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Perry hatte darauf hingewiesen, dass Graves nicht würde verhindern können, von Angehörigen der planetaren Sicherheitskräfte begleitet zu werden. Es lag in ihrer Verantwortung, dafür zu sorgen, dass er dort nicht umkäme.

Graves hatte genickt. Jeder war höflich geblieben, niemand war zufrieden.

Die Spannung löste sich ein wenig, als die Kapsel schließlich die Wolkendecke von Opal erreichte. Jetzt hatten die drei Männer wieder etwas, worauf sie sich konzentrieren konnten. Auf der obersten Ebene war die Kapsel mit Schiebe-Sichtfenstern ausgestattet worden und dazu mit einem großen Fenster genau am oberen Ende. So hatten die Passagiere einen wunderbaren Ausblick auf alles rings um sie herum und über ihnen. Als dann Erdstoß durch die immer dünner werdende Wolkendecke zu erkennen war, verkümmerte jeglicher Versuch, Smalltalk zu betreiben.

Julius Graves blickte sich um, keuchte auf und starrte mit offenem Mund durch die Scheiben, während Max Perry nur einmal kurz nach oben schaute und sich dann in sich selbst zurückzog. Hans Rebka versuchte, einfach zu ignorieren, wo sie sich gerade befanden, und konzentrierte sich stattdessen auf die unmittelbar vor ihm liegenden Aufgaben. Perry mochte ja alles über Erdstoß wissen, und Graves mochte ein wahres Füllhorn an Informationen zu jedem Thema unter eintausend verschiedenen Sonnen sein, und dennoch hatte Rebka das Gefühl, als würde er auf Erdstoß auf die beiden aufpassen müssen.

Nur: aufpassen, während sie was taten? Er schaute sich um und bekam einen Anblick geboten, der jeden rationalen Gedanken schlichtweg aus seinem Hirn verbannte. Es war erst wenige Tagen her, seit Rebka nach Erdstoß gereist war, und dennoch sah jetzt nichts mehr so aus wie beim letzten Mal. Mandel, in ungeheuerlichem Maße angeschwollen, stand bedrohlich zur Linken des Planeten. Die von den Baumeistern konstruierte Außenhaut der Kapsel filterte die gefährliche harte Strahlung heraus, sodass die glühende Kugel des Sterns nur ein dunkleres Abbild ihrer selbst präsentierte, übersät von Sonnenfackeln, Sonnenflecken und rotbraunen Protuberanzen. Die Scheibe war so groß, dass Rebka das Gefühl hatte, er könne einfach die Hand ausstrecken und die rötliche Oberfläche berühren.

Amarant — jetzt kein ›Zwergstern‹ mehr — stand hinter Erdstoß am Himmel. Der Begleiter des Primärsterns hatte sich verwandelt. Er hatte sogar seine Farbe gewechselt. Rebka bemerkte wohl, dass das ein rein künstlich erzeugter Effekt war. Als die Scheiben der Kapsel ihre Durchlässigkeit veränderten, um die schädliche Strahlung von Mandel abzuschirmen, veränderten sie auch den Wellenlängenbereich, der von der Strahlung Amarants hindurchgelassen wurde. Und so wurde Orange-Rot zu glimmendem Purpur.

Selbst Gargantua war jetzt sichtlich auf dem Weg zur Zusammenkunft. Der Gasriese, auf dessen obersten Schichten sich das Licht sowohl von Mandel als auch von Amarant brach, war von einem winzigen Lichtpunkt in der Ferne zu einem daumennagelgroßen, grell-orangefarbenen Fleck geworden.

Die Partner waren da; die Schwerkraft brachte Veränderungen mit sich — der kosmische Tanz konnte beginnen. In den letzten Stunden des Gezeitensturms würden Mandel und Amarant einander mit weniger als fünf Millionen Kilometern Entfernung passieren — in stellaren Begriffen entsprach dies der Dicke eines Fingernagels. Gargantua würde nahe an Mandel vorbeiwirbeln, auf der anderen, Amarant abgewandten Seite, und die kombinierten Schwerefelder beider Begleiter würde seine Bewegung entlang der Umlaufbahn beschleunigen. Und das kleine Dobelle-System, das hier in diesem Syzygium gefangen war, würde hilflos hin und her taumeln, Kette und Schuss eines dynamischen Gravitationsteppichs.

Der Dobelle-Orbit war stabil; es bestand keinerlei Gefahr, dass Opal und Erdstoß sich trennten oder dass das Dublett in die Unendlichkeit geschleudert würde. Doch das war auch die einzige Zusicherung, die Astronomen zu machen bereit waren. Die Bedingungen an der Oberfläche von Opal und Erdstoß während dieses Gezeitensturms waren einfach nicht berechenbar.

