»Also, das hört sich für mich ganz wie ’ne Frage an, auch wenn sie nicht als solche gestellt wurde. Aber ich erzähl’s Ihnen trotzdem.« Ruckartig deutete Nenda mit dem Daumen auf die Luke des Schiffes. »Kallik.«
»Ihr Hymenopter? Ein Sklave!« Atvar H’sial war mehr als nur überrascht. Sie war empört. »Es ist nicht angemessen für eine Sklaven-Spezies, derart hochgeistige Arbeit zu verrichten.«
»Ach, Blödsinn!« Nenda grinste. »Die hat doch Köpfchen — soll sie das doch zu meinem Vorteil benutzen! Außerdem macht es sie glücklich, in ihrer Freizeit zu lesen und Berechnungen anzustellen. Sie hat die Arbeiten dieser Lang gelesen, und dann hat sie alles allein ausgerechnet. Sie ist zu dem Schluss gekommen, dass genau das hier der richtige Ort und die richtige Zeit seien. Dann war sie auf einmal ganz aufgeregt und wollte unbedingt davon erzählen. Und ich habe gesagt: nichts da! Wir werden niemandem davon erzählen — und wir werden persönlich nach Erdstoß reisen! Und da sind wir nun. Aber ich möchte gerne mit Ihnen ein paar Erfahrungen austauschen, und zwar über etwas spezifischere Dinge. Reden wir doch mal darüber, was hier während des Gezeitensturms nun eigentlich passieren wird!«
»Das klingt nun wieder für mich wie eine Frage. Ich ziehe es vor, darauf nicht zu antworten.«
»Dann werde ich stattdessen eine Aussage treffen. Ich erzähle Ihnen jetzt, was Kallik ausgehend von ihren eigenen Studien dazu meint, und Sie können das dann gerne kommentieren, wenn Sie möchten. Sie sagt, dass die Baumeister zurückkehren werden — hierher, und zwar während des Gezeitensturms. Das Geheimnis ihrer Technologie und der Grund für ihr Verschwinden wird all denen enthüllt werden, die sich dann auf Erdstoß aufhalten. Wie gefällt Ihnen das?«
»Auch das ist eine Frage, keine Aussage, aber ich werde darauf antworten. Kalliks These ist durchaus plausibel. Aber nichts davon darf man als gesichert ansehen. Es gibt keinerlei klaren Hinweis auf eine Rückkehr der Baumeister.«
»Dann wird man das wohl einfach hinnehmen müssen. Und was Kallik nicht gesagt hat — aber das denke ich, und es würde mich nicht überraschen, wenn Sie mir da weit voraus wären! —, ist, dass jeder, der über den Schlüssel zur Baumeister-Technologie verfügt, verdammt viel Macht in diesem Spiralarm erlangen dürfte.«
»Dem stimme ich zu. Der Zugang zur Baumeister-Technologie wird der Lohn für alle Mühen sein.«
»Für manche vielleicht. Aber das ist immer noch nicht der einzige Grund dafür, dass Sie hier sind.« Nenda kam noch näher und erdreistete sich sogar, mit dem Zeigefinger gegen Atvar H’sials schimmernden Brustpanzer zu tippen. »Tatsache ist: Sie sind auch so ein Baumeister-Fanatiker genauso wie Lang und Kallik. Ihr alle glaubt, ihr werdet die Baumeister wirklich kennenlernen — und das in siebzig Stunden. Wissen Sie, wie Kallik diesen Gezeitensturm nennt? Die Epiphanie — das Erscheinen der Götter!«
»Ich möchte es lieber das ›Erwachen‹ nennen. Akzeptieren Sie denn, dass ein Ereignis immenser Tragweite bevorsteht?«
»Verdammt, ich weiß es doch nicht! Was meinen Sie mit ›immenser Tragweite‹? Ich bin mir verdammt sicher, dass hier keine Götter auftauchen werden. Das Ganze ist doch nur wilde Spekulation und hat verdammt wenig Aussicht auf Erfolg, aber der Gewinn, der uns hier lacht, macht jedes Risiko wett. Und so liebe ich das Spiel. Denn ich bin ein Spieler, und am liebsten setze ich bei äußerst hohen Quoten.«
»Sie täuschen sich. Das ist nicht nur wilde Spekulation. Es wird passieren!«
Das Atvar H’sial wirklich von dem überzeugt war, was sie sagte, verriet die Zusammensetzung der Pheromone, die sie verströmte. Nenda wusste, dass ihm die äußersten Feinheiten dieser Form der Kommunikation entgingen. Er fragte sich, ob die Cecropianer es vielleicht schon so weit gebracht haben könnte, mit ihren chemischen Botenstoffen auch zu lügen.
