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»Iiiiiiiihhh!« kreischte Jaspara, und ihr Schrei klang so furchtbar und durchdringend, daß Tom sich die Hände auf die Ohren preßte.

Aber das gräßliche Zischen hörte er trotzdem - das Zischen, mit dem Jaspara sich auflöste. Ihr ganzer Körper wurde zuerst durchsichtig wie Milchglas. Dann zerriß er wie zerschlissenes Tuch und trieb mit dem Wind davon.

Urlaubsreif

»Tom!« rief Frau Kümmelsaft unter der Brücke. »Tom, wo bist du?«

»Alles in Ordnung!« rief Tom, obwohl sich seine Stimme ganz und gar nicht so anhörte.

»Brooovooo!« rief Hugo von seinem Baum herunter. »Ör hot sü vördohompft, vollkommön vördompft.«

Tom ging mit zitternden Knien zum Brückengeländer und sah hinunter.

»Oh, sehr erfreut, Sie zu sehen, junger Mann!« rief Herr Wurm und hielt seine Laterne hoch. Neben ihm saßen seine Frau und die tropfnasse Frau Kümmelsaft.

»Es war so ein furchtbarer - icks - Lärm da oben!« rief Frau Wurm. »Wir haben uns - icks - wirklich Sor­gen gemacht.«

»Sie ist weg«, sagte Tom. »Aufgelöst, weggeweht, futsch. Professor Boccabellas Methode hat prima funk­tioniert!«

»Mein lieber Tom«, sagte Frau Kümmelsaft und putzte sich die tropfende Nase. »Mein lieber Tom, du bist ein haarsträubend verwegener Mensch! Wie konn­test du nur so seelenruhig da stehenbleiben, als sie dir den Schleier wegriß? Nein, so was.«

»Och, na ja«, murmelte Tom verlegen. »War halb so schlimm.«

»Halb so schlimm?« rief Frau Kümmelsaft. »Das war das Leichtsinnigste, Verrückteste und Mutigste, was

ich je an Gespensterjägerei gesehen habe.

Mein altes Herz ist mir fast stehengeblieben. Und dann falle ich auch noch in den Wassergraben. Eine unglaubliche Blamage!« Kopfschüttelnd sah sie an sich herunter. »Nun ja, Schnee von gestern. Vielleicht soll­te ich diesen nervenaufreibenden Beruf aufgeben und meine Memoiren schreiben.«

»Was?« Tom mußte furchtbar niesen. »O nein, bitte nicht. Aber könnten wir jetzt vielleicht ins Warme ge­hen? Wenn meine Zähne noch länger klappern, fallen sie mir bestimmt aus.«

»Ja, natürlich!« rief Herr Wurm. »Sofort! Auf der Stelle! Allerdings.« Er räusperte sich verlegen. »Aller­dings habe ich vor Schreck die Ruder ins Wasser fallen lassen. Könnte Herr Hugo uns wohl liebenswürdiger­weise ans Ufer ziehen?«

Hugo konnte, und während Tom sich vor dem Kamin erst mal aufwärmte, bereitete Frau Wurm in der Burg­küche ein wunderbares Frühstück vor.

Draußen dämmerte ein kalter grauer Morgen herauf, aber in der riesigen Küche war es gemütlich und warm. Es duftete nach heißem Kakao und gebratenen Eiern, und Tom fühlte sich von den Zehenspitzen bis zum Scheitel außerordentlich wohl.

Wie Helden sich eben so fühlen.

Sie alle saßen zusammen an dem großen Holztisch, an dem früher die Dienerschaft der Burg gesessen hat­te, aßen arme Ritter, Rosinenbrötchen mit Erdbeer- marmelade und Eier auf gesalzenem Toast. Ja, und Hugo schilderte noch einmal auf höchst eindrucksvolle Weise, wie Tom der gräßlichen Baronin den Garaus gemacht hatte. Schließlich hatte das MUG von seinem Baum aus eine erstklassige Sicht auf das Geschehen gehabt.

»Uch trünkö ouf Tom Tomsky!« säuselte Hugo und hob sein Glas. »Dön böstön Goistörvördompför ollör Zoitön!«

»Ach, hör schon auf«, murmelte Tom und wurde so rot wie eine Kirsche.

Aber Hugo war noch nicht fertig.

»Und üch trünkö«, fuhr er fort und schlürfte etwas von dem Eiswasser, das Frau Wurm ihm hingestellt hatte, »üch trünkö ouf du Bluhutügö Boronün. Sü wor oin würklüch gonz obschoilüchös schoißlüchös Göspönst. Und so hörrlüch humorlos.«

Er kicherte hohl. »Konntö üüüberhoupt koinön Spoß vörstöhön, noin, übörhoupt nücht.«

»Ich fand' es auch nicht gerade spaßig, wenn mir jemand dauernd den Kopf abpflücken würde«, sagte Tom und schmierte sich Butter auf das vierte Rosinen­brötchen. Vom Geisterjagen bekam er immer riesigen Hunger.

»Noin?« fragte Hugo. »No, so wos!«

Und - schwups - hatte er Tom die Brille von der Na­se gepflückt.

»Hugo!« stöhnte Tom. »Hör auf mit dem Mist. Gib mir die Brille wieder.«

»Noohoin!« Hugo schwabbelte kichernd unter die Decke. »Nur, wönn du dos Kloid noch mol anzühst. Du sohst oinfoch zu süß dorün ous.«

»Frau Wurm«, sagte Tom, »könnten Sie mir wohl ein paar rohe Eier bringen?«

»Schon gut, schon guuut«, säuselte Hugo und kam hastig wieder heruntergeschwabbelt. Wie alle MUGs packte ihn schon beim Anblick eines rohen Eis das nackte Entsetzen. Ärgerlich setzte er Tom die Brille wieder auf die Nase.

»Also ich glaube«, sagte Tom mit einem tiefen Seuf­zer, »ich glaube, ich habe von Gespenstern erst mal die Nase voll. Wie wär's, wenn Kümmelsaft & Co. eini­ge Tage Urlaub machen würden?«

»Geht nicht!« sagte Frau Kümmelsaft. »Ich habe für nächste Woche schon einen Auftrag angenommen. Ein STIKLOGEI in einer Schule. Aber ich kann das auch mit Hugo allein erledigen.«

»Nein, nein, schon gut«, sagte Tom. »STIKLOGEIs sind harmlos. Außerdem brauch' ich noch eins für mein Zweites Gespensterjäger-Diplom.«

»Was - icks -, bitte, ist ein STIKLOGEI?« fragte Frau Wurm.

»Ein stinkender Klopfgeist«, sagte Tom. »Lästig, a­ber harmlos.«

»Und döhööömlüch«, säuselte Hugo. »Furchtbor dö- öömlüch.«

Frau Kümmelsaft nickte. »Ziemlich. Aber ich ver­spreche dir, mein lieber Tom, daß wir danach zwei Wochen Urlaub machen, einverstanden?«

»Einverstanden«, sagte Tom und dachte, daß zwei Wochen ganz ohne Geister vielleicht doch etwas lang­weilig wären...

Die Autorin

Cornelia Funke wurde 1958 in Dorsten/Westfalen gebo­ren. Nach dem Abitur studierte sie Pädagogik und arbeitete dann mit vielen wilden Kindern auf einem Bauspielplatz in einem Hamburger Neubauviertel. Zusätzlich studierte sie an der Fachhochschule für Gestaltung Buchillustration. 1987 machte Cornelia Funke sich selbständig und schreibt und illustriert seitdem Kinderbücher.