Rebka starrte zu Erdstoß hinauf. Diese verhangen blaugraue Kugel erschien ihm von allen Himmelskörpern inzwischen am vertrautesten. Erdstoß hatte sich nicht merklich verändert, seit er, Rebka, das letzte Mal entlang ›Nabelschnur‹ dort hinaufgereist war.

Oder doch? Rebka schaute genauer hin. Wirkte der Planet im Ganzen ein wenig undeutlicher, weil der Staub in der hauchdünnen Atmosphärenschicht von Erdstoß dichter geworden war?

Es gab nur weniges hier draußen, was einen Reisenden von dem Anblick dort hätte ablenken können. Sie stiegen mit konstanter Geschwindigkeit auf, ohne dass man im Inneren der Kapsel eine Bewegung hätte wahrnehmen können. Nur einem sehr aufmerksamen Beobachter wäre aufgefallen, dass der goldene Knoten von ›Mittelstation‹ gleichmäßig immer größer wurde, während die scheinbare Schwerkraft im Inneren der Kapsel ebenso gleichmäßig nach und nach abnahm. Die Fahrt fand nicht im freien Fall statt. Die Kraft der Masse nahm stetig ab, doch der einzige Teil dieser Fahrt, bei dem tatsächlich Schwerelosigkeit herrschen würde, waren die zweitausend Kilometer auf der anderen Seite von ›Mittelstation‹, bei denen sich sämtliche Zentrifugal- und Gravitationskräfte wechselseitig genau aufhoben. Danach kam dann der eigentliche ›Abstieg‹ zu Erdstoß, wenn die Kapsel wirklich auf den Planeten ›zustürzte‹.

Rebka seufzte und erhob sich. Es wäre nur zu einfach, sich von der Wolkenlandschaft hypnotisieren zu lassen, so wie Max Perry sich von Erdstoß hypnotisieren ließ. Und nicht nur Perry. Hans blickte zu Graves hinüber. Der Allianzrat war völlig in seinen eigenen Gedanken und Träumen versunken.

Rebka ging zur Rampe hinüber und ging dann den gewundenen Weg hinunter zur unteren Ebene der Kapsel. Die Kombüse hier war nur sehr primitiv. Es hatte allerdings für ihn keinerlei Möglichkeit gegeben, irgendetwas zu essen, seit sie von Sternenseite aufgebrochen waren. Er war hungrig und nicht wählerisch, und so bediente er die Wahlscheibe, ohne hinzuschauen. Geschmacksrichtung und Zutaten der Dosensuppe, die er angefordert hatte, waren ihm egal.

Mit ihren undurchsichtigen Wänden erschien Rebka der untere Teil der Kapsel geradezu niederschmetternd langweilig. Er ging zum Tisch und wählte ein Privat-Musikstück aus. Prä-Expansions-Musik, komplex, mehrstimmig, erklang direkt in seinem Kopf. Die fugenartig verwobenen Stimmen passten perfekt zu dem bevorstehenden Zusammenspiel von Mandel und seinem Gefolge. Zehn Minuten lang aß Rebka, lauschte der Musik und genoss so zwei der grundlegendsten und ältesten Freuden, die die Menschheit überhaupt kannte. Er fragte sich, ob die Cecropianer, bei denen es keine Musik gab, eine andere, eigene Kunstform kannten, die diesen Mangel ausglich.

Als das Musikstück geendet hatte, stellte er mit Erstaunen fest, dass Julius Graves vor ihm stand und ihn beobachtete.

»Darf ich?« Der Allianzrat setzte sich an den Tisch und deutete auf die leere Suppenschüssel. »Können Sie irgendetwas davon empfehlen?«

Rebka zuckte mit den Schultern. Was auch immer Julius Graves wirklich von ihm wollte, ›Empfehlungen zur Suppe‹ standen gewiss weit unten auf der Liste.

»Ist Ihnen jemals aufgefallen«, begann Graves, »wie unwahrscheinlich es ist, dass wir in der Lage sind, ohne allzu große fremde Hilfe die Lebensmittel von Tausenden verschiedener Welten zu essen und zu verstoffwechseln? Die Zutaten dieser Suppe wurden auf Opal produziert, und dennoch wird Ihr Magen keinerlei Schwierigkeiten haben, sie zu verdauen. Wir, die Hymenoptera und die Lebewesen der Cecropianischen Clade sind biologisch gesehen völlig unterschiedlich. Nicht eines von diesen Lebewesen basiert auf DNA. Und dennoch, dank der Hilfe einiger Stämme von Einzeller-Bakterien, die wir in unseren Mägen ansiedeln, können wir alle die gleichen Nahrungsmittel verwerten. Das ist schon überraschend, oder?«