Rebka verwünschte diese letzte Modifikation, als ihr Fahrzeug sich Erdstoß näherte. Während sie zur Mittelstation aufgestiegen waren, hatte er den faszinierenden Ausblick auf den Planeten genossen, der vor ihnen lag — genug sogar, um bereit zu sein, das Baumeister-Artefakt, das ›Mittelstation‹ selbst darstellte, erst zu einem späteren Zeitpunkt in Augenschein zu nehmen. Er war davon ausgegangen, dass er immer weitere Details von Erdstoß würde beobachten können, bis sie schließlich landeten. Stattdessen schwenkte das Fahrzeug aus unerklärlichen Gründen einmal um die eigene Achse, als sie sich noch mehrere hundert Kilometer oberhalb der Oberfläche des Planeten befanden. Statt weiterhin Erdstoß im Blick zu haben, wurde ihm jetzt nur noch der wenig informative und daher geradezu ärgerliche Ausblick auf die sich stets verändernden Wolkenformationen von Opal geboten.
Rebka wandte sich zu Max Perry um. »Können Sie uns wieder herumschwenken? Ich kann überhaupt nichts sehen!«
»Nicht, wenn Sie nicht wollen, dass wir den Rest der Strecke im Kriechtempo zurücklegen.« Perrys Nervosität angesichts der unmittelbar bevorstehenden Landung schien augenscheinlich zu wachsen. »Wir werden jetzt jede Minute in die Atmosphäre von Erdstoß eindringen. Aus Gründen der aerodynamischen Stabilität muss die Kapsel dafür kopfüber stehen, oder wir müssen eben kriechen. Tatsächlich ist es sogar so, dass …« Er hielt inne, und sein Gesicht verspannte sich, so konzentriert war er auf einmal. »Hören Sie doch!«
Rebka brauchte einen Augenblick, um zu begreifen, was sein Begleiter meinte; dann nahm er ein fast unhörbar leises Pfeifen wahr, das sogar die Wände der Kapsel durchdrang. Das war das erste Anzeichen dafür, dass sie sich tatsächlich Erdstoß näherten: Sehr, sehr dünne Luft hemmte die Landung der immer weiter absinkenden Kapsel. Ihre Sinkgeschwindigkeit musste sich bereits jetzt verlangsamen.
Fünf Minuten später erhielt Rebka einen weiteren sensorisch wahrnehmbaren Hinweis. Die Kapsel war jetzt tief genug für einen Druckausgleich, also wurde Luft von Erdstoß eingeschleust. Ein leicht schwefliger Geruch erfüllte die Kabine. Gleichzeitig begann die Kapsel zu zittern und zu taumeln, ohne Zweifel eine Folge der Luftschichten, die sie hier durchstießen. Rebka spürte, wie er von einer zunehmenden Kraft in den gepolsterten Sessel gedrückt wurde.
»Noch drei Minuten«, erläuterte Perry. »Das ist das letzte Abbremsmanöver.«
Rebka schaute sich um. Sie standen kurz davor, auf dem Planeten aufzusetzen, über den Perry gesagt hatte, er sei zu gefährlich, um dort Besuche zuzulassen. Allerdings war weder in Perrys Stimme noch in seiner Miene auch nur eine Spur von Furcht zu erkennen. Er war nervös, ja, aber das ließ sich der Aufregung und der Vorfreude eines Mannes zuschreiben, der nach viel zu langer Zeit endlich wieder nach Hause zurückkam.
Nur: wie war das möglich, wenn Erdstoß doch eine so gefährliche Todesfalle war?
Die Kapsel wurde noch langsamer und hielt schließlich an, lautlos öffnete sich die Tür. Rebka, der Perry beim Hinausgehen folgte, hatte das Gefühl, als würden sich seine Vermutungen hier bestätigen. Die Landschaft, die sie betraten, war eben, eine blaugraue, staubige Fläche, auf der nur spärlich dunkelgrünes Gebüsch und niedrige, ockerfarbene Flechten wuchsen. Es war wirklich trocken und heiß hier, und der Geruch nach Schwefel war in der Nachmittagsluft noch deutlicher; aber in weniger als einem Kilometer Entfernung konnte Rebka Wasser blitzen sehen, an dessen Ufer deutlich höhere Pflanzen wuchsen, und ganz in ihrer Nähe stand eine Herde gedrungener Tiere, die sich allerdings auffallend langsam bewegten. Sie sahen aus wie Pflanzenfresser, und sie grasten dem Augenschein nach hier auch, langsam, lautlos.
Es gab keine Vulkanausbrüche, kein Beben der Erde und auch keine gewaltigen Unruhen unter der Oberfläche des Planeten. Erdstoß war ein friedlicher, verschlafener Planet, der in der Hitze döste, und seine Bewohner bereiteten sich auf die noch höheren Temperaturen vor, die mit dem Gezeitensturm einhergingen.
