Darauf wusste Perry keine Antwort, doch er brummte leise, um zu zeigen, dass er zugehört hatte.
Doch dem war nicht so. Julius Graves war damit beschäftigt, die Bilder durchzugehen, also musste das Steven sein, der hier vor sich hin plapperte. Und Perry selbst war ebenfalls beschäftigt, mit den Funkgeräten. Graves glaubte nicht, dass die Carmel-Zwillinge ein Notsignal aussenden würden. Perry war anderer Ansicht. Jetzt, da der Gezeitensturm näher und näher kam, sollten die Zwillinge mehr als nur willens und bereit sein, sich retten und festnehmen zu lassen.
»Der Grund für die Armut des Dobelle-Systems«, fuhr Graves fort, »ist ganz einfach. Die Natur des Menschen selbst liefert uns diesen Grund. Eine rationale Spezies würde sicherstellen, dass eine Welt voll entwickelt und perfekt wäre, um von Menschen besiedelt zu werden, bevor man sich der nächsten zuwenden würde. Aber so etwas verstehen wir eben einfach nicht! Wir müssen immer weiterziehen! Bevor ein Planet auch nur halb besiedelt ist, fahren schon die nächsten Schiffe los, suchen nach neuen Welten, die man erkunden kann. Und es gibt nur sehr wenige, die sagen: ›Wartet mal einen Moment, sollen wir nicht erst einmal versuchen, hier alles richtig hinzukriegen, bevor wir weitermachen?‹«
Graves betrachtete einige Signale auf dem Display genauer, allesamt falscher Alarm, und schüttelte den Kopf.
»Wir sind einfach zu neugierig, Commander«, fuhr er dann fort. »Bei den meisten Menschen liegt der Level ihrer Geduld ein wenig zu niedrig und der ihrer Neugier ein wenig zu hoch. Die Cecropianer sind genauso schlimm wie wir. Und so findet sich der ganze Reichtum im Spiralarm und sämtlicher Luxus — in den Händen derer, die zu Hause bleiben. Das ist das alte Paradoxon, älter als die Expansion selbst: Diejenigen, die nichts dazu beitragen, neuen Reichtum zu schaffen, sind diejenigen, die am meisten davon in ihren Besitz bringen. Während diejenigen, die die ganze Arbeit übernehmen, meist nur sehr wenig eigenen Besitz anhäufen können. Vielleicht wird sich das eines Tages ja ändern. Vielleicht dauert es noch zehntausend Jahre, aber …«
»Funkfeuer!«, unterbrach Perry ihn. »Schwach, aber eindeutig da.«
Graves erstarrte mitten in der Bewegung und blickte nicht auf. »Unmöglich!« Die Stimme klang scharf und abgehackt. Julius Graves hatte wieder das Kommando über den Körper übernommen. »Die würden doch ihre Anwesenheit auf Erdstoß niemals verraten! Nicht, nachdem sie so lange und so weit fortgelaufen sind!«
»Schauen Sie selbst!«
Graves rutschte zu ihm hinüber. »Wie weit ist das entfernt?«
»Weit.« Perry betrachtete die Distanz- und die Vektoreinstellungen. »Um genau zu sein, sogar zu weit. Das Signal kommt nicht aus dem Gebiet des Morgenstern-Hochlandes. Das ist noch mindestens viertausend Kilometer von dessen letzten Ausläufern entfernt. Was wir hier empfangen, sind Reflexionen aus der Ionosphäre, sonst würden wir das gar nicht empfangen können.«
»Was ist mit den Eintausend Seen?«
»Könnte hinkommen. Der Vektor ist nicht ganz korrekt, aber das Signal hat ein wirklich gewaltiges Grundrauschen. Und von der Distanz her könnte das stimmen.«
»Dann ist das Rebka.« Mit der flachen Hand schlug Graves auf die Tischplatte. »Das muss er sein! Er macht sich auf die Suche, und kaum, dass wir mit unserer Arbeit anfangen, steckt er schon in Schwierigkeiten. Sogar noch, bevor wir überhaupt …«
»Das ist nicht Rebka.«
»Woher wissen Sie das?«
»Das ist nicht sein Flugwagen.« Perry glich die Signalmatrix ab. »Ist keiner von unseren. Falsche Frequenz, falsches Signalformat. Sieht aus wie eine transportable Sendeeinheit mit geringer Leistung.«
»Dann sind das tatsächlich die Carmel-Zwillinge! Und die müssen in furchtbaren Schwierigkeiten stecken, wenn sie bereit sind, um Hilfe zu rufen! Können Sie uns dorthin bringen?«
»Problemlos. Wir lassen uns einfach vom Funkfeuer leiten.«
»Wie lange wird das dauern?«
»Sechs oder sieben Stunden, wenn wir mit Höchstgeschwindigkeit fliegen.«
Während er noch sprach, blickte Perry auf das Chronometer des Wagens.
