Выбрать главу

Darya und Louis Nenda hatten einen fast identischen Ansatz gewählt, und sie hatten auch ähnliche Fehlergrenzen und Konvergenzfaktoren verwendet. Daher stimmten beide Ergebnisse bis auf fünfzehn signifikante Stellen überein.

Nach weiteren fünfzehn Minuten kam Darya zu dem Schluss, dass wohl doch eher ihre eigenen Ergebnisse und die desjenigen übereinstimmten, der diese Berechnungen für Nenda durchgeführt hatte. Das konnte unmöglich dessen eigenes Werk sein. Er hatte über die Vorgehensweise bestenfalls rudimentäre Kenntnisse. Nenda mochte also derjenige sein, der das Sagen hatte, aber die eigentliche Analyse hatte jemand anderes durchgeführt.

»Also einigen wir uns auf den Zeitpunkt, und der liegt genau innerhalb des Gezeitensturms«, sagte er. Er zog schon wieder ein finsteres Gesicht. »Und wir wissen lediglich, dass es sich irgendwo auf Erdstoß befindet? Warum können Sie das nicht weiter einengen? Ich hatte gehofft, dass wir das bei einem Vergleich unserer Ergebnisse würden schaffen können!«

»Wollen Sie ein Wunder? Wir reden hier von Entfernungen in der Größenordnung von Tausenden von Lichtjahren, Billiarden von Kilometern und einer Zeitspanne, die Jahrtausende umfasst! Und wir haben eine Unsicherheit von weniger als zweihundert Kilometern, was den Ort betrifft, und weniger als dreißig Sekunden, was den Zeitpunkt angeht. Ich finde, das ist an sich schon verdammt gut! Um ehrlich zu sein, das ist schon ein Wunder!«

»Na ja, so etwas in der Richtung vielleicht.« Er schlug sich mit der Leine gegen das eigene Knie. »Und es liegt definitiv auf Erdstoß, nicht hier auf Opal. Ich schätze, das beantwortet zugleich dann auch eine andere meiner Fragen.«

»Was die Baumeister angeht?«

»Ach, pfeif auf die Baumeister! Was diese Käfer angeht! Warum die nach Erdstoß wollen!«

»Atvar H’sial sagt, sie wolle das Verhalten von Lebensformen unter extremem Umgebungsstress untersuchen.«

»Ja klar. ›Umgebungsstress‹, sicher doch!« Er machte sich auf den Rückweg zu der Gruppe von Gebäuden, die eng wie zusammengedrängt beieinander standen. »Wie sind Sie denn drauf? Meinen Sie etwa auch, bei Ihrer Schatzsuche finden Sie glatt die verlorene Bundeslade, oder was? Die ist hinter dem Gleichen her wie wir, klare Sache! Die jagt die Baumeister! Ist schließlich auch Expertin für die Baumeister!«

Louis Nenda war ein grober Klotz, besaß keinerlei Manieren und war unverschämt. Aber kaum hatte er in Worte gefasst, was auf der Hand lag, war auch Darya von der Richtigkeit seiner Einschätzung überzeugt: Atvar H’sial war mit zu gründlich durchdachten Alternativplänen in das Dobelle-System gekommen, als hätte sie bereits gewusst, dass sämtliche Anträge, die Oberfläche von Erdstoß aufzusuchen, abgelehnt werden würden.

»Was ist mit Julius Graves? Der auch?«

Doch Nenda schüttelte den Kopf. »Der alte Zausel? Nö. Der ist mir ’n Rätsel. Normalerweise hätt ich sofort gesagt: ›Na klar, der ist aus den gleichen Gründen hier wie wir‹. Aber der gehört zum Rat, und selbst wenn man die Hälfte von dem, was man so über die hört, von vorneherein abzieht — und so mache ich das —, dann hab ich bisher jedenfalls noch von keinem Ratsmitglied gehört, das gelogen hätte. Sie vielleicht?«

»Noch nie. Und er hat wohl auch nicht damit gerechnet, Erdstoß aufsuchen zu müssen, als er hierher gekommen ist, nur Opal. Er hat gedacht, die Zwillinge, hinter denen er her ist, seien hier.«

»Dann ist der vielleicht wirklich der, der er zu sein vorgibt. Auf jeden Fall brauchen wir uns seinetwegen keinen Kopf zu machen. Wenn der nach Erdstoß will, dann macht der das auch. Diese Provinzdeppen hier können den von nichts abhalten.« Sie hatten das Gebäude wieder erreicht, und kurz vor der Eingangstür blieb Nenda noch einmal stehen. »Also gut, wir hatten also unsere kleine Unterhaltung. Kommen wir jetzt zur besten Frage von allen: Was genau wird denn nun auf Erdstoß während des Gezeitensturms passieren?«

Darya starrte ihn an. Erwartete er wirklich, dass sie diese Frage beantwortete?

