Stille trat ein. Einer von ihnen sagte:»Der soll uns doch fünfunddreißig Minuten voraus sein.«
«Er hatte. «sagte ich, Sauerstoff tankend,»ein heißgelaufenes Lager.«
Das sagte ihnen sehr viel. Es erklärte alles.
«Oh. «Sie bemerkten meine Uniform.»Waren Sie es, der die Fackeln angezündet hat?«
«Ja.«»Wie weit ist der andere Zug vor uns?«
«Ich weiß es nicht… Weiß nicht mehr… wie weit ich gelaufen bin.«
Sie berieten sich. Einer war seiner Uniform nach der Zugführer. Zwei, die keine trugen, waren offenbar der Lokführer und sein Assistent. Noch ein weiterer Mann war dort; vielleicht der zweite Zugführer. Sie beschlossen — der Zugführer und der Lokführer beschlossen — langsam weiterzufahren. Sie sagten, ich solle am besten im Führerstand mitkommen.
Dankbar, mit sich beruhigender Lunge, stieg ich ein und schaute zu, wie der Lokführer die Bremsen löste, die Motoren anwarf und allenfalls im Schrittempo losfuhr, die Scheinwerfer hell auf dem leeren Gleis vor uns.
«Haben Sie eine von den Fackeln geworfen?« fragte mich der Lokführer.
«Ich dachte, Sie würden nicht anhalten. «Es klang sachlich, emotionslos.
«Wir waren nicht im Führerstand«, sagte er.»Die, die Sie geworfen haben, traf die Windschutzscheibe, und ich sah den Schein bis zuhinterst in der Lok, wo ich ein Ventil überprüfte. Schon ganz gut, daß Sie sie geworfen haben… Als ich hier reingeflitzt kam, konnte ich gerade noch die Fackel auf dem Gleis sehen, bevor wir drübergewalzt sind. Glück gehabt, wissen Sie.«
«Ja. «Glück gehabt… Erlösung von lebenslanger Reue.
«Warum hat denn Ihr Zugführer nicht gefunkt?«sagte der Zugführer ärgerlich.
«Das Gerät ist kaputt.«
Er schimpfte ein bißchen. Wir rollten langsam weiter. Vor uns lag eine Rechtskurve.
«Ich glaube, wir sind bald da«, sagte ich.»Kann nicht mehr weit sein.«
«Gut. «Das Tempo wurde noch langsamer. Der Lokführer nahm die Biegung zentimeterweise, und das war auch gut so, denn als er dann anhielt, lagen ganze zwanzig Meter zwischen der Nase der gelben Lok des Canadian und dem glänzenden Messinggeländer der Plattform am Wagen der Lorrimores.
«Na ja«, meinte der Lokführer träge,»hätte mich nicht entzückt, das zu sehen, wenn ich nichtsahnend um die Ecke gekommen wäre.«
Da erst fiel mir ein, daß Johnson irgendwo draußen auf der Strecke war. Mit Sicherheit hatte ich ihn auf der Rückfahrt nicht bewußtlos oder tot am Boden liegen sehen, und die Besatzung des Canadian offensichtlich auch nicht. Flüchtig fragte ich mich, wo er geblieben war, aber es kümmerte mich in dem Moment wenig. Alles kletterte aus dem Führerstand des Canadian, und die Besatzung zog los, um sich mit ihren Kollegen weiter vorn zu treffen.
Ich ging mit ihnen. Die beiden Gruppen begrüßten sich ohne Aufregung. Die Expreßler hatten es offenbar als selbstverständlich betrachtet, daß der Canadian rechtzeitig halten würde. Man sprach nicht über Lichtsignale, sondern über heiße Lager.
Die Lagerbüchse, die das rechte Ende der sechsten und hintersten Achse des Pferdewaggons barg, hatte sich überhitzt, weil, so nahmen sie an, das Öl im Innern irgendwie ausgelaufen war. Daran lag es meistens, wenn das geschah. Sie hatten das Achslager noch nicht geöffnet. Es glühte zwar nicht mehr rot, war aber zu heiß zum Anfassen. Sie kühlten es fortwährend mit frischem Schnee. Noch zehn Minuten vielleicht.
«Wo ist George Burley?«fragte ich.
Der Gepäckarbeiter des Rennzuges sagte, niemand könne ihn finden, aber zwei Schlafwagenstewards suchten noch nach ihm. Wie gut, erzählte er den anderen, daß er zufällig im Pferdewaggon gefahren sei. Er habe die heißgelaufene Achse
gerochen, sagte er. Er habe den Geruch schon einmal in der Nase gehabt. Stinkt fürchterlich, sagte er. Er sei schnurstracks nach vorn gegangen, um dem Lokführer zu sagen, er solle sofort anhalten.»Sonst wäre die Achse gebrochen, und wir hätten entgleisen können.«
Die anderen nickten. Sie wußten es alle.
