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Schlussfolgerung: Wenn sie hier starb, dann weder vor Hunger, noch vor Durst, noch vor Unterkühlung oder Überhitzung.

Das war ein schwacher Trost. Der Tod würde also sehr plötzlich kommen und sehr viel gewaltsamer sein. Die Luft war heiß und wurde spürbar heißer. Im Abstand weniger Minuten spürte sie immer wieder, wie die Erde unter ihr erzitterte, wie ein Schläfer, der einfach keine bequeme Position zu finden schien. Das schlimmste waren diese heftigen böigen Winde, die ein feines, weißes Pulver herbeitrugen, das in den Augen brannte und allem einen unangenehm metallischen Beigeschmack verlieh. Auch die Maske und der Atemfilter boten nur bedingt davor Schutz.

Darya ging zum Ufer des Sees zurück und sah das geisterhafte Spiegelbild von Gargantua auf dem dunklen Wasser. Der Planet wurde von Stunde zu Stunde heller und größer. Er war immer noch weit von der maximalen Annäherung an Mandel entfernt, doch wenn Darya aufblickte, dann konnte sie schon jetzt die drei größten Monde erkennen, die auf sonderbar unregelmäßigen Bahnen den Planeten umrundeten. Sie konnte die Kräfte fast körperlich spüren, mit denen Gargantua, Mandel und Amarant auf diese Satelliten einwirkten und sie in verschiedene Richtungen gleichzeitig zerrten. Und die gleichen Gravitationskräfte wirkten auch auf Erdstoß ein. Der Planet, auf dem sie sich gerade befand, wurde gerade erheblich beansprucht. Die Oberfläche musste kurz davor stehen, überall aufzubrechen.

Also warum hatte Atvar H’sial sie hier gelassen, ihr dann aber Lebensmittel und Schutz gegeben, wenn der Gezeitensturm einen Erdstoß-Besucher wie sie doch sowieso erledigen würde?

Es musste eine Erklärung für das geben, was sich hier ereignet hatte. Darya musste nachdenken.

Sie kauerte sich an das Wasser, suchte einen Platz, an dem sie wenigstens teilweise von dem umherwirbelnden Staub Schutz würde finden können. Wenn Atvar H’sial sie hätte töten wollen, dann hätte sie das sehr einfach tun können, während Darya geschlafen hatte. Stattdessen hatte die Cecropianerin sie am Leben gelassen. Warum?

Weil Atvar H’sial sie brauchte, und zwar lebendig. Die Cecropianerin wollte sie nicht in ihrer Nähe haben, wenn sie irgendeine Intrige spann — worum auch immer es dabei gehen mochte —, doch später würde Atvar H’sial sie brauchen. Vielleicht wegen irgendetwas, das sie über Erdstoß wusste oder über die Baumeister. Aber was könnte das sein? Nichts, was Darya sich vorzustellen vermochte.

Also die Frage anders stellen: Was könnte Atvar H’sial wohl über Daryas Wissenstand vermuten?

Eine vernünftige Mutmaßung hatte Darya derzeit nicht zu bieten, aber im Augenblick schien ihr die Beantwortung dieser Frage auch eher zweitrangig. Die neue Darya beharrte darauf, dass der Grund zu handeln nie so wichtig war wie das Handeln selbst. Von Bedeutung war jetzt, dass man sie hier kaltgestellt hatte — oder eigentlich ›warmgestellt‹ —, und das auf unbestimmte Zeit; irgendwann würde vielleicht irgendjemand wieder nach ihr schauen. Und wenn sie nichts unternähme, würde sie sterben.

Aber so sollte, durfte es nicht kommen. Sie würde es nicht zulassen!

Darya stand auf und sah sich ihre Umgebung aufmerksam an. Einmal war sie schon auf Atvar H’sial hereingefallen und hatte die Fahrt auf ›Nabelschnur‹ organisiert. Noch einmal wäre sie bestimmt nicht mehr so dumm!

Der See, neben dem sie stand, war der größte See eines halben Dutzends miteinander verbundener Gewässer. Der kleinste war kaum einhundert Meter im Durchmesser, der größte vielleicht vierhundert. Der Ablauf des nächstgelegenen Sees, keine vierzig Schritte von Darya entfernt, plätscherte einen kleinen Wasserfall hinunter, einen oder zwei Meter hoch, und ergoss sich von dort in den nächsten See.

Darya suchte das Ufer nach irgendeiner Art Schutz ab. Angesichts des Wetters musste es etwas recht Robustes sein. Der Wind nahm immer weiter zu, und feiner Sand drang in jede Ritze, jede Öffnung — sämtliche ihrer Körperöffnungen eingeschlossen: alles andere als angenehm.

