Er nahm mich aufs Korn. Es konnte nicht die unbewußte Erkenntnis sein, daß ich die ganze Zeit sein eigentlicher Widersacher gewesen war; im Gegenteil — er erblickte in mir wohl den unbedeutendsten der Leute dort, denjenigen, den er am ehesten ungestraft verprügeln konnte.
Ich sah ihn auf eine Meile Entfernung kommen. Ich sah auch die Bestürzung im Gesicht des Brigadiers und deutete sie richtig.
Wenn ich mich wehrte, wie mein Instinkt es befahl, wenn ich Filmer so zurichtete, wie ich McLachlan zugerichtet und es dem Brigadier auch erzählt hatte, würde ich unsere Position schwächen.
Erst denken, dann handeln, so man Zeit hatte.
Denken konnte blitzschnell gehen. Ich hatte Zeit. Es würde ein unverhoffter Bonus für uns sein, wenn der Schaden andersherum ausfiel.
Er hatte hantelgestählte Körperkräfte. Die würden mir wirklich schaden.
Nun ja…
Ich drehte meinen Kopf ein wenig zur Seite, und er erwischte mich zweimal ziemlich hart an Backe und Kinn. Krachend stürzte ich gegen die nächste Wand, was dem Schulterblatt nicht besonders guttat, und ich ließ mein Kreuz an der Wand heruntergleiten, bis ich mit angezogenen Knien am Boden saß, den Kopf an der Tapete.
Filmer war über mir, holte aus und landete zwei weitere empfindlich schwere Schläge, und ich dachte, kommt, Jungs, höchste Zeit, daß die Kavallerie antrabt, und die Kavallerie — die Mounties — in Gestalt von George Burley und Bill Baudelaire packte entgegenkommend Filmers schwingende Arme und zerrte ihn weg.
Ich blieb, wo ich war, fühlte mich leicht ramponiert, beobachtete das Geschehen.
Der Brigadier drückte einen Knopf auf dem Schreibtisch, worauf nach kurzer Zeit zwei Rennbahnwachleute erschienen, beide stämmig und einer mit einem Paar Handschellen, die er dem wütenden und baß erstaunten Filmer anlegte.
«Das können Sie nicht machen«, rief Julius Apollo.
Der Wachmann befestigte die herabhängende Hälfte der Metallfessel gemächlich an seinem eigenen dicken Handgelenk.
Eines der hohen Tiere aus Vancouver sprach jetzt zum erstenmal, mit gebieterischer Stimme.»Bringen Sie Mr. Filmer in den Wachraum und halten Sie ihn fest, bis ich runterkomme.«
Die Wachleute sagten:»Ja, Sir.«
Sie bewegten sich wie Panzer. Filmer, gedemütigt bis auf die Knochen, wurde von ihnen rausgeschleift, als wäre er ein Niemand. Er konnte einem fast leid tun… wenn man sich nicht an Paul Shacklebury und Ezra Gideon erinnert hätte, für die er auch kein Mitleid empfunden hatte.
Daffodils Augen waren weit aufgerissen. Sie kam zu mir und sah mitfühlend auf mich herunter.
«Sie armer Junge«, sagte sie entsetzt.»Nein, wie furchtbar.«
«Mr. Burley«, sagte Bill Baudelaire sanft,»wären Sie so freundlich, Mrs. Quentin für uns hinauszugeleiten? Wenn Sie sich im Flur nach rechts wenden, kommen Sie zu einer Flügeltür. Dort ist der Empfangsraum, in dem die Fahrgäste, die Besitzer aus dem Zug, sich zu Cocktails und Lunch versammeln. Würden Sie Mrs. Quentin dorthin bringen? Wir kümmern uns dann um dieses Besatzungsmitglied… jemand muß ihm ja helfen. Und wir würden uns freuen, wenn Sie auch zum Lunch bleiben könnten.«
George sagte zu mir:»Alles in Ordnung, Tommy?«, und ich sagte:»Ja, George«, worauf er erleichtert in sich hineinlachte und meinte, es sei ihm ein Vergnügen, eh? zum Lunch zu bleiben.
Er trat beiseite, um Daffodil den Vortritt durch die Tür am anderen Ende zu lassen, und als sie dort ankam, blieb sie kurz stehen und drehte sich um.
«Der arme Junge«, sagte sie noch einmal.»Julius Filmer ist ein Vieh.«
Die Männer vom Vancouver Jockey Club standen auf und murmelten mitfühlende Floskeln in meine Richtung; sagten, sie würden Filmer der Polizei übergeben und auch die Körperverletzung melden; sagten, wir würden später sicher noch als Zeugen gebraucht. Dann folgten sie Daffodil, da sie die Gastgeber der Party waren.
