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Während sie sich dem Wasser näherten, wurde es sogar einfacher, sich über das Gelände zu bewegen. Nahe dem See lag eine Grünfläche, dicht mit elastischem, dunkelgrünem Gras bedeckt, das es irgendwie geschafft hatte, sich an den trockenen Felsen festzuklammern. Kleine Tiere, allesamt Wirbellose, blieben reglos sitzen, bis die beiden Männer sich ihnen auf wenige Meter genähert hatten, dann schlängelten sie in aller Ruhe in Richtung des Sees davon. Es waren Tiere mit rundem Rücken, dabei radialsymmetrisch, mit zahlreichen Beinen und zahlreichen Mäulern, rings um den Körper angeordnet, mit denen sie das Gras rupften.

»Sie wissen, was mich stört, oder nicht?«, fragte Rebka plötzlich.

Perry schüttelte den Kopf.

»Das alles hier!« Rebka deutete auf die Pflanzen und die Tiere rings um sie. »Sie bestehen darauf, dass Menschen Erdstoß während des Gezeitensturms nicht zu nahe kommen dürfen. Sie behaupten, wir würden hier nicht überleben können, und ich soll Julius Graves und all den anderen sagen, dass ihre Besuchsanträge abgelehnt werden, und damit verlieren wir sämtliche Einkünfte, die Dobelle durch diese Besucher zufließen könnten. Aber die da sind immer noch hier.« Er deutete auf die Tiere, die sich langsam auf das Ufer des Sees zubewegten. »Die überleben hier, und das anscheinend ohne jegliche Probleme. Was können die, was wir nicht können?«

»Zwei Dinge.« Sie hatten das Ufer des Sees jetzt erreicht, und aus irgendeinem Grund war die ganze Nervosität von Perry abgefallen. »Erstens vermeiden sie es, während des Gezeitensturms an die Oberfläche von Erdstoß zu kommen. Jedes dieser Tiere, alle, die Sie auf Erdstoß finden können, sterben entweder kurz vor dem Gezeitensturm und die Nachkommen schlüpfen erst aus den Eiern, wenn der Gezeitensturm vorüber ist, oder sie halten Sommerschlaf — sie verstecken sich also den ganzen Sommer über. Diese Herbivoren dort sind allesamt Amphibien. In ein paar Tagen bewegen die sich hin zum See, graben sich tief auf dem Grund in den Schlamm ein, und dann schlafen sie, bis sie gefahrlos wieder herauskommen können. Wir können das nicht. Zumindest Sie und ich nicht. Vielleicht ist das bei den Cecropianern ja anders.«

»Wir könnten etwas Ähnliches tun. Wir könnten Habitate errichten, Kuppeln unter den Seen.«

»Na schön. Das könnten wir, aber ich habe so meine Zweifel, dass Darya Lang und die anderen dem zustimmen würden. Außerdem ist das ja bisher nur die halbe Wahrheit. Ich habe gesagt ›zwei Dinge‹. Das andere, was die Fauna hier zu tun in der Lage ist, ist nämlich, sich wirklich schnell zu vermehren. Sie werfen zu jeder Jahreszeit, und das nicht zu knapp. Wir können uns paaren, so viel wir lustig sind, meinetwegen jeden Tag, aber deren Vermehrungsraten kriegen wir trotzdem nicht hin.« Perry grinste, doch er schien alles andere als belustigt. »Das müssen die hier auch so machen. Die Mortalität der Tiere und Pflanzen auf Erdstoß liegt bei über neunzig Prozent pro Jahr. Hier drängt die Evolution alles mächtig voran, also hat sich alles, was hier lebt und überleben will, so weit wie möglich den Umweltbedingungen angepasst. Und dennoch: auch jetzt noch werden neun Zehntel der gesamten Population hier zum Gezeitensturm sterben. Wollen Sie wirklich ein solches Risiko eingehen? Wollen Sie zulassen, dass Darya Lang und Julius Graves solche Risiken eingehen?«

Das war ein sehr gutes Argument — wenn Rebka bereit war, Perrys Behauptungen über die Gnadenlosigkeit des Gezeitensturms zu akzeptieren. Und bisher war das nicht der Fall. Eine dichte Annäherung an Mandel — und das passte sehr gut zu Perrys Aussagen darüber, wie heftig diese Gezeitenstürme abliefen — würde gewiss gewaltige Gezeitenkräfte auf Erdstoß freisetzen. Das stand völlig außer Frage. Aber es war nicht klar, wie sehr diese Landgezeiten tatsächlich die Oberfläche in Mitleidenschaft ziehen würden. Die Flora und Fauna von Erdstoß hatte seit mehr als vierzig Millionen Jahren überlebt. Und dabei hatten sie Dutzende dieser Großen Konjunktionen überstanden, auch wenn es noch keine Menschen gegeben hatte, die das hätten miterleben können. Warum sollten sie nicht mit Leichtigkeit eine weitere Große Konjunktion überstehen können?