Wo? Wo sollte sie sich verstecken, wo sollte sie Unterschlupf finden? Der Überlebenswille — sie wollte, sie würde überleben! — wurde machtvoller und machtvoller.

Sie wischte sich feinen Talk von Armen und Oberkörper. Erdbeben mochten auf lange Sicht eine Gefahr darstellen, aber im Augenblick war das Schlimmste dieser überallhin vordringende, heftig umherwirbelnde Staub. Dem musste Darya unbedingt entkommen. Und nirgendwo schien es einen Ort zu geben, an dem sie davor geschützt sein würde.

Was machen denn die einheimischen Tiere dagegen?

Diese Frage schoss ihr durch den Kopf, während sie zum Ufer des Sees hinüberschaute; am Ufer war der Boden von zahllosen Löchern übersät, als hätten sich dort ebenso viele Tiere aller möglichen Größen eingegraben. Zu dieser Jahreszeit blieben die Lebensformen von Erdstoß nicht einfach an der Oberfläche. Sie gingen unter die Oberfläche oder noch besser: unter Wasser. Darya erinnerte sich an die großen Herden von Tieren mit weißem Rücken, die geradewegs auf die Seen zugestapft waren.

Konnte sie, ein Mensch, es ihnen gleichtun? Auf dem Grund eines hochgradig alkalischen Sees zu sein war nicht gerade eine angenehme Vorstellung, doch wenigstens würde sie so diesem Staub entkommen.

Nur dass sie nicht auf dem Grund eines Sees überleben konnte. Sie musste doch atmen. Es gab keinerlei Möglichkeit, einen Luftvorrat mit nach unten zu nehmen.

Sie watete ins Wasser, bis es ihr zu den Knien reichte. Das Wasser war angenehm warm, und als sie tiefer hineinging, merkte sie, dass die Temperatur sich noch ein wenig steigerte. Wenn der Boden weiterhin in diesem Maße abschüssig war, dann sollte das Wasser in der Mitte dieses Sees ihr über den Kopf reichen. Wenn sie so weit hineinging, dass ihr das Wasser gerade bis zum Kinn reichte, dann würden die Dichtungen ihrer Maske und ihres Atemfilters sich unter der Wasseroberfläche befinden, und nur ihr Kopf würde aus dem Wasser herausragen. Das würde den Staub abhalten.

Aber wie viele Stunden konnte sie so stehen bleiben? Auf jeden Fall nicht lange genug, oder?

Eine Lösung also, die keines ihrer Probleme löste.

Nun begann sie, der Flussrichtung dieser aufgereihten Seen zu folgen, stieg von einer Ebene auf die nächste, die sich wie die Stufen einer Treppe aneinander reihten. Der erste Wasserfall überwand eine Höhe von etwa zwei Metern in Form eines halben Dutzends Stromschnellen, die über glatt geschliffene Steinvorsprünge sprangen und schließlich in den größten der Seen mündeten. Wenn überhaupt, war der Staub hier unten höchstens noch schlimmer als weiter oben.

Darya ging weiter. Der See, zu dem sie gelangt war, hatte in etwa die Form einer Ellipse, mindestens dreihundert Meter breit, dabei vielleicht fünfhundert Meter lang. Dessen Mündung war entsprechend breiter, ein richtiger Wasserfall, den Darya schon hören konnte, als sie noch vierzig Meter entfernt war.

Als sie den tosenden Wasserfall schließlich erreichte, sah sie eine geradezu massive Wasserwand, die drei Meter in die Tiefe, beinahe senkrecht in den nächsten See der aneinandergereihten Seenplatte hinabstürzte. Das Wasser, das vom Fuße des Wasserfalls wieder aufspritzte, schlug sich auf ihrer Maske nieder, doch wenigstens wusch das einen Teil des Staubs aus der Luft. Wenn Dana nichts Besseres finden sollte, mochte dies hier ein Ort sein, an den sie würde zurückkehren können.

Sie hatte sich schon zum nächsten See aufmachen wollen, als sie plötzlich bemerkte, dass der Wasserfall in Wirklichkeit über einen kleinen Vorsprung an dieser Felswand strömte. Dahinter befand sich eine freie Fläche. Wenn sie es schaffte, durch den Wasserfall hindurchzukommen, ohne vom Wasser mitgerissen zu werden, fände sie dort einen geschützten Bereich, an dem der Staub sie nicht mehr erreichen würde: auf der einen Seite eine massive Felswand, auf der anderen das ständig herabströmende Wasser!