»Das weiß ich nicht.«

»Kommen Sie, Sie versuchen mich doch nur wieder hinzuhalten! Sie müssen es doch wissen — sonst hätten Sie doch nicht diesen ganzen weiten Weg zurückgelegt!«

»Andersherum wird ein Schuh daraus! Wenn ich wüsste, was geschehen wird, oder wenn ich davon auch nur eine halbwegs plausible Vorstellung hätte, dann hätte ich Wachposten-Tor niemals verlassen! Mir gefällt es da nämlich. Aber Sie haben doch auch diesen ganzen weiten Weg zurückgelegt: Was glauben Sie denn, was passieren wird?«

Frustriert warf er ihr einen finsteren Blick zu. »Wer weiß das schon? He, Sie sind doch hier die Intelligenzbestie! Wenn Sie es schon nicht wissen, dann können Sie ja wohl davon ausgehen, dass ich es erst recht nicht weiß! Haben Sie wirklich nicht mal ’ne Vermutung, oder so?«

»Eigentlich nicht. Es wird etwas Bedeutsames sein, das glaube ich schon. Es wird auf Erdstoß geschehen. Und es wird uns mehr über die Baumeister verraten. Alles weitere kann ich nicht einmal erahnen.«

»Verdammt!« Mit der Leine peitschte er den feuchten Boden. Darya hatte das Gefühl, wenn Kallik jetzt hier gewesen wäre, dann hätte sie diesen Schlag abbekommen. »Und was jetzt, Frau Professor?«

Genau dieselbe Frage plagte auch Darya Lang. Nenda schien mit ihr zusammenarbeiten zu wollen, und ihr eigener Hunger auf neue Fakten und Theorien, die mit den Baumeistern zusammenhingen, hatte sie dazu gebracht, bis jetzt mitzuspielen. Doch er selbst schien nichts Neues zu wissen — oder zumindest nichts, was er preiszugeben bereit wäre. Und sie selbst hatte ja bereits Absprachen zu treffen begonnen, mit Atvar H’sial und J’merlia zusammenzuarbeiten. Mit diesen beiden und Louis Nenda gleichzeitig, das ginge nicht! Und auch wenn sie bisher Atvar H’sial nicht fest zugesagt hatte, durfte sie Louis Nenda gegenüber davon nichts erwähnen.

»Schlagen Sie eine Zusammenarbeit vor? Wenn das nämlich so ist, dann …«

Sie brauchte den Satz nicht zu beenden. Er hatte den Kopf zurückgeworfen und kreischte vor Lachen. »Lady, bitte, warum sollte ich denn so etwas tun? Sie haben mir doch gerade eben noch gesagt, dass Sie nicht das Geringste wissen!«

»Na ja, wir haben Informationen ausgetauscht.«

»Klar. Darin sind Sie gut, dafür sind Sie berühmt. Informationen und Theorien. Und wie gut sind Sie beim Lügen und Betrügen? Wie sind Sie, wenn es ans Handeln geht? Ich wette, nicht annähernd so gut! Aber genau das wird erforderlich sein, wenn Sie nach Erdstoß rüber wollen. Und nach allem, was ich bisher gehört habe, wird der Besuch auf Erdstoß nicht gerade ein lustiger Spaziergang. Ich werde da drüben alle Hände voll zu tun haben. Meinen Sie, ich hab da noch Lust, für Sie den Babysitter zu spielen, Schätzchen, und Ihnen zu sagen, wann Sie weglaufen sollen und wann in Deckung gehen? Nein danke, Herzchen! Die Reise müssen Sie sich schon selber organisieren!«

Bevor sie noch etwas erwidern konnte, ging er mit großen Schritten in das Gebäude und auf den Raum zu, von dem sie aufgebrochen waren. Kallik und J’merlia waren immer noch da; sie hatten sich auf den Boden gekauert, ihre zahlreichen Beine hatten sie miteinander verschränkt. Die ganze Zeit über tauschten sie sonderbare Pfeif- und Grunzlaute aus.

Grob packte Louis Nenda den Hymenopter an seinem Halfter, befestigte die schwarze Leine und zerrte dann daran. »Komm schon! Ich habe dir doch gesagt, es wird nicht gekämpft! Wir haben zu tun!« Dann wandte er sich wieder Darya zu. »Es war nett, Sie kennen zu lernen, Frau Professor! Sehen wir uns auf Erdstoß?«

»Ganz bestimmt, Louis Nenda.« Daryas Stimme bebte, so wütend war sie. »Darauf können Sie Gift nehmen!«