»Es gibt bereits jetzt Anzeichen dafür«, fuhr Atvar H’sial fort. »Im ganzen Spiralarm tut sich etwas in den Artefakten. Und was sich da tut, weist alles hierher.«
»He, mich brauchen Sie nicht zu überzeugen! Ich bin achthundert Lichtjahre weit gefahren, nur um diesen Dreckhaufen hier aufzusuchen — und Ihre Artefakte interessieren mich nicht einen feuchten Kehricht! Die können Sie meinetwegen geschenkt haben — Sie sind ja genau so schlimm wie Kallik! Mir persönlich reichen da schon ein paar neue Informationen über die Technologie der Baumeister. Aber ich habe noch eine Frage: Warum sind Sie hierher gekommen, warum wollten Sie mit mir sprechen, selbst auf die Gefahr hin, dass ich Sie vielleicht einfach zu Klump schieße? Auf jeden Fall nicht bloß, um mit mir und Kallik ein paar Erfahrungen auszutauschen, soviel ist schon mal klar!«
»Ah. Das ist wahr. Ich bin hierher gekommen, weil Sie mich brauchen. Und weil ich Sie brauche.« Atvar H’sial deutete auf die Luke und auf die kahle Steinwüste, die Erdstoß ihnen hier zeigte. »Wenn Sie und ich die Einzigen auf dieser Welt wären, dann wären wir auch die Einzigen, die vom Wissen um neue Baumeister-Technologie würden profitieren können. Vielleicht würden wir uns später darum streiten, wer diese neue Macht, die uns die Baumeister verliehen haben dürften, würde nutzen dürfen, aber einen derartigen Wettstreit wäre ich zu akzeptieren bereit.«
»Mhmm, das war dann Ihr Bier! Aber ich verstehe immer noch nicht, warum Sie zu mir gekommen sind.«
»Weil wir heute nicht die Einzigen auf Erdstoß sind. Es sind noch andere hier, die dieses neue Wissen zum Wohle der Wissenschaft sofort allen zur Verfügung stellen würden. Nun sind Sie, Louis Nenda, kein Wissenschaftler, sondern Abenteurer. Sie sind hier, um selbst reich zu werden.«
»Ganz genau. Und das Gleiche gilt auch für Sie.«
»Vielleicht.« In Atvar H’sials Antwort schwang Belustigung mit; langsam begann Louis Nenda zu begreifen, wie man das zu interpretieren hatte. »Aber wir beide wollen nicht, dass die Macht der Baumeister unter weiteren aufgeteilt wird. Rebka, Graves und Perry befinden sich auf Erdstoß. Sie sind unmittelbar nach uns über ›Nabelschnur‹ angekommen. Sie werden das neue Wissen nicht für sich behalten wollen. Dagegen werden wir etwas unternehmen müssen, aber wir haben keine Möglichkeit herauszufinden, wo sie sich gerade aufhalten.«
»Ich war eigentlich der Ansicht, dass die Ihnen folgen. Was ist mit Darya Lang? Sie ist doch zusammen mit Ihnen angekommen.«
»Kein Problem. Man hat sich ihrer … bereits angenommen.«
Die Pheromone übermittelten kalte Gewissheit. Lange herrschte Schweigen.
»Na ja, also gut«, ergriff Louis Nenda schließlich wieder das Wort. Seine Stimme klang sehr sanft. »Sie sind wirklich ein eiskaltes Miststück, was?«
Der Saugrüssel der Cecropianerin zitterte. »Wir bemühen uns, stets zufrieden zu stellen.«
»Und Sie gehen ein Risiko damit ein, das vor mir zuzugeben.«
»Das denke ich nicht.« Einen Augenblick lang schwieg Atvar H’sial. »Es gibt kein Risiko. Nicht für jemanden, der die Dateien über Lascia Vier gelesen und sie immer noch im Gedächtnis hat. Darf ich mir erlauben, Ihrem eigenen Gedächtnis ein wenig auf die Sprünge zu helfen? Eine medizinische Versorgungskapsel, auf dem Weg nach Lascia Vier, wurde geplündert. Sie hat den Planeten niemals erreicht, und ohne die Viral-Inhibitoren, die sich an Bord dieser Kapsel befanden, sind dreihunderttausend Menschen gestorben. Ein biotechnisch erweiterter Mensch, begleitet von einem Hymenopter-Sklaven, trug die Schuld an dieser Ungeheuerlichkeit. Der Hymenopter fand den Tod, doch der Mensch konnte entkommen und konnte seitdem nicht festgesetzt werden.«
Louis Nenda schwieg.
»Aber was nun die anderen Menschen betrifft«, fuhr Atvar H’sial fort. »Wir können sie nicht aufspüren. Vor allem Graves beunruhigt mich.«