Выбрать главу

Sollten sie bis an den Punkt reisen, den sie als den Mittelpunkt, den Fokus aller Aktivitäten während des Gezeitensturms ermittelt hatte? Das konnten sie tun, aber sie wussten, dass dort auch andere sein würden. Oder sollten sie sich ein wenig zurückhalten und abwarten? Oder sollten sie ein Stück weitergehen, dann eine Zeit lang abwarten …

Ein Stück weitergehen, eine Zeit lang abwarten …

Entspannt glitt Darya Lang in einen tiefen Schlaf, ein traumloser Schlummer, der so tief und fest war, dass der Lärm und die Erschütterungen in der Nähe sie nicht weckten. Kurz kam die Dämmerung; ein Tag verging, und wieder war es Nacht, dann flammend heller Tag. Die Laute sich in das Erdreich grabender Tiere verstummten. Opal und Erdstoß hatten einander zweimal vollständig umrundet, bis Darya wieder aus ihrem Schlummer erwachte.

Im Halbdunkel des Scheins von Amarant fand sie zu sich. Sie brauchte fast eine Minute, um sich wieder daran zu erinnern, wo sie eigentlich war, und eine weitere, bis sie sich bereit fühlte, sich aufzusetzen und umzuschauen.

Atvar H’sial und J’merlia waren nirgends zu sehen. Der Flugwagen war fort. Unter einem dünnen, regendichten Foliendach neben dem Feldbett war ein kleiner Stapel Vorräte und Ausrüstungsgegenstände deponiert worden. Sonst wies nichts, von Horizont bis Horizont, darauf hin, dass hier jemals Menschen oder Nichtmenschen gewesen waren.

Darya ging in die Knie und durchwühlte den Stapel, suchte nach einer Nachricht. Es war keine da, keine Aufzeichnung, kein Zeichen. Nichts, was ihr in irgendeiner Weise hätte helfen können, von ein paar Behältern mit Lebensmitteln und Getränken abgesehen, einem winzigen Signalgenerator, einer Schusswaffe und einer Taschenlampe.

Darya warf einen Blick auf ihre Uhr. Noch neun Dobelle-Tage. Zweiundsiebzig Stunden bis zum schlimmsten Gezeitensturm aller Zeiten. Und sie saß auf Erdstoß fest, ganz allein, sechstausend Kilometer von ›Nabelschnur‹ entfernt, das sie in Sicherheit hätte bringen können …

Die Panik, die sie erfasst hatte, als sie das erste Mal Wachposten-Tor verließ, schlich sich wieder zurück in ihr Herz.

13

Gezeitensturm minus zehn

… ein ständiges, orangefarbenes Glimmen am Horizont, der Feuerschein des brennenden Bodens spiegelte sich in den hoch aufragenden Staubwolken. Während sie noch zuschauten, stieg eine weitere karmesinrote Säule auf, kaum einen Kilometer von dem Ort entfernt, an dem sie standen. Ranken aus Rauch griffen in alle Richtungen, und die Säule wuchs und wuchs. Schon bald, reichte sie von der Erde bis zum Himmel. Während die Lava bis zum Rand der Kuppe kroch, wandte er sich Amy zu.

All seinen Warnungen zum Trotz stand sie neben dem Wagen. Als der Blitz der Explosion dem Glimmen rotglühender Lava wich, klatschte sie in die Hände, hypnotisiert, im Banne der Farben und Formen. Dröhnende Erschütterungswellen rollten heran und brachen sich an den Hügeln hinter ihnen. Der Flammenstrom überwand die Kuppe und rollte auf sie zu, so leicht und zügig wie Wasser. Wo er auf dem kühleren Boden auftraf, zischte und funkelte es weiß auf.

Max betrachtete Amys Gesicht. Er sah keine Furcht, nur die gebannte Verzückung eines Kindes auf einer Geburtstagsparty.

Genau das war es für sie auch. Sie sah nur ein Feuerwerk, sonst nichts. Für jegliche Vorsicht war er zuständig. Im Sessel des Wagens beugte er sich vor und zupfte an ihrem Ärmel.