»Wie lange noch?« Graves hatte seinen Blick verfolgt.
»Noch ein bisschen länger als acht Erdstoß-Tage bis zum Gezeitensturm; in etwa noch siebenundsechzig Stunden, von jetzt an gerechnet, will ich meinen.«
»Sieben Stunden bis zu den Eintausend Seen, dann noch acht, um wieder zu ›Nabelschnur‹ zurückzukehren. Und dann nichts wie auf und davon. Reicht dicke. Wir werden von Erdstoß weg sein, lange bevor das Schlimmste kommt.«
Perry schüttelte den Kopf. »Das haben Sie falsch verstanden. Erdstoß ist inhomogen, mit einer variablen inneren Struktur. Die Erdbeben können jederzeit überall einsetzen, auch schon lange vor dem eigentlichen Gezeitensturm. Hier im Hochland erleben wir nicht allzu große Aktivität, aber das Gebiet der Eintausend Seen könnte sich in einen wahren Albtraum verwandeln.«
»Jetzt kommen Sie aber, Sie sind ja genauso schlimm wie Rebka! Es kann doch nicht ganz so schlimm sein, wenn die Carmel-Zwillinge immer noch am Leben sind!«
»Das haben Sie genau richtig ausgedrückt: wenn diese Carmel-Zwillinge immer noch am Leben sind!« Perry hatte die Steuerung übernommen, und der Wagen änderte bereits den Kurs. »Sie haben da etwas nicht bedacht, Allianzrat: Funkfeuer sind wirklich ziemlich robust — deutlich robuster als irgendein Mensch.«
14
Gezeitensturm minus neun
Die Waffen-Sensoren hatten das Fahrzeug bereits seit geraumer Zeit nicht aus den Augen gelassen. Als es dann in Sichtweite kam, stellte Louis Nenda das verborgene Waffenarsenal seines Schiffes auf ›Volle Alarmbereitschaft‹.
Der Flugwagen, der sich ihm immer weiter näherte, bremste jetzt ab, als sei er sich der zerstörerischen Kraft bewusst, die nur wenige Kilometer vor ihm lauerte. Er schwenkte zur Seite, dann ging er in einen fast senkrechten Landeanflug über und setzte in deutlicher Entfernung zum Schiff auf einem Schieferriff auf.
Nenda hielt die Waffen weiterhin einsatzbereit und schaute zu, als die Luke des Wagens sich öffnete.
»Na, wer wird das wohl sein?«, fragte er leise im Patois der Gemeinschaft, mehr zu sich selbst, als an Kallik gerichtet. »Faites votre jeux, meine Damen und Herren! Ihren Einsatz, bitte, und nennen wir sie ruhig mal Besucher!«
Zwei vertraute Gestalten traten auf das hitzedampfende, mit Felsbrocken übersäte Riff hinaus. Beide trugen Atemmasken, doch man konnte sie leicht erkennen. Louis Nenda stieß ein zufriedenes Grunzen aus und versetzte sämtliche Waffensysteme in den Standby-Betrieb.
»Prima machen sie das. Mach die Luke auf, Kallik! Wir sollten uns heute mal von unserer gastfreundlichen Seite zeigen.«
Mit gleichmäßigen Schritten näherten sich Atvar H’sial und J’merlia, suchten sich konzentriert einen Weg zwischen den rundlichen, blaugrauen Felsbrocken hindurch und über eine ganze Geröllhalde aus losem Gestein hinweg. Louis Nenda hatte sich seinen Landeplatz sehr überlegt ausgewählt, er hatte auf der am stabilsten wirkenden und anscheinend dauerhaftesten Oberfläche aufgesetzt, die er hatte finden können; dennoch wurde auch hier Staub umhergewirbelt, und es gab Anzeichen von Bewegungen des Erdreichs, gerade auch in letzter Zeit. Ein tiefer, gezackter Riss reichte vom Riff, auf dem der Flugwagen gerade gelandet war, etwa die Hälfte der Strecke zu dem anderen Schiff hinüber. Atvar H’sial folgte diesem Riss, spähte gelegentlich über den Rand hinweg, sog prüfend die aufsteigende Luft in die Nüstern und versuchte offensichtlich herauszufinden, wie tief dieser Riss wohl sein mochte. Der schmale Graben bot ihr die einzige Möglichkeit zur Flucht, sollte diese notwendig werden. In dieser Region von Erdstoß gab es keinerlei Lebensformen, und im Umkreis von zehn Kilometern auch nichts, was man als Deckung hätte nutzen können. Und die Waffensysteme des Schiffes, allesamt in der Kuppel untergebracht, in dreißig Metern Höhe, konnten dreihundertsechzig Grad abdecken.