Bevor Rebka noch etwas sagen konnte, blickte Perry sich um und schüttelte den Kopf.
»Ich weiß nicht, was hier vor sich geht.« Deutlich stand ihm Verwirrung ins Gesicht geschrieben. »Meine Warnung vor den Problemen, auf die wir hier stoßen müssten, war alles andere als ein Scherz! Verstehen Sie: Es ist hier einfach viel zu ruhig! Und es sind nicht einmal mehr dreißig Tage bis zum Gezeitensturm, und auch noch bis zu dem schlimmsten, den wir jemals erlebt haben!«
Rebka zuckte mit den Schultern. Wenn Perry hier irgendwelche durchtriebenen Spielchen spielte, dann vermochte er, Rebka, diese nicht zu durchschauen. »Für mich sieht hier alles völlig in Ordnung aus.«
»Für mich auch. Das ist ja genau das, was hier nicht stimmt!« Perry machte eine ausladende Bewegung mit dem Arm, die den ganzen Planeten einschloss. »So dürfte das hier gar nicht aussehen! Ich war um diese Jahreszeit schon hier, schon viele Male. Wir sollten hier inzwischen Erdbeben und Vulkanausbrüche miterleben — richtig heftige! Wir sollten sie spüren, unter den Füßen! Und in der Luft müsste zehnmal so viel Staub sein.« Er klang ernstlich verwirrt.
Rebka nickte, dann drehte er sich einmal ganz um die eigene Achse und betrachtete ausgiebig die gesamte Umgebung.
Gleich vor ihnen befand sich die breite Basis von ›Nabelschnur‹: Sie berührte die Oberfläche des Planeten, doch es gab hier keine mechanische Vertäuung. Die Befestigung erfolgte elektromagnetisch, das Magnetfeld haftete an der metallreichen Kruste von Erdstoß. Perry hatte ihm erklärt, das sei erforderlich, weil die Oberfläche des Planeten um den Gezeitensturm herum so instabil sei. Das hatte plausibel geklungen, und es passte auch ganz und gar zu Perrys Schilderungen, wie heftig die Naturereignisse hier sein würden. Warum sonst hätten die Baumeister auf eine richtige Verankerung verzichten sollen? Aber nur, weil eine Behauptung plausibel klang, machte sie das noch lange nicht wahr.
Jenseits von ›Nabelschnur‹, in Richtung von Mandel, der sich jetzt anschickte, als Scheibe zu versinken, brütete eine niedrige Bergkette in der Hitze, fast purpurgrau wirkten die Berge in der staubigen Luft. Deren Kuppen waren fast gleich hoch, und die dazwischenliegenden Abstände wirkten sonderbar regelmäßig. So rau, wie sie aussahen, und so steil, wie sie waren, mussten sie vulkanischen Ursprungs sein. Doch Rebka konnte nirgends eine Rauchsäule entdecken und ebenso wenig Anzeichen für Lavaströme neueren Datums. Er schaute genauer hin. Der Boden unter seinen Füßen war eben und unverletzt, ohne jegliche Risse, und es gab auch im Pflanzenwuchs keine nennenswerten Lücken, die ein Hinweis darauf hätten sein können, dass erst kürzlich die Oberfläche aufgerissen wäre.
Das also war Erdstoß — der große, schreckliche Planet Erdstoß? Rebka hatte schon in aller Seelenruhe in Gegenden geschlafen, die mehr als zehn mal so erschreckend und gefährlich gewesen waren. Ohne ein Wort machte er sich auf den Weg in Richtung See.
Perry hatte es eilig, ihn einzuholen. »Wohin gehen Sie?« Er war nervös, und diese Anspannung war eindeutig nicht nur gespielt.
»Ich möchte mir diese Tiere ansehen. Wenn das gefahrlos möglich ist.«
»Das sollte es sein. Aber lassen Sie mich vorgehen!« Perrys Stimme verriet seine Aufregung; er ging voran. »Ich kenne das Gelände hier.«
Sehr nett und aufmerksam von Ihnen, dachte Rebka. Nur dass ich hier in diesem Gelände nichts sehe, was es erforderlich machen würde, es rechtzeitig zur Gefahrenvermeidung zu erkennen! Hier und dort ragten Magmagestein und vereinzelte Basaltbrocken aus dem Boden, ein eindeutiges Zeichen für Vulkanismus, und es war manchmal durchaus schwierig, bei diesen Bodenverhältnissen voranzukommen, so zerklüftet, wie der Boden hier war. Doch Rebka sollte nicht mehr Schwierigkeiten haben, auf diesem Terrain sein Ziel zu erreichen, als Perry.