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Der sintflutartige Regen, der ihren Flug zur Sternenseite so beschwerlich gemacht hatte, war deutlich schwächer geworden, und nun kam der Wagen kurz vor dem Gebäude zum Stehen, das Perry Darya Lang als Wohnquartier zugewiesen hatte.

Mit steifen Beinen erhob sich Hans Rebka aus seinem Sessel und rieb sich die Knie. Darya Lang sollte eigentlich hier auf sie warten, und die Landung des Luftwagens musste sie eigentlich gehört haben. Doch in der Nähe des Gebäudes war keine Spur von ihr zu entdecken. Stattdessen stand dort, halb unter dem vorspringenden Dachgesims, ein hochgewachsener Mann, dürr wie ein Skelett und mit einem kahlen, auffallend großen Schädel, und starrte den Wagen an. Er hielt einen schreiend bunten Regenschirm in der Hand. Sein schimmernd weißer Anzug mit den goldenen Epauletten und den hellblauen Verzierungen konnte nur aus den gesponnenen Fasern eines Ditron-Kokons gewebt sein.

Aus der Entfernung wirkte er elegant und eindrucksvoll, auch wenn sein Gesicht und seine Kopfhaut von harter Strahlung purpurrot verbrannt war. Aus der Nähe sah Rebka, dass seine Lippen und seine Augenbrauen beständig unkontrolliert zitterten und zuckten.

»Wussten Sie, dass er hier sein würde?« Mit dem Daumen deutete er auf den Besucher, doch knapp unterhalb der Unterkante des Fensters, sodass der Fremde es nicht würde sehen können. Er brauchte nicht zu erwähnen, wer dieser Fremde war. Mitglieder des Rates der Allianz bekam man nur selten zu Gesicht, doch die Uniform war jeder Clade auf jeder Welt des ganzen Spiralarms vertraut.

»Nein. Aber ich bin nicht überrascht.« Max Perry hielt die Tür des Wagen offen, damit Rebka aussteigen konnte. »Wir waren sechs Tage fort, und das entspricht genau dem Zeitfenster für seine uns avisierte Ankunft.«

Der Mann bewegte sich nicht, als Perry und Rebka ausstiegen und dann Schutz unter dem breiten Dachgesims suchten. Er klappte seinen Regenschirm zu und blieb eine halbe Minute reglos stehen, ignorierte die Regentropfen, die auf seinem kahlen Schädel zerplatzten. Schließlich wandte er sich zu ihnen um und begrüßte sie.

»Guten Tag. Aber kein gutes Wetter. Und ich nehme an, dass es noch schlimmer wird.« Die Stimme passte zu dem Mann, eine tiefe Grabesstimme, und ein rauer Unterton schwang in seinem kultivierten Akzent mit, der deutlich verriet, dass seine Heimatwelt Miranda war. Er streckte den beiden das linke Handgelenk entgegen, auf das unauslöschlich seine Identifikation eingeprägt war. »Ich bin Julius Graves. Ich nehme an, dass Sie über mein Kommen bereits informiert wurden.«

»Das ist richtig«, bestätigte Perry.

Er klang, als fühle er sich unbehaglich. Die Anwesenheit eines Ratsmitgliedes gleich welcher Clade reichte aus, um die meisten Leute dazu zu bewegen, über ihr Sündenregister nachzudenken oder sich darüber klar zu werden, wie eingeschränkt ihre Befehlsgewalt doch war. Rebka fragte sich, ob Graves noch einen weiteren Grund für seinen Besuch auf Opal haben mochte. Eines wusste er: Mitglieder des Rates waren stets hoffnungslos mit Arbeit überlastet, und sie mochten es nicht, ihre Zeit mit Nebensächlichkeiten zu vergeuden.

»Auf den Informationsblätter waren keine Details über den Grund Ihres Besuches vermerkt«, sagte Rebka also und streckte die Hand aus. »Ich bin Captain Rebka, zu Ihren Diensten, und das hier ist Commander Perry. Warum haben Sie das Dobelle-System aufgesucht?«

Graves rührte sich nicht. Schweigend und reglos stand er unter dem Sims, weitere fünf Sekunden lang. Schließlich nickte er den beiden Männern kurz zu und nieste lautstark. »Vielleicht sollten Ihre Fragen besser drinnen beantwortet werden. Ich habe mich unterkühlt. Ich warte hier bereits seit Sonnenaufgang, weil ich davon ausging, dass die anderen zurückkehren.«

Perry und Rebka blickten einander an. ›Die anderen‹? Und von wo ›zurückkehren‹?

