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«Wir schenken selbst ein«, sagte Mercer.»Holen Sie in einer

halben Stunde das Tablett wieder ab.«

«Ja, Sir.«

Ich ging und kehrte in den Speisewagen zurück. Daß Bambi so kalt war, dachte ich, lag an den Katzen.

Nell und Xanthe waren während meiner Abwesenheit gekommen.

«Meine Güte, schauen Sie grimmig drein«, rief Nell aus, besann sich dann und sagte förmlicher:»Ehm… was gibt’ s zum Frühstück?«

Ich ließ die Grimmigkeit verschwinden und reichte ihr die Speisekarte. Xanthe sagte, sie nehme alles, was draufstehe.

«Hat George Ihnen gesagt, daß wir Verspätung haben?«fragte ich Nell.

«Nein. Seine Tür war zu. Verspätung? Wieviel?«

«Etwa anderthalb Stunden. «Ich kam ihrer Frage zuvor.»Wir mußten heute nacht in Kamloops halten, um Georges Funkgerät reparieren zu lassen, und dann mußten wir dort warten, damit der Canadian sich vor uns setzen konnte.«

«Dann sage ich am besten mal allen Bescheid. Wann kommen wir in Vancouver an?«

«Gegen halb zwölf, denke ich.«

«Gut. Danke.«

Fast hätte ich gesagt:»Gern geschehen«, aber dann ließ ich es doch. Es war nichts für Tommy. Nells Augen lächelten trotzdem. Cathy wählte genau diesen Moment, um mit einem Frühstückstablett an mir vorbeizulaufen — oder vielmehr nicht vorbei, sondern direkt gegen mich, da, wo es mir am meisten weh tat.

«Entschuldigung«, sagte sie zerknirscht im Weitergehen.

«Schon gut.«

Es war immer schwierig, in dem schwankenden Mittelgang glatt aneinander vorbeizukommen. Da konnte man nichts machen.

Filmer betrat den Speiseraum und setzte sich an den ersten Tisch vor der Küche, der normalerweise bei den Fahrgästen am wenigsten beliebt war. Er sah aus, als habe er schlecht geschlafen.

«He, Sie«, sagte er schroff, als ich herankam; anscheinend hatte er es aufgegeben, den netten Herren zu spielen.

«Ja, Sir?«sagte ich.

«Kaffee«, sagte er.

«Ja, Sir.«

«Sofort.«

«Ja, Sir.«

Ich gab Xanthes Bestellung an Simone weiter, die steif, in stummer Auflehnung gegen das Leben als solches, ein Backblech mit Würstchen in den Herd schob, und brachte die Kaffeekanne auf einem Tablett zu Filmer.

«Warum haben wir heute nacht angehalten?«wollte er wissen.

«Ich glaube, das Funkgerät mußte repariert werden, Sir.«

«Wir haben zweimal angehalten«, sagte er vorwurfsvoll.

«Warum?«

«Ich weiß nicht, Sir. Wahrscheinlich könnte der Zugführer es Ihnen erklären.«

Ich fragte mich, was er wohl tun würde, wenn ich sagte:»Ihr Freund Johnson hätte es beinah geschafft, den Zug mitsamt Ihnen verunglücken zu lassen. «Dabei kam mir in den Sinn, daß er sich vielleicht aus Sorge erkundigt hatte — daß er hören wollte, es sei nichts Gefährliches passiert. Er schien über meine Antwort tatsächlich etwas erleichtert zu sein, und der Versuchung, diese ganze Erleichterung durch die Auskunft wegzuwischen, daß das Funkgerät sabotiert worden war, widerstand ich nur, weil auch die Leute am Nebentisch zuhörten. Allgemeine Bedrückung und Angst auszulösen, war nicht mein Auftrag. Gezielte Bedrückung, gezielte Angst… das schon.

Auch andere hatten offenbar die langen Aufenthalte in der Nacht mitbekommen, doch niemand beschwerte sich ernstlich darüber. Niemand störte es, daß der Canadian jetzt vor uns herfuhr. Die gute Laune und die Partystimmung waren wieder erwacht und verziehen alles. Die Zugreise mochte zu Ende gehen, aber noch konnte man die aufsehenerregende Schlucht draußen bestaunen, sich auf die Stadt Vancouver freuen, und das letzte Rennen versprach ein alles überstrahlender Höhepunkt zu werden. Der Große Transkontinentale Rennexpreß war nicht nur groß gewesen, sagten sie, sondern großartig.

Nach etwa einer halben Stunde ging ich wieder zum Wagen der Lorrimores, um das Tablett mit den Teetassen abzuholen. Ich klopfte an die Tür, da jedoch keine Antwort kam, ging ich ungebeten durch in den Salon.

