehörte.
Ich trat aus dem Abteil, schloß die Tür und ging zwei Schritte auf die nächste Tür zu.
«He, Sie«, sagte Filmers ärgerliche Stimme hinter mir.»Was haben Sie da drin gemacht?«
Ich drehte mich um. Blickte treuherzig… fühlte mich wie betäubt.
«Ihr Bett für die Nacht gerichtet, Sir.«
«Ach so. «Er zuckte die Schultern und akzeptierte es.
Ich hielt ihm die Schachtel mit dem Konfekt hin.»Möchten Sie eine Praline zusätzlich, Sir?«
«Eine reicht«, sagte er und ging abrupt in sein Abteil.
Mir war flau. Ich wartete darauf, daß er rauskam und explodierte, ich hätte mir an seinen Sachen zu schaffen gemacht.
Nichts. gar nichts geschah.
Ich ging in das Abteil nebenan, klappte die Sitze zurück, zog beide Betten herunter, schlug die Laken ein, legte die Pralinen bereit. Alles mechanisch, mit einem Gefühl totaler Unwirklichkeit. Zweimal wäre ich um ein Haar ertappt worden. Wie es aussah, konnte ich den Berufsrisiken eines Spions wenig abgewinnen.
Irgendwie beunruhigte mich mein Kleinmut. Ich hatte über Mut wohl nie besonders nachgedacht, hatte ihn für selbstverständlich genommen. jedenfalls körperlichen Mut oder körperliches Durchhaltevermögen. Ich hatte mich öfter schon auf rauhem Pflaster bewegt, aber die Risiken hier waren anders und schwieriger, zumindest für mich.
Ich richtete das dritte Abteil her, und bis dahin hatte der viel schnellere Schlafwagensteward fast alle anderen fertig.
«Vielen Dank«, sagte er vergnügt.»Ich weiß das zu schätzen.«
«Keine Ursache.«
«Haben Sie Ihre Szene hinter sich?«
Ich nickte.»Sie lief bestens.«
Filmer kam aus seinem Abteil und rief:»He, Sie.«
Der Schlafwagensteward ging zu ihm.»Ja, Sir?«
Filmer sagte etwas zu ihm, was ich wegen des Schienenlärms nicht verstehen konnte, und kehrte in sein Abteil zurück.
«Ihm ist nicht gut«, erklärte der Schlafwagensteward, auf sein eigenes Abteil zusteuernd.»Er möchte was Beruhigendes für seinen Magen.«
«Haben Sie so was?«
«Antazida, sicher. Ein paar einfache Mittel.«
Ich überließ ihn seinem Auftrag und ging zum Speisewagen zurück, wo Emil mich mit hochgezogenen Brauen empfing und mir ein Tablett voll kleiner Teller in die Hände drückte, auf denen je ein Stück Gänseleberpastete, verziert mit einer dünnen schwarzen Trüffelscheibe lag.
«Wir haben Sie vermißt. Sie werden gebraucht«, sagte Emil.
«Die Cracker für die Pastete stehen auf den Tischen.«
«Gut.«
Ich brachte das Tablett raus und ging zuerst zum Tisch der Redi-Hots. Ich fragte Mrs. Redi-Hot, ob Mr. Filmer wiederkomme — sollte ich ihm seine Pastete hinstellen?
Sie sah ein wenig verwirrt drein.»Er hat nicht gesagt, ob er wiederkommt. Er war so schnell weg… er ist mir auf die Füße getrampelt.«
«Lassen Sie die Pastete ruhig da«, sagte Mr. Redi-Hot.»Wenn er nicht wiederkommt, esse ich sie.«
Lächelnd stellte ich eine Pastete auf Filmers Platz und ging weiter zum Tisch der Youngs, wo Cumber zwar aufgehört hatte, von Ezra Gideon zu reden, aber unansprechbar und geistesabwesend wirkte. Rose nahm lächelnd ihre Pastete entgegen und bemühte sich zu verhindern, daß Cumbers Griesgrämigkeit den Unwins den Abend verdarb.
Cathy hatte ein Tablett mit Pastete zu den Lorrimores gebracht, die in bedrücktem Schweigen dasaßen bis auf Xanthe, die man verärgert sagen hörte:»Das soll doch eine Party sein, Herrgottnochmal.«
Für die anderen Fahrgäste war es das auch. Die Gesichter strahlten, man lächelte gern und viel, die Euphorie der ganzen Reise wurde zu einem Band der Freude, das sie alle zusammenhielt. Es war die letzte Nacht im Zug, und man war entschlossen, sie angenehm zu verbringen.
Nell zog durch den Mittelgang und verteilte Andenken: silberne Armbänder aus winzigen glitzernden Eisenbahnwagen für die Frauen, Briefbeschwerer aus Onyx mit eingelegten MiniLokomotiven für die Männer. Reizende Geschenke, die mit Freuden angenommen wurden. Xanthe legte sofort ihr Armband um und vergaß, mürrisch dreinzublicken.
Emil und ich sammelten den Verpackungsabfall ein.»Miss Richmond hätte auch bis nach dem Essen warten können«, sagte Emil.
Wir trugen den Rest des Festmahls auf und wieder ab: einen Salat aus geschnittenen gelben Tomaten mit frischem Basilikum, eine Runde Champagnersorbet, englisch gebratene Rippenstücke vom Rind mit feingeschnittenem Gemüse und schließlich Apfelschneebälle, die auf Erdbeermus zu schwimmen schienen. Etwa sechs Leute, einschließlich Rose Young, wollten wissen, wie die Apfelschneebälle gemacht wurden, also erkundigte ich mich bei Angus.
Er sah träge und abgekämpft aus, war aber entgegenkommend.
«Sagen Sie ihnen, es ist passiertes Apfelmus, Zucker, Schlagsahne, geschlagenes Eiweiß. Wird unmittelbar vorm Auftragen verrührt. Ganz einfach.«
«Köstlich«, sagte Rose, als ich die Auskunft weitergab.»Holen Sie den Chef doch bitte mal her, damit wir ihm gratulieren können.«
Emil holte Angus und stellte ihn unter anhaltendem Applaus vor. Simone schmollte entschlossen in der Küche. Rose Young sagte, sie sollten sich alle auch bei dem übrigen Speisewagenpersonal bedanken, das die ganze Zeit so schwer gearbeitet habe. Alle klatschten — es war sehr anrührend.
Auch Xanthe klatschte, wie mir auffiel. Ich war voller Hoffnung für Xanthe.