»Sie sind vor acht Stunden aufgebrochen«, fuhr Graves fort, während man sich in das Gebäude begab, »genau zum Zeitpunkt meines Eintreffens. Der offizielle Wetterbericht lässt vermuten, dass ein …« Die tief im Schädel liegenden Augen schienen sich zu verdunkeln, und wieder schwieg ihr Besucher kurz. »Dass ein Sturm der Kategorie Fünf auf den Raumhafen von Sternenseite zuhält. Für jemanden, der an die Umweltbedingungen des Kreises nicht gewöhnt ist, müssen derartige Stürme gefährlich sein. Ich mache mir Sorgen, und ich wünsche mit den anderen zu sprechen.«

Rebka nickte. Eine Frage war damit bereits beantwortet. Darya Lang war auf Opal mit weiteren Besuchern zusammengetroffen, die nicht aus dem Phemus-Kreis stammten. Aber wer waren diese anderen Besucher?

»Wir sollten die Landepapiere durchsehen«, raunte er Perry zu. »Schauen wir mal, was wir da haben.«

»Tun Sie das ruhig, wenn Sie möchten!« Graves starrte ihn an; die blassblauen Augen schienen geradewegs bis in Rebkas Verstand hineinzuschauen. Der Allianzrat ließ sich auf einen Sessel aus gelbem Rohr und geflochtenem Schilf fallen, schniefte und fuhr dann fort. »Aber Sie müssen das nicht tun. Ich kann Ihnen berichten, dass Darya Lang von der Vierten Allianz auf Opal mit Atvar H’sial und J’merlia von der Cecropia-Föderation zusammengetroffen ist. Nachdem ich sie getroffen hatte, habe ich mir die Daten zu Werdegang und Lebensverhältnissen der drei genau angesehen. Zweifelsohne sind sie die, die sie zu sein auch vorgeben.«

Rebka sann einen Augenblick über die so erlangte Information nach und wollte schon den Mund öffnen, um etwas zu erwidern, da fuhr Perry ihm dazwischen.

»Das kann doch gar nicht funktionieren!«

Graves starrte ihn an, und die unruhigen Augenbrauen zuckten.

»Ein Tag, haben Sie gesagt, seit Sie hier angekommen sind«, erläuterte Perry. »Selbst wenn Sie eine Anfrage über den nächstgelegenen Punkt des Bose-Netzwerks abgeschickt haben, sobald Sie hier eingetroffen sind, diese dann über die Knotenpunkte weitergeleitet und sogar unmittelbar beantwortet wurde, muss die Bearbeitungszeit mindestens einen ganzen Standardtag gedauert haben — drei Opal-Tage. Das weiß ich aus eigener Erfahrung, ich habe das schon oft genug versucht.«

Perry hat ganz recht, dachte Rebka bei sich. Und er ist schnell, schneller, als mir das bisher klar war. Aber: Er macht einen taktischen Fehler. Allianzräte lügen nicht, und es bringt einem immer nur Ärger ein, sie der Lüge zu bezichtigen.

Doch Graves lächelte, zum ersten Mal, seit sie einander begegnet waren. »Commander Perry, ich bin Ihnen sehr dankbar. Sie haben mir meine nächste Aufgabe immens vereinfacht.« Er zog ein makellos weißes Tuch aus der Tasche, wischte sich damit über seinen kahlen Schädel und tippte sich dann mit dem Zeigefinger gegen eine mächtige, buschige Augenbraue.

»Wie kann ich das wissen, fragen Sie. Ich bin Julius Graves, wie ich bereits gesagt habe. Aber in gewisser Weise bin ich auch Steven Graves.« Er lehnte sich in seinem Sessel zurück, schloss für einige Sekunden die Augen, blinzelte kurz und fuhr dann fort. »Als man mich eingeladen hatte, mich dem Rat anzuschließen, wurde mir erklärt, ich hätte die Geschichte, die Biologie und die Psychologie jeder vernunftbegabten und jeder potenziell vernunftbegabten Spezies des gesamten Spiralarms zu kennen. Diese Datenmenge übersteigt die geistige Kapazität eines jeden Menschen.

Man hat mich vor die Wahl gestellt: Ich konnte mich für ein anorganisches Gedächtnisimplantat mit hoher Speicherdichte entscheiden — klobig und so schwer, dass mein Kopf und mein Hals ständig einer Stütze bedurft hätten. So etwas wird von den Ratsmitgliedern bevorzugt, die aus der Zardalu-Gemeinschaft stammen. Oder ich konnte einen internen Mnemotechnik-Zwilling entwickeln, ein zweites Paar Großhirnhemisphären, die aus meinem eigenen Hirngewebe herangezüchtet werden sollten und ausschließlich der Speicherung von Daten und Erinnerungen dienen. Dieser ›Zwilling‹ sollte in meinen eigenen Kopf passen, unmittelbar hinter meine Hirnrinde, und es wäre dafür nur eine minimale Schädelerweiterung erforderlich gewesen.