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Sie würde sofort davon berichten, und zwar …

(Blinzeln).

9

Gezeitensturm minus zwanzig

»Sie ist nicht tot, und sie liegt auch nicht im Sterben. Sie ist gerade dabei, gesund zu werden! Die übliche und richtige Reaktion eines Cecropianers auf Verletzungen und Erkrankungen jedweder Art ist immer der Verlust des Bewusstseins.«

Mitten in der kurzen Nacht von Opal standen Julius Graves und Hans Rebka neben dem Tisch, auf dem reglos Atvar H’sial lag. Eine Seite ihres dunkelroten Panzers hatte man mit einer dicken Schicht Gips und Agglutinat bedeckt, inzwischen war es zu einem schimmernd weißen Ersatzpanzer ausgehärtet. Den Saugrüssel hatte sie zusammengefaltet in den Hautbeutel unter ihrem Kinn zurückgezogen, während die Fühler aufgerollt auf dem breiten Kopflagen. Das Pfeifen der Luft, die durch die Stigmen gesogen wurde, war kaum zu hören.

»Und das ist erstaunlich effektiv, nach menschlichen Begriffen«, fuhr Graves fort. »Von einer Verwundung, die den betroffenen Cecropianer nicht umbringt, erholt dieser sich normalerweise sehr schnell — meist innerhalb von zwei, höchstens drei Tagen. Und Darya Lang und J’merlia überlegen, ob Atvar H’sial sich bereits genug erholt hat, um das Gesuch, Erdstoß aufsuchen zu dürfen, erneut einzureichen.« Er lächelte, das Lächeln eines Totenschädels. »Nicht gerade schöne Neuigkeiten für Commander Perry, was? Hat er Sie gebeten, alles so weit hinauszuzögern, bis der Gezeitensturm vorbei ist?«

Hans Rebka verbarg seine Überraschung — oder versuchte es zumindest. Langsam gewöhnte er sich daran, dass Julius Graves anscheinend unbegrenztes Wissen über jede einzelne Spezies im gesamten Spiralarm besaß. Schließlich war sein mnemotechnischer Zwilling ja zu genau diesem Zwecke geschaffen worden, und von dem Augenblick an. wo sie gemeinsam an die Absturzstelle gekommen waren, hatte Steven Graves sämtliche Schritte in der Behandlung der Verletzungen vorgegeben, die Atvar H’sial erlitten hatte: Der Panzer musste versiegelt werden, die Beine verbunden, der gebrochene Deckflügel vollständig entfernt — der würde nachwachsen, und den zerquetschte Fühler und die gelben Auditiv-Hörner sollte man sich selbst überlassen.

Aber es fiel Rebka sehr viel schwerer zu akzeptieren, dass Graves auch über Menschen so viel wusste und sie so gut verstand.

Er kam auf die Idee, Julius Graves und er sollten doch einmal den Job tauschen. Wenn es irgendjemanden gab, der herausfinden konnte, was Max Perry, den aufstrebenden Politiker, vielleicht sogar Regenten, in einen Karriere-Aussteiger und ein nicht zu knackendes psychisches Mysterium verwandelt hatte, dann war das Graves. Während Rebka der Mann war, der die Oberfläche von Erdstoß würde absuchen und diese Carmel-Zwillinge finden können, wo auch immer sie sich versteckt haben mochten.

»Und wie ist Ihre Meinung dazu, Captain?«, fuhr Graves fort. »Sie waren bereits auf Erdstoß. Soll man es Darya Lang und Atvar H’sial gestatten, diesen Planeten aufzusuchen, sobald sie sich ganz erholt haben? Oder sollten man das Gesuch der beiden ablehnen?«

Das war ganz genau das, war Rebka sich auch schon selbst gefragt hatte, immer und immer wieder. Es blieb unausgesprochen, dass Graves beabsichtigte, Erdstoß aufzusuchen, egal, ob ihm jemand dabei Steine in den Weg legte oder nicht. Perry würde ihn begleiten als eine Art Reiseführer, oder zumindest als Ortskundiger. Und obwohl Rebka noch nichts in dieser Richtung angedeutet hatte, hatte auch er die feste Absicht, den Planeten erneut aufzusuchen. Das verlangte sein Job, und außerdem war Max Perry bei allem, was auch nur im Entferntesten mit Erdstoß zu tun hatte, voreingenommen und unzuverlässig. Aber was war mit den anderen?

Am schnellsten reist, wer allein reist.

»Ich bin eher dagegen. Je mehr Leute dort sind, desto mehr können dort auch in Gefahr geraten, was auch immer sie an Spezialwissen mitbringen mögen. Und das gilt für Cecropianer genauso wie für Menschen.«

Vielleicht für Cecropianer sogar noch mehr. Er starrte den bewusstlosen Nichtmenschen an, unterdrückte ein Schaudern und ging dann auf die Tür des Gebäudes zu.