Mercer stand dort und sah verwirrt drein.

Verstört. Wie vom Schlag getroffen.

«Sir?«sagte ich.

Seine Augen richteten sich ungefähr auf mich.

«Mein Sohn«, sagte er.

«Sir?«

Sheridan war nicht im Salon. Mercer war allein.

«Halten Sie den Zug an«, sagte er.»Wir müssen zurückfahren.«

O Gott, dachte ich.

«Er ging raus. auf die Plattform. um sich den Fluß anzusehen…«Mercer konnte kaum sprechen.»Als ich raussah… war er nicht mehr da.«

Die Tür zur Plattform war geschlossen. Ich ging an Mercer vorbei, öffnete sie und trat hinaus. Wie er gesagt hatte, auf der Plattform war niemand.

Es wehte ein starker Wind. Der blanke Messinghandlauf des Geländers verlief in Taillenhöhe, die beiden Sperren waren noch verriegelt.

Auf der rechten Seite fiel die Wand der Schlucht an manchen Stellen jäh dreißig Meter tief hinab zu dem furchterregenden, schäumenden Fluß mit seinen Felsenklippen. Der Tod winkte dort. Ein schneller Tod.

Ich ging in den Salon und schloß die Tür.

Mercer schwankte — nicht nur von der Bewegung des Zuges.

«Setzen Sie sich, Sir«, sagte ich und nahm ihn beim Arm.»Ich verständige den Zugführer. Er wird wissen, was zu tun ist.«

«Wir müssen umkehren. «Er setzte sich mit wackligen Beinen.

«Er ging raus… und als ich hinsah…«

«Kommen Sie zurecht, wenn ich jetzt zum Zugführer gehe?«

Er nicke dumpf.»Ja. Beeilen Sie sich.«

Ich beeilte mich, erschrocken und verwirrt wie Mercer selbst, obschon ich nicht seinen komplizierten Kummer empfand. Vor einer halben Stunde hatte Sheridan nicht wie jemand ausgesehen, der im Begriff ist, sich in eine Schlucht zu stürzen; allerdings hatte ich auch noch niemanden in einer solchen Verfassung erlebt, wie sollte ich es also wissen? Vielleicht, dachte ich, war der leere Blick ein Zeichen, das man so hätte deuten können.

Ich eilte nach vorn, ging nur im Speisewagen langsamer, um Unruhe zu vermeiden, und als ich zu Georges Abteil kam, fand ich die Tür immer noch geschlossen. Ich klopfte an. Keine Antwort. Ich klopfte noch einmal, fester, und rief eindringlich seinen Namen. »George!«

Von innen kam ein Stöhnen. Ich öffnete ohne weitere Umstände die Tür und sah, daß er noch auf dem Bett lag, angekleidet und aus tiefem Schlaf erwachend.

Ich schloß die Tür hinter mir, setzte mich auf den Rand seines Bettes und sagte ihm, daß wir einen Passagier verloren hatten.

«Im Fraser Canyon«, wiederholte er. Er schob sich in eine sitzende Stellung und hielt sich zusammenzuckend beide Hände an den Kopf.»Wann?«

«Vor etwa zehn Minuten, denke ich.«

Er streckte eine Hand nach dem Funkgerät und sah aus dem Fenster, um sich zu orientieren.»Zurückfahren hat keinen Zweck, wissen Sie? Nicht, wenn er aus dieser Höhe ins Wasser gestürzt ist. Und der Fluß ist bitterkalt, und Sie sehen ja, wie schnell er fließt… und da sind Strudel.«

«Sein Vater wird aber hinwollen.«

«Natürlich.«

Der Fahrdienstleiter, den er diesmal anfunkte, war in Vancouver. Er erklärte ihm, daß der Sohn von Mercer Lorrimore — ganz recht, der zwanzigjährige Sohn des Mercer Lorrimore — irgendwo zwischen Hell’s Gate und ein, zwei Meilen südlich von Yale aus dem letzten Wagen des Rennzuges in den Fraser Canyon gestürzt sei. Mercer Lorrimore wolle, daß der Zug anhalte, damit er umkehren und seinen Sohn suchen könne. Er, George Burley, erwarte Weisungen aus Montreal. Der Fahrdienstleiter bat ihn verdattert, dranzubleiben.

Jetzt bestand keine Aussicht mehr, dachte ich, Vancouver vom Unglück verschont zu erreichen. Sheridan war eine Katastrophe schweren Ausmaßes, und die Presse würde aus ganz falschen Gründen auf dem Bahnhof in Vancouver sein.