Die Topologie von ›Wachposten‹ scheint der eines Ricci-Cartan-Penrose-Knotens im 7-dimensionalen Raum zu entsprechen.
Mutmaßlicher Zweck: Unbekannt. Es wurde allerdings die Vermutung angestellt (in Analogie zu anderen Artefakten der Baumeister, vgl. Einträge 311, 465 und 1.223), dass die ›Pyramide‹ über nahezu unendliche Kapazität zur Informationsspeicherung und eine nahezu unendliche Lebensdauer verfügen könnte. Daher wurde die Vermutung geäußert (Lang, 41 30 E.), dass die ›Pyramide‹ und möglicherweise der gesamte ›Wachposten‹ eine Bibliothek der Baumeister darstellt.
4
Gezeitensturm minus einunddreißig
Der erste Teil ihrer Reise zu Erdstoß hinüber erfolgte in völligem Schweigen. Nachdem einmal klar geworden war, dass Rebka darauf bestand, die Reise anzutreten, und sich auch nicht davon abbringen lassen würde, hatte Perry sämtliche Energie verloren. Er versank in einer sonderbaren Lethargie, saß schweigend neben Rebka im Flugwagen und starrte nur noch geradeaus. Kurz erwachte er, als sie den Fuß von ›Nabelschnur‹ erreichten, aber gerade nur lange genug, um sie zu einer Passagierkapsel zu führen und die Steuersequenz für den Aufstieg einzugeben.
Von der Höhe des Meeresspiegels aus betrachtet war ›Nabelschnur‹ beeindruckend, aber nicht überwältigend. Für Rebka sah es aus wie ein hoher, schmaler Turm von vielleicht vierzig Metern im Durchmesser, der von der Oberfläche des Ozeans von Opal bis in die dicke, gleichförmige Wolkendecke hinaufragte. Der Hauptrumpf der Struktur bestand aus einer silbrigen Legierung, entlang der Passagiere und Lasten in großen Kapseln hinauf und hinunter befördert werden konnten. Diese wurden elektromagnetisch an der Röhre gehalten, gehalten und bewegt wurden sie durch Synchronmotoren. Die genaue Konstruktion war ihm gewiss unbekannt, doch das Konzept hatte Rebka schon auf einem Dutzend anderer Welten erlebt: Menschen und Material wurde in Gebäuden von mehreren Kilometern Höhe hinauf und hinunter befördert, manchmal sogar bis in eine Umlaufbahn hinauf. Zu wissen, dass ›Nabelschnur‹ unter der Meeresoberfläche noch mehr als zwei Kilometer weiterging, sich bis zur Vertäuung am Grunde des Ozeans erstreckte, war schon etwas überraschender, doch das vermochte der menschliche Verstand noch zu begreifen.
Was der menschliche Verstand — oder zumindest Rebkas Verstand — nicht so leicht zu begreifen vermochte, waren die zwölftausend Kilometer, die ›Nabelschnur‹ jenseits der Wolkendecke noch weiterging: ›Nabelschnur‹ reichte von Opal bis hin zu der ausgetrockneten, unruhigen Oberfläche von Erdstoß. Ein Betrachter, der eine der Kapseln bestieg, sah weniger als ein Zehntausendstel der gesamten Struktur. Mit einer Höchstgeschwindigkeit von etwa eintausend Stundenkilometern, die eine solche Kapsel im Raum erreichen konnte, durften Passagiere damit rechnen, zwei Sonnenaufgänge auf Erdstoß miterleben zu können, bevor sie ihr Ziel erreichten.
Und nun waren er, Rebka, und Perry also auf dem Weg.
Die Kapsel war so hoch und so breit wie das größte Gebäude, das es auf Opal gab. Als die Baumeister sie zurückgelassen hatten, war das Innere völlig leer gewesen, ein einziger, einförmiger Hohlraum. Die Menschen hatten dann mehrere Etagen eingezogen, von einem gewaltigen Laderaum im untersten Geschoss bis zu einer Steuerungs- und Beobachtungskabine — im obersten Teil der Kapsel.
Die Motoren des Fahrzeugs waren absolut lautlos. Das Einzige, was zu hören war, waren das Pfeifen des Luftstroms und das Murmeln atmosphärischer Turbulenzen. Noch fünf Sekunden, dann dürfte Hans Rebka einen ersten Blick auf Erdstoß werfen können, Erdstoß so sehen, wie man den Planeten von Opal aus betrachten konnte. Er hörte, wie Max Perry neben ihm ein leises Schnauben ausstieß.
