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Ich wende mich nunmehr zu den materiellen Interessen, welche in dem Verhältnis der selbständigen zur unselbständigen Arbeit einander gegenüber treten -wobei ich hier auf das Markieren einiger Hauptpunkte mich beschränken muß.
Der Stand, welchen die Rechts_entwicklung angesichts der seit einem Jahrhundert erkennbaren, seit 50 Jahren ganz augenfällig hervortretenden Wirkungen der sich ausbreitenden organisierten Arbeitstätigkeit, mit Bezug auf diese Tätigkeit bis heute erreicht hat, wird am besten gekennzeichnet durch einfaches Gegenüberstellen zweier Tatsachen:
Wenn einer im Rahmen dieser Arbeitstätigkeit etwas unternimmt, was raucht, stinkt oder Lärm macht und dadurch einige Nachbarn belästigen oder schädigen kann, so wird gemäß den Gewerbeordnungen sein Tun schon lange der Obhut öffentlichen Rechts für würdig befunden. Und wenn ihrer viele zu Unternehmer-Assoziationen, wie Aktiengesellschaften u. dergl. sich verbinden und dadurch ihr Auftreten einige vermögensrechtliche Konsequenzen für sie selbst und andere Besitzende gewinnt, so hat dieses Tun die Gesetzgebung auch schon längst eingehender, sorgfältiger Regelung und Ordnung für wert erachtet. In beiden Fällen handelt es sich um Interessen solcher, die an Besitz oder Vermögen geschädigt werden können.
Wenn dagegen einzelne, oder ihrer mehrere zusammen, als Unternehmer in Aktionen eintreten, die keinen Rauch, Gestank oder Lärm verursachen und keine vermögensrechtlichen Kollisionen herbeiführen, so können diese Aktionen dadurch, daß viele in gleicher Art verfahren oder daß andere durch den Zwang der Konkurrenz das gleiche zu tun vielleicht genötigt werden, die allergrößte, einschneidendste Tragweite für das Gemeinwohl haben und weite Volkskreise unmittelbar oder mittelbar stark benachteiligen -das öffentliche Recht bekümmert sich darum nicht. Diejenigen, welche davon zunächst allein betroffen werden, können der Regel nach am Besitz nicht geschädigt werden, weil sie keinen haben.
Kraft »wirtschaftlicher Freiheit« kann also jeder, der aus Tatendrang oder auch nur aus Gewinnsucht die Funktionen des Unternehmers auszuüben wünscht, dazu mitwirken helfen, daß immer mehr Menschen einen gewohnten Beruf aufgeben und in den Industriezentren sich zusammendrängen ohne irgend eine Gewähr von Stetigkeit und Dauer ihrer neuen Tätigkeit. Er kann ein begonnenes oder seit langer Zeit schon bestehendes Unternehmen so lange fortsetzen, als es ihm noch genügend Vorteil zu bringen scheint, und wenn er meint, daß er auf andere Art sich besser stehen werde, etwa indem er seinen bis dahin gewonnenen Erwerb größer werdendem Risiko entziehe, so kann er es zuschließen und diejenigen, welche inzwischen von solchem Unternehmen abhängig geworden sind, mögen sehen, wo sie bleiben. Wenn Jahre günstigen Geschäftsganges ihm große Überschüsse gelassen haben und dann Krisen oder sonstige Störungen zu zeitweiliger oder dauernder Einschränkung des Umfangs seiner Unternehmungen nötigen, so kann er plötzlich so viel Arbeiter entlassen, als nötig ist, um für ihn ein neues Gleichgewicht zwischen Ertrag und Aufwendungen herbeizuführen; denn niemand kann ihm zumuten, den früheren Gewinn wieder teilweise herauszugeben um anderen über Krisen hinwegzuhelfen. Auch kann er alle, welche in seinem Dienst ihre Kräfte verbraucht haben oder sonst arbeitsunfähig geworden sind, der Fürsorge der Gemeinde überlassen, soweit nicht neuerdings die Versicherungsgesetzgebung in diesem Punkte einige Hilfe hat eintreten lassen; denn weiteres tun zu sollen, würde gleichfalls eine nachträgliche Herausgabe des Gewinnes besagen, den er früher von ihrer Tätigkeit gehabt und längst in sein persönliches Eigentum genommen hat.
Das sozialpolitisch bedeutsamste Moment in dem ungeregelten, sich selbst überlassenen Verhältnis zwischen Unternehmer und Arbeiter liegt aber in den Wirkungen, welche die Konkurrenz der Unternehmer untereinander für die Arbeiter gewinnt. Das wichtigste und meistgebrauchte Mittel in einem nur durch Rücksichten des eigenen Vorteils geleiteten Wettbewerb ist immer das Unterbieten anderer in den Preisen der Arbeitserzeugnisse, und hierzu stachelt namentlich der Handel immer mehr an, je mehr er als Vermittler zwischen Konsument und Produzent überall sich eindrängt. Denn der Zwischenhandel hat ein ganz besonderes Interesse daran, den Konsum dahin zu lenken, wo der geringere Preis ihm Spielraum für größeren eigenen Gewinn läßt. Der Unternehmer selbst will dabei von seinem Verdienst möglichst wenig abgeben und kann auch auf Arbeitsgebieten mit sehr starker Konkurrenz öfters nicht anders, wenn ihm ein mäßiges Äquivalent für eigene Arbeit noch übrig bleiben soll. Die Herabsetzung des Produktionspreises in der Konkurrenz der Unternehmer geht daher, soweit sie nicht durch die fortschreitende Verbesserung der Arbeitsmethoden getragen ist, durchaus auf Kosten der Arbeiter. Sie erzeugt die ausgesprochene Tendenz, für den gleichen Lohn größere Arbeitsleistung durch längere Arbeitszeit oder stärkere Anspannung der Arbeitskraft zu gewinnen. Wo aber, nachdem auf vielen Gebieten der Industrie das Äußerste von Ausnutzung der menschlichen Arbeitskraft auf diesem Wege zustande gekommen, hierin ein Stillstand, an einigen Stellen sogar schon ein erfreulicher Rückgang eingetreten ist, behält das Streben der Unternehmer nach Verbilligung der Arbeitserzeugnisse zur Erleichterung des Wettbewerbs mit anderen Unternehmern immer noch die Tendenz, den Arbeitern einen Anteil an der fortschreitenden Steigerung ihrer Leistungsfähigkeit durch Verbesserung der Methoden und Einrichtungen, erweiterte Anwendung der Maschinen usw., möglichst vorzuenthalten. Die Verbilligung der Industrieerzeugnisse kommt aber nur zu einem relativ kleinen Teil den Arbeitern selbst, zum weitaus größeren Teil den wohlhabenden Klassen zu gut. Denn sie betrifft vorzugsweise Gegenstände, die, soweit sie nicht wieder den Unternehmern als Arbeitsmittel dienen, erst für eine gehobene Lebenshaltung Wert haben. Auch hat die Verbilligung in sehr großem Umfang -z. B. bei fast allen Massenartikeln für Kleingebrauch und Luxus, also gerade in den Industriezweigen, welche die gedrückteste Lage der Arbeiter aufweisen - keineswegs die wohltätige Wirkung, diese Dinge auch solchen zugänglich zu machen, denen sie sonst versagt blieben, sondern sie veranlaßt nur eine maßlose Vergeudung menschlicher Arbeit bei reich und arm, weil das einzelne seiner Billigkeit wegen der Schonung gar nicht mehr wertgehalten wird.