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Die Wirkungen, welche die Ausbreitung der organisierten Arbeitstätigkeit unter dem Schutz wirtschaftlicher Freiheit bis jetzt hervorgebracht hat, liegen in allen Industrieländern klar zutage -als Massenarmut und Massenelend, und als fortschreitende physische Degeneration großer Volksschichten und sie begleitende Abstumpfung der sittlichen Kräfte. Schlimm aber wäre es für die menschliche Kultur, wenn der große Aufschwung wirtschaftlicher Aktion der Völker, den die neue Arbeitsform herbeigeführt hat, solche Folgen mit sich bringen müßte -und schlimm für den heutigen Staat, wenn dieser im Rahmen seiner Staatseinrichtungen ihrer nicht Herr zu werden vermöchte.

Wie nun im Zinswesen das Verhältnis des einzelnen zum einzelnen ein redliches bleibt, Ungerechtigkeit und Widersinn erst zum Vorschein kommen in dem Verhältnis der Gesamtheit der Zinsempfänger zur Gesamtheit der Zinszahler, so ist auch in dem eben betrachteten Interessenstreit von Unternehmer und Arbeiter die Beziehung des einzelnen zum einzelnen korrekt und unanfechtbar, wenn sie den privatrechtlichen Normen entspricht, die Recht und Sitte für die gegenseitige Abgrenzung von Einzelinteressen aufgestellt haben. In diesem Punkt könnte also höchstens einige Schärfung gewisser Rechtsbegriffe und Gewöhnung an etwas strengere Sitte in Frage kommen. Ebensowenig aber, wie die Wirkungen des Zinswesens vernünftigerweise abgewandt werden könnten durch Beseitigung des Zinsnehmens, ebensowenig ließen sich die Folgen der Klassenscheidung in der organisierten Arbeit aufheben durch Außerkurssetzen der Triebkräfte, die der Wettbewerb und die Ausgleichung von Angebot und Nachfrage in die Wirtschaftstätigkeit einführen. So sicher es nun ist, daß die im Staat gesammelte menschliche Gesellschaft durch vernünftige Einrichtungen nachteilige Wirkungen von Formen der Wirtschaftstätigkeit überwinden kann, so sicher ist es also auch, daß solche Einrichtungen nur zu finden sind unter dem Gesichtspunkt einer Staatsidee, welche sich nicht erschöpft in der Betrachtung des privatrechtlichen Verhältnisses zwischen den einzelnen, sondern daneben die gleichartige, übereinstimmende Tätigkeit ganzer Klassen als wesentliche Funktionen des Volksorganismus begreift.

Jede in diesem Sinne »organische« -d. i. notwendigerweise »soziale« - Staatsidee muß aber zu der Einsicht führen, daß, nachdem das Unternehmertum eine unentbehrliche Institution der Wirtschaftsordnung geworden, seine Klassenfunktion ist: die physische Arbeitskraft des ganzen Volkes, welche die arbeitenden Klassen in sich enthalten, zu organisieren und zu leiten. Mag nun der Unternehmer als einzelner seine Tätigkeit durchaus unter Rücksichten seines persönlichen Vorteils betreiben, und mit dem Arbeiter als einzelnem kontrahieren nur nach den Regeln von Angebot und Nachfrage in bezug auf die persönliche Arbeitskraft, die letzterer zu Markte bringt -die Gesamtheit der Unternehmer benutzt und verwaltet dabei die körperliche Arbeitskraft des gesamten Volkes, von welcher der einzelne Arbeiter je ein gewisses Stück inne hat. Unternehmer sein ist daher, unbeschadet des rein privaten Charakters des einzelnen, hinsichtlich der Tätigkeit der Klasse eine öffentliche Funktion: Verwaltung der nationalen Arbeitskraft in der Wirschaftstätigkeit des Volkes -und diese Funktion muß naturgemäß durch öffentliches Recht nach Anforderungen des Gemeinwohls geregelt sein.