Vielleicht tat Rebka es ihm nach. Denn auf einmal erschien ihm die ständige Wolkendecke von Opal wie ein Segen. Er war froh, dass der andere Planet nicht zu erkennen gewesen war, während er sich auf seinem Schwesterplaneten befunden hatte.
Gewaltig hing Erdstoß am Himmel, eine sonnenbeschienene, marmorierte Kugel, die drohend über ihm schwebte, jederzeit bereit, auf ihn herabzustürzen. Sein Verstand sagte ihm, dass keine Kraft des Universums ein derartiges Gewicht zu tragen im Stande wäre, dass man sich an diesen Anblick niemals würde gewöhnen können. Gleichzeitig führte sein Vorderhirn eine Berechnung der Umlaufgeschwindigkeiten und der sich daraus ergebenden Zentrifugal- und Gravitationskräfte durch, und das brachte ihn zu dem Schluss, alles befinde sich in einem perfekten dynamischen Gleichgewicht. Ein oder zwei Tage lang mochte einen diese ständige Bedrohung, die von Erdstoß auszugehen schien, noch beunruhigen; dann hatte man sich daran gewöhnt und ignorierte den Planeten und die Drohung, die von ihm auszugehen schien, einfach.
Auf diese Entfernung waren Details nicht auszumachen, doch es war eindeutig, dass Rebka eine Welt ohne größere Seen oder Ozeane betrachtete. Sofort dachte er an Terra-Formierung; nicht nur mit Erdstoß oder Opal allein, sondern gleich mit dem ganzen Dublett. Das war doch das perfekte Anwendungsgebiet! Erdstoß verfügte über Metalle und Mineralien, Opal über Wasser. Es wäre gewiss eine beträchtliche Aufgabe, aber auch nicht größer als manch andere, die er bereits übernommen hatte. Und ein Anfang für das dafür erforderliche Transportsystem war auch schon gemacht und befand sich in optimaler Position.
Er schaute an der Länge von ›Nabelschnur‹ entlang. Er konnte den Strang, der sich immer weiter nach oben zog, etwa einhundert Kilometer lang verfolgen, dann verlor er ihn aus den Augen. ›Mittelstation‹, das viertausend Kilometer über ihnen hing, genau im Schwerpunkt des Opal-Erdstoß-Systems, war als winziger goldener Knoten in einem unsichtbaren Fadenstrang zu erkennen. In einem halben Tag würden sie ›Station‹ erreichen, um dort das Fahrzeug zu wechseln. Es blieb noch genügend Zeit nachzudenken.
Und genügend, worüber es nachzudenken galt.
Rebka schloss die Augen und ging alle seine Sorgen der Reihe nach durch.
Fangen wir mit Max Perry an! Obwohl Rebka diesen Mann erst wenige Tage beobachtet hatte, war jetzt schon klar, dass es zwei Max Perrys gab. Der eine war ein ruhiger, langweiliger Bürokrat, jemand, von dem Rebka erwarten würde, dass er einen langweiligen Job ohne jede Aufstiegschance auf irgendeinem Rattenloch von Welt innerhalb des Phemus-Kreises versähe. Doch irgendwo darunter verbarg sich eine zweite Persönlichkeit, eine energiegeladene, scharfsinnige Person mit guten eigenen Ideen. Dieser zweite Max Perry schien nur hin und wieder zu erwachen.
Nein, das war falsch. Dieser andere Max erwachte, sobald es um Erdstoß ging, und nur dann! Und Max II musste der schlaue, entschlossene Mann sein, der Perry früher immer einmal gewesen war, die ganze Zeit über, vor sieben Jahren — als man ihn in das Dobelle-System versetzt hatte.
Rebka lehnte sich in seinem Sessel zurück, körperlich entspannt und geistig höchst aktiv. Also. Nehmen wir also einmal an, dass Max Perry ein Geheimnis hat. Aber die Frage ist, ob dieses Geheimnis rechtfertigt, einen ranghöheren, stets auf Handeln bedachten Mann wie Hans Rebka von einem wichtigen Projekt abzuziehen, bei dem es um die Erkundung von ›Paradox‹ geht, damit dieser auf der unbedeutenden Welt Opal Amateur-Psychologe spielen kann!