»Rein mit dir!« Er musste schreien, damit sie ihn überhaupt hören konnte. »Wir müssen zurück zum Stängel. Du weißt, dass wir dafür fünf Stunden brauchen!«

Sie warf ihm einen finsteren Blick zu und befreite sich aus seinem Griff. Dieses Schmollen kannte er nur zu gut. »Nicht jetzt, Max!«

Er las ihr die Worte von den Lippen ab, doch hören konnte er sie, nicht. »Ich möchte warten, bis die Lava das Wasser erreicht.«

»Nein!« Jetzt schrie er. »Kommt überhaupt nicht in Frage! Ich werde keine weiteren Risiken mehr eingehen! Es ist hier draußen siedend heiß, und im Wagen wird es langsam fast genauso schlimm.«

Amy bewegte sich fort vom sicheren Wagen, achtete gar nicht auf ihn. Er hatte das Gefühl, irgendetwas würde ihm die Brust zuschnüren, und viel zu heiß war er es ihm auch, trotz des Luftvorhangs, der eine Schicht kühlere Luft vor der offenen Luke hielt. Es war vor allem Einbildung, das wusste er — diese feurige Esse seiner eigenen Sorgen, die ihn hier zu verschlingen drohte. Und doch war die Hitze dort draußen sehr wohl real. Er stolperte aus dem Wagen und folgte ihr über die dampfende Oberfläche.

»Hör auf, mich zu nerven! Ich komme ja gleich!« Amy hatte sich umgedreht, um diese ganze infernalische Szenerie besser beobachten zu können. Es gab — Gott sei dank! — keine Anzeichen einer weiteren Eruption, doch es konnte sich jeden Augenblick eine neue ereignen.

»Max, du musst dich endlich mal entspannen!« Sie kam näher, schrie ihm fast ins Ohr. »Du musst mal ein bisschen Spaß haben. Die ganze Zeit, die wir hier sind, hast du nur rumgesessen, als hätte man dich von der Unterseite einer Schlinge abgeschabt. Sei mal ein bisschen locker — lass dich doch mal treiben!«

Er griff nach ihrer Hand und zog sie in Richtung des Wagens. Nach kurzem Widerstand gestattete sie ihm, sie hinter sich her zu ziehen. Den Blick immer noch auf die gleißende Wut des Vulkans gerichtet, achtete sie nicht darauf, wohin sie gingen.

Und dann, als sie nur noch ein paar Meter vom Wagen entfernt waren, riss sie sich los und lief lachend über die glatte, dampfende Oberfläche von der Hitze zusammengebackener Steine hinweg. Sie war ihm zehn Schritte voraus, bevor er ihr folgen konnte. Doch da war es schon zu spät.

* * *

Graves und Perry hatten es so klingen lassen, als sei es ganz einfach. Rebka wies darauf hin, dass es unmöglich sei.

»Sehen Sie sich doch nur die Zahlen an!«, sagte er, während die Kapsel von ›Nabelschnur‹ sanft auf die Oberfläche von Erdstoß aufsetzte. »Wir haben einen planetaren Radius von fünftausendeinhundert Kilometern, und weniger als drei Prozent der Oberfläche ist von Wasser bedeckt. Damit kommen wir auf über dreihundert Millionen Quadratkilometer Land. Dreihundert Millionen! Jetzt denken Sie doch einmal daran, wie lange es dauern kann, auch nur einen einzigen Quadratkilometer abzusuchen! Wir können hier mehrere Jahre lang unterwegs sein und würden sie vielleicht doch nie finden.«

»Aber wir haben nicht mehrere Jahre Zeit«, bemerkte Perry. »Und ich weiß auch, dass es sich um ein wirklich großes Gebiet handelt. Aber Sie scheinen davon auszugehen, dass wir aufs Geratewohl suchen werden, aber genau das werden wir natürlich nicht tun. Ich kann die weitaus meisten Gebiete ausschließen, bevor wir mit der Suche überhaupt beginnen.«

»Und ich weiß, dass die Carmel-Zwillinge sämtliche offenen Gebiete meiden werden«, fügte Graves hinzu.

»Und woher wissen Sie das so genau?« Rebka blieb pessimistisch.

»Weil es über Erdstoß normalerweise kaum Wolken gibt.« Die Skepsis seines Gegenübers schien Graves nicht das Geringste auszumachen. »Auf Shasta, ihrer Heimatwelt, gibt es ein hochauflösendes Satellitensystem, das die Oberfläche des gesamten Planeten ständig überwacht.«

»Aber auf Erdstoß doch nicht.«

»Stimmt, aber das wissen die Zwillinge ja nicht. Sie werden davon ausgehen, dass sie, sobald sie sich einmal auf freies Feld wagen, sofort entdeckt und eingefangen werden. Die müssen sich eine richtig tiefe Deckung gesucht haben und dort geblieben sein.«