Als sie gegangen waren, schaltete der Brigadier das Gerät aus, das jedes Wort aufgezeichnet hatte.
«Von wegen armer Junge«, sagte er zu mir.»Sie haben sich absichtlich von ihm schlagen lassen. Ich hab’s gesehen.«
Ich quittierte seine Beobachtung mit einem etwas kläglichen Lächeln.
«Das kann doch nicht sein!«widersprach Mercer und trat näher heran.»Niemand könnte sich derart…«
«Er könnte, und er hat es getan. «Der Brigadier kam hinter seinem Schreibtisch hervor.»Schnell geschaltet. Ausgezeichnet.«
«Aber warum?«sagte Mercer.
«Um den schwer zu fassenden Mr. Filmer noch fester beim Wickel zu kriegen. «Der Brigadier blieb stehen, streckte lässig die Hand nach meiner aus und zog mich hoch.
«Stimmt das wirklich?«fragte Mercer mich ungläubig.
«M-hm. «Ich nickte und straffte mich ein wenig, bemüht, nicht zusammenzuzucken.
«Machen Sie sich keine Sorgen um ihn«, sagte der Brigadier.»Er hat schon buckelnde Mustangs geritten und Gott weiß was noch.«
Die drei standen da wie ein Triumvirat und betrachteten mich in meiner Uniform, als wäre ich von einem anderen Stern gekommen.
«Ich habe ihn in den Zug gesetzt«, sagte der Brigadier,»damit er Filmers Absichten, wie immer die nun aussahen, durchkreuzt.«
Er lächelte flüchtig.»Eine Art Wettkampf… ein Zweipferderennen.«
«Manchmal scheint es Kopf an Kopf gegangen zu sein«, sagte Mercer.
Der Brigadier dachte darüber nach.»Vielleicht. Aber unser Starter hatte dann doch die Nase vorn.«
Mercer Lorrimore und ich schauten den Rennen von einem kleineren Raum neben dem großen Saal zu, in dem der Empfang stattfand. Wir waren im Privatzimmer des Rennvereinspräsidenten, seinem Refugium, wenn er einmal ungestört mit Freunden Zusammensein wollte, und dementsprechend war es, in zartem Türkis und Gold, mit dem größten Komfort ausgestattet.
Der Präsident war enttäuscht, aber voller Verständnis dafür gewesen, daß sich Mercer so bald nach dem Tod seines Sohnes nicht imstande fühlte, an der Lunchparty teilzunehmen, und hatte ihm statt dessen diesen Raum angeboten. Mercer hatte mich gefragt, ob ich ihm Gesellschaft leisten wolle, und so tranken er und ich jetzt den Sekt des Präsidenten, schauten aus dem hochgelegenen Fenster auf die Bahn tief unter uns und redeten hauptsächlich über Filmer.
«Ich mochte ihn, wissen Sie«, sagte Mercer verwundert.
«Er kann charmant sein.«
«Bill Baudelaire versuchte mich in Winnipeg zu warnen«, sagte er,»aber ich gab nichts darauf. Ich war wirklich der
Meinung, daß sein Prozeß eine Farce gewesen und daß er unschuldig war. Er hat mir selbst davon erzählt… er sagte, er hege keine Rachegefühle gegen den Jockey Club.«
Ich lächelte.»Extreme Rachegefühle. Er hat ihnen auf den Kopf zugesagt, er würde ihnen auf internationaler Ebene Sand ins Getriebe streuen. McLachlan war eine ziemliche Ladung Sand.«
Mercer setzte sich in einen der wuchtigen Sessel. Ich blieb am Fenster stehen.
«Weshalb wurde Filmer angeklagt«, fragte er,»wenn die Beweislage so dürftig war?«
«Die Beweise waren hieb- und stichfest«, sagte ich.»Filmer ließ durch einen besonders gemeinen Angstmacher alle vier Zeugen der Anklage einschüchtern, und die Beweise waren hin. Diesmal… heute morgen… wollten wir eine Art Vorverfahren inszenieren, bei dem man den Zeugen nichts anhaben konnte, und alles aufzeichnen für den Fall, daß später jemand einen Rückzieher macht.«
Er sah mich skeptisch an.»Dachten Sie, man könnte mich einschüchtern? Ich versichere Ihnen, das kann man nicht. Nicht mehr.«
Nach einer Pause sagte ich:»Sie haben Xanthe. Ezra Gideon hatte Töchter und Enkelkinder. Eine Zeugin im Fall Paul Shacklebury sprang ab, weil man ihr erzählt hatte, was mit ihrer sechzehnjährigen Tochter passieren würde, wenn sie aussagte.«