»Gehen wir!« Hans Rebka hatte es sich überlegt. Mandel würde jetzt bald untergehen, und er wollte den Planeten verlassen haben, bevor sie gezwungen wären, sich auf das matte Dämmerlicht von Amarant zu verlassen. Er war sich sicher, dass Perry ihm nicht die ganze Wahrheit erzählte; er war sich sicher, dass dieser Mann seine eigenen Gründe dafür hatte, allen anderen weiszumachen, sie müssten sich von Erdstoß fern halten. Doch auch wenn Max Perry recht haben sollte, konnte Rebka schlichtweg nicht rechtfertigen, den Zugang zu Erdstoß vollständig zu verwehren. Es gab einfach keine der Regierung des Phemus-Kreises vorlegbaren Hinweise dafür, dass diese Welt wirklich so gefährlich war.

Stattdessen gab es sogar reichlich Argumente, die für eine Öffnung des Zugangs zu Erdstoß sprachen. Die hier heimischen Tierarten mochten ja Schwierigkeiten haben, den Gezeitensturm zu überstehen, aber diese verfügten schließlich weder über das Wissen noch über die Ressourcen der Menschheit. Ausgehend von dem, was Rebka bisher gesehen hatte, war er durchaus willens, den Gezeitensturm sogar selbst hier mitzuerleben.

»Wir haben die Pflicht, Besucher auf die Risiken eines solchen Besuchs hinzuweisen«, entschied er also, während er in Perrys Begleitung weiterging. »Aber bevormunden dürfen wir diese Besucher nicht! Wenn jemand unbedingt hierher will und dabei genau weiß, welche Gefahren hier drohen, bitte: Wir können niemanden davon abhalten — und sollten es auch nicht!«

Perry schien kaum zuzuhören. Immer wieder blickte er sich eifrig um, betrachtete mit gerunzelter Stirn den Himmel, starrte den Boden an und dann zu den Hügeln in der Ferne hinüber.

»So dürfte es hier gar nicht aussehen, verstehen Sie?«, brach es aus ihm heraus. Er klang völlig verblüfft. »Wo bleibt das denn alles?«

»Wo bleibt was?« Rebka wollte endlich aufbrechen.

»Die Energie! Die Gezeitenkräfte pumpen Energie in das System — von Mandel, Amarant und Gargantua. Und kein bisschen davon wird hier frei! Das bedeutet, es muss hier irgendeine Art internen Energiespeicher …«

Ein Blitz rötlichen Lichtes im Westen unterbrach ihn. Beide Männer schauten sofort in diese Richtung und sahen, dass sich zwischen ihnen und Mandel, der gerade in diesem Augenblick hinter der Bergkette zu verschwinden begann, eine Linie dunkler Fontänen immer weiter ausbreitete; von Feuer durchzuckt stiegen sie aus den Bergen in der Ferne auf.

Wenige Sekunden später trafen auch die Schallwellen ein; das Zittern des Boden kam noch ein wenig später, die Tiere jedoch hatten darauf nicht mehr gewartet. Bereits beim Aufflammen des ersten Blitzes rasten sie auch schon auf das Wasser zu, viel schneller, als Rebka ihnen das jemals zugetraut hätte.

»Eruptionen! Gleich fliegen uns hier die Felsbrocken um die Ohren!«, brüllte Perry und versuchte, ein Donnern zu übertönen, das fast wie Gewittergrollen klang. Er deutete auf die zahlreichen Rauchwolken in der Ferne. »Ein paar davon sind geschmolzen, und wir sind hier absolut in Reichweite! Kommen Sie!«

Er rannte schon auf ›Nabelschnur‹ zu, Rebka hingegen zögerte noch. Die Linie, die diese Eruptionen bildeten, wirkte sonderbar geordnet, die Dunkelheit, die sie in die anbrechende Nacht spien, kam von genau jeder dritten Bergkuppe. Kurz blickte Rebka in die andere Richtung — wäre es im Wasser vielleicht sicherer? —, dann folgte er Perry. Der Boden begann zu beben, schwankte so stark hin und her, dass Rebka das Gleichgewicht zu verlieren drohte. Es schien ihm besser, langsamer weitergehen, doch änderte er seine Meinung augenblicklich, als ein Klumpen, ein halb geschmolzener Felsbrocken so groß wie ein Flugwagen, kaum zwanzig Meter neben ihm aufschlug und zischend vor sich hin glomm.