Mit J’merlia hatte er keine Schwierigkeiten — der machte immer so einen geknechteten Eindruck und schaute ihn mit seinen gelben Augen so flehentlich an. Aber Rebka fühlte sich schon unwohl, wenn er Atvar H’sial auch nur anschaute. Und dabei hielt er sich noch für einen gut ausgebildeten, vernünftigen Menschen. Irgendetwas hatte diese Nichtmenschen-Spezies an sich, etwas, das er nicht näher zu benennen wusste, ihm zu ertragen aber sehr schwerfiel.

»Sie fühlen sich in Gegenwart von Cecropianern immer noch unwohl, Captain.« Das war Graves, der ihm zur Tür folgte und wieder einmal seine Gedanken las — denn das eben war eine lupenreine Feststellung gewesen, nicht etwa eine Frage.

»Scheint so. Machen Sie sich keine Sorgen, ich werde mich schon noch an diese Spezies gewöhnen.«

Das würde er gewiss auch — ganz, ganz langsam. Dennoch würde es ihm schwerfallen. Das größte Wunder erschien ihm immer noch, dass Cecropianer und Menschen sich nicht gleich beim Erstkontakt gegenseitig in einen Vernichtungskrieg verwickelt hatten.

Höchstwahrscheinlich, versicherte Rebkas innere Stimme ihm, wäre das auch passiert, hätten sie nur irgendetwas gefunden, worum zu kämpfen sich gelohnt hätte. Cecropianer sahen aus wie Dämonen. Hätte sie nicht gezielt nach Planeten Ausschau gehalten, die rote Zwergsterne umkreisten, während die Menschen nach Sternen suchten, die ihrer eigenen Sonne, Sol, ähnelten, dann hätten sie einander schon sehr viel früher bei ihren Streben systemauswärts kennen gelernt. Doch die unbemannten Sonden und die langsamen Weltraum-Archen, derer sich beide Spezies bedient hatten, waren eben in Richtung unterschiedlicher Stern-Typen ausgesandt worden, und so hatten sie einander eintausend Jahre lang verpasst. Als die Menschen schließlich das Bose-Netzwerk entwickelt hatten, sozusagen nur um dann herauszufinden, dass die Cecropianer genau das gleiche Netzwerk bereits quer durch den gesamten Spiralarm einsetzten, hatten beide Spezies bereits einiges an Erfahrungen mit fremdartigen Lebewesen sammeln können — sogar genug, als dass es ihnen möglich war, mit anderen Claden zu koexistieren, die so völlig andere stellare Gegebenheiten benötigten, und diese Koexistenz selbst dann noch zu wahren, wenn sie sich in der Gegenwart des jeweils anderen nicht sonderlich wohlfühlten.

»Wirbeltier-Chauvinismus ist nur allzu verbreitet.« Graves hatte ihn jetzt eingeholt und passte seine eigene Schrittlänge der Rebkas an. Einen Augenblick lang schwieg er, dann lachte er leise. »Aber laut Steven — der sagt, er spricht als jemand, der weder über ein Rückgrat noch über ein Exo-Skelett verfügt — sollten eher wir uns als die Außenseiter fühlen. Unter den 4209 Welten, über die bekannt ist, dass sie eigene Lebensformen hervorgebracht haben, sind nur 986 Welten, auf denen sich Lebensformen mit körperinternen Skeletten entwickelt haben, sagt Steven. Arthropoden-Wirbellose hingegen gedeihen auf 3311 Planeten prächtig. Bei einem galaktischen Beliebtheitswettbewerb würden Atvar H’sial, J’merlia oder jeder andere Arthropode Sie, mich oder Commander Perry mit Leichtigkeit schlagen. Sogar, wenn Sie mir das zu sagen gestatten, Ihre Frau Professor Lang.«

Rebka beschleunigte seinen Schritt. Es hatte natürlich keinen Sinn, Julius Graves gegenüber zu erwähnen, dass Steven auf dem besten Wege war, ihm auf die Nerven zu gehen. Es mochte ja gut und schön sein, alles im Universum zu wissen — aber musste er es deswegen auch gleich in alle Welt hinausposaunen?

Rebka war nicht bereit zuzugeben, was der wahre Grund für seine Verärgerung war. Er verabscheute es, sich in der Gegenwart von jemandem zu befinden, der so ungleich mehr wusste als er selbst. Noch schlimmer war nur, sich in Gegenwart von jemandem zu befinden, der ihn mühelos und in jeder Hinsicht durchschaute. Es ging ja nun wirklich niemanden etwas an, dass er ein gewisses Faible für diese Lang entwickelt hatte. Verdammt noch mal, er hatte es doch selbst erst begriffen, als er sie aus dem abgestürzten Flugwagen herausgezerrt hatte! Sie bedeutete doch nur mehr Ärger, war nichts als ein weiteres ungewolltes Problem für ihn, neben den Problemen Erdstoß und Max Perry.