«Haben Sie die Passagiere verständigt?«fragte ich.
«Was? Nein, nein, die brauchten wir nicht aufzuwecken.«
«Aber… es hätte doch sein können, daß der Canadian nicht anhält.«
«Natürlich hält er, wenn er Lichtsignale sieht.«
Ihr Vertrauen erstaunte und erschreckte mich. Der Zugführer des Canadian sagte, er werde nach Kamloops vorausfunken, und dort, wo es mehrere Gleise gab, nicht nur das eine, würden beide Züge wieder anhalten. In Kamloops werde man sich bald Sorgen machen, weil der Rennexpreß nicht eingetroffen sei, meinte er und lief davon, um die Station zu benachrichtigen.
Ich ging am Pferdewaggon vorbei nach hinten und stieg in den Zug, und fast sofort traf ich Georges Stellvertreter, der auf dem Weg nach vorn war.
«Wo ist George?«sagte ich drängend.
Er war besorgt.»Ich finde ihn nicht.«
«Es gibt eine Möglichkeit, wo er sein könnte. «Und bitte laß ihn dort sein, dachte ich. Bitte laß ihn nicht Meilen entfernt in irgendeinem grauenhaften Zustand neben den Schienen liegen.
«Wo denn?«sagte er.
«In einem Schlafwagenabteil. Sehen Sie auf der Liste nach. Das Abteil von Johnson.«
«Von wem?«
«Johnson.«
Ein anderer Schlafwagensteward kam zufällig gerade hinzu.
«Ich kann ihn immer noch nicht finden«, sagte er.
«Wissen Sie, wo Johnsons Abteil ist?«fragte ich schnell.
«Ja, fast direkt neben meinem. Er hat ein Einbettabteil.«
«Dann sehen wir da mal nach.«
«Sie können doch nicht mitten in der Nacht bei einem Passagier eindringen«, protestierte er.
«Wenn Johnson da ist, entschuldigen wir uns.«
«Mir ist schleierhaft, wie Sie darauf kommen, daß George dort sein könnte«, brummte er, führte uns aber nach hinten und zeigte auf eine Tür.»Da ist es.«
Ich öffnete sie. George lag auf dem Bett, krümmte und wand sich in Fesseln, kämpfte gegen einen Knebel. Sehr lebendig.
Maßlos erleichtert riß ich den Knebel herunter, der aus breitem, festsitzendem Heftpflaster bestand.
«Verdammt, hat das weh getan, eh?«sagte George.»Wieso habt ihr so lange gebraucht?«
George saß in seinem Büro, trank grimmig heißen Tee und lehnte es ab, sich hinzulegen. Er hatte eine Gehirnerschütterung, das sah man seinen Augen an, aber er wollte nicht zugeben, daß der Schlag auf seinen Kopf, durch den er bewußtlos geworden war, irgendeine Wirkung gehabt hatte. Sobald er von den Stricken befreit und die Sache mit der heißgelaufenen Achse zu ihm durchgedrungen war, hatte er darauf bestanden, sich im vorderen Aussichtswagen des Rennexpresses mit dem Zugführer des Canadian zu besprechen, eine Unterredung, der etliche andere Besatzungsmitglieder und ich selbst beiwohnten.
Der Fahrdienstleiter in Kamloops, so berichtete der Zugchef des Canadian, hatte angeordnet, daß der Rennexpreß, sobald er aufbrechen konnte, nach Kamloops weiterfahren sollte, und der Canadian zehn Minuten später. Ein nachfolgender Güterzug würde noch verständigt werden. Der Rennexpreß sollte eine Stunde in Kamloops bleiben; der Canadian würde dort zuerst abfahren, um möglichst wenig hinter den Zeitplan zurückzufallen. Wenn sämtliche Achslager des Rennzuges überprüft waren, konnte er die Fahrt nach Vancouver fortsetzen. Eine Untersuchung der Sache würde es in Kamloops nicht geben, da der Expreß erst nach drei Uhr früh- Sonntag früh — dort ankam. Die Untersuchung würde in Vancouver erfolgen.
Alle nickten. George sah bleich aus, als ob er wünschte, er hätte seinen Kopf nicht bewegt.
Der Lokführer des Rennzuges kam, um uns mitzuteilen, daß man die Lagerbüchse endlich geöffnet habe; sie sei trocken gewesen und das Ölwerg verbrannt, aber jetzt sei alles gut, sie sei kühl und neu gefüllt, nichts tropfe heraus und der Zug könne weiterfahren.
Sie verloren keine Zeit. Die Mannschaft des Canadian ging, und bald war der Rennexpreß wieder in Fahrt, als wäre nichts geschehen. Ich begleitete George in sein Büro, dann holte ich ihm den Tee, und er verlangte erschöpft, ich solle ihm der Reihe nach erzählen, was da vor sich gehe.