An zwei wichtigen Punkten, auf welche dieser Gedankengang sofort hinführt: Vorsorge für Schonung und Erhaltung der physischen Volkskraft und: Haftung für den regelmäßigen Verbrauch dieser Volkskraft hat unsere Gesetzgebung glücklicherweise schon die ersten Schritte zu öffentlich-rechtlicher Regelung der organisierten Arbeitstätigkeit getan -zwar meist erst kleine und zaghafte Schritte, doch aber Schritte von hoher grundsätzlicher Bedeutung, insofern sie Konsequenzen einer organischen Staatsidee auf dem Gebiet der Volkswirtschaft zum Ausdruck bringen. Den ersten Punkt betreffen die Anfänge des »Arbeiterschutzes«, den zweiten die Arbeiter-Versicherungsgesetze. Die Aufgabe aller Parteien, welche an der Lösung der sozialen Frage ernsthaft mitarbeiten wollen, muß es sein, an diesen Stellen der Fortbildung des öffentlichen Rechts kräftige Impulse zu geben.

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In bezug auf den ersten Punkt: Vorsorge für Schonung und Erhaltung der Volkskraft, bemerke ich, unter Absehen von allem mehr Nebensächlichen, folgendes:

Auf die mancherlei ungünstigen Wirkungen physischer und psychischer Art, welche die Tätigkeit unter weitgehender Arbeitsteilung überhaupt und namentlich die Arbeit an Maschinen begleiten, habe ich im Eingang meines heutigen Vertrags schon hingewiesen. Alle diese Nachteile fallen ganz und gar auf die unselbständigen Arbeiter. Schon die staatserhaltende Gerechtigkeit fordert, daß, wenn diese die Nachteile tragen müssen, auch Mitgenuß der Vorteile ihnen nicht vorenthalten werde, welche die organisierte Arbeit darin bringt, daß in ihr die Leistung des einzelnen sich verzehnfacht -sie fordert also, daß diese Steigerung der Produktionsfähigkeit nicht ausschließlich dem Unternehmergewinn und der Verbilligung der Erzeugnisse, sondern auch den Arbeitenden selbst durch Verminderung ihrer zeitlichen Inanspruchnahme zugute komme. Es ist kein würdiger Inhalt eines Menschendaseins, nur Rad in einer Maschine zu sein, was doch die Arbeitsteilung für die meisten während der Arbeitsschichten bedeutet -und es ist keine Grundlage für die Erhaltung eines höheren sittlichen und geistigen Niveaus und für die Pflege gesunden Familienlebens in der Majorität des Volkes, daß der Arbeiter keine andere Abwechselung habe als zwischen strenger Arbeit und Befriedigung des dringendsten Ruhebedürfnisses.

Das noch immer fortschreitende Herabgehen der körperlichen Tüchtigkeit in allen Industriebezirken zeigt aber auch die Notwendigkeit, behufs Erhaltung der physischen Kraft und Gesundheit des Volkes den ungünstigen Einflüssen der modernen Arbeitstätigkeit durch deren zeitliche Beschränkung ein Gegengewicht zu bieten und die Erfahrungen, welche England mit der gesetzlichen Beschränkung der industriellen Arbeit schon vor langer Zeit gemacht hat, bezeugt zugleich die Wirksamkeit dieses Gegengewichts. In diesem Land hat nun eben jetzt eine weitblickende Regierung durch Einführung des 8-Stunden-Tages in den Staatswerkstätten das Signal gegeben, nach welchem ohne Zweifel in kurzer Zeit die Drittelung des Tages dort die allgemeine Norm für die industrielle Arbeitsregelung werden wird. Nunmehr ist die Reihe an uns in Deutschland, über die Bedeutung der Worte nachzudenken, die bei Gelegenheit der früheren Parlamentsdebatten über die 10-Stunden-Bill Macaulay seinen Landsleuten gesagt hat: »Wenn jemals dieses Land (also England) seinen alten Ruhm, das erste zu sein unter den Industrieländern, einem andern Volk abzutreten haben sollte, so wird dieses gewiß nicht ein Geschlecht von kümmerlichen Zwergen sein, sondern nur ein Volk, welches an körperlicher Rüstigkeit und geistiger Spannkraft dem unsrigen überlegen ist!«