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Elena Carmel nickte unsicher und räusperte sich mehrmals. »Das sollte der letzte Planet werden«, begann sie schließlich. »Der letzte Planet, den wir besuchen, bevor wir wieder nach Shasta zurückkehren. Wir wollten eben wieder nach Hause.« Beim letzten Wort brach ihre Stimme. »Also haben wir uns entschieden, wir würden draußen an der Oberfläche bleiben, weg von den anderen Leuten da. Wir haben besondere Ausrüstung gekauft …«, sie machte eine Handbewegung, die das ganze Zelt mit einschloss, »… hier diese Ausrüstung, damit wir auch allein komfortabel leben könnten. Und wir sind mit der Sommer-Traumschiff zu einem der Festland-Torfhügel geflogen, mitten in den Sümpfen — auf Pavonis Vier gibt es ja fast nur Sumpf. Wir wollten weg von der Zivilisation, und wir wollten ja auch nicht die ganze Zeit über an Bord bleiben.«

Sie machte eine Pause.

»Das war meine Schuld«, gestand Geni Carmel, und ihre Stimme, der ihre Erschöpfung deutlich anzumerken war, war einen Ton höher als die ihrer Schwester. »Wir haben so viele Leute gesehen, auf so vielen Welten, und das Schiff war kleiner, als wir vor unserem Aufbruch bedacht hatten. Ich hatte es satt, so beengt leben zu müssen.«

»Wir waren beide erschöpft.« Elena verteidigte ihre kleine Schwester. »Wir haben unser Lager also dreißig Meter vom Schiff entfernt aufgeschlagen, ganz nah am Fuß des Hügels. Als dann das Zwielicht einsetzte, dachten wir, es wäre eine gute Idee, ganz primitiv zu leben, so wie vor zehntausend Jahren auf der Erde, und ein Feuer anzuzünden. Das haben wir gemacht, und das war schön gemütlich und warm, und es sah auch gar nicht nach Regen aus. Also haben wir uns entschlossen, im Freien zu übernachten. Als es dann ganz dunkel war, haben wir unsere Schlafsäcke nebeneinander ausgebreitet, haben nur dagelegen und uns die Sterne angesehen.« Sie legte die Stirn in Falten. »Ich weiß nicht mehr, worüber wir alles geredet haben.«

»Ich schon«, warf Geni ein. »Wir haben darüber geredet, dass das ja jetzt unser letztes Ziel sei und wie langweilig es werden würde, wieder auf Shasta zur Schule zu gehen. Wir haben versucht, die Sonne von unserem Heimatplaneten zu finden, aber die Sternbilder sahen so anders aus, und wir wussten nicht mehr genau, wo unser Zuhause eigentlich ist …« Sie sprach nicht mehr weiter und blickte wieder zu ihrer Schwester hinüber.

»Dann sind wir eingeschlafen.« Auch Elena fiel das Sprechen jetzt sichtlich schwerer. »Und als wir eingeschlafen waren, sind sie gekommen. Die … die …«

»Die Bercia?«, schlug Julius Graves vor. Beide Zwillinge nickten.

»Warten Sie einen Moment, Elena!«, sagte er. »Ich möchte hier ein paar Fakten über die Bercia zu Protokoll genommen wissen. Diese Fakten sind lange bekannt und lassen sich leicht verifizieren. Die Bercia waren Vertebraten, die sich sehr langsam bewegten. Diese nachtaktiven Amphibien, die sich nur auf Pavonis Vier entwickelt haben und auf keinem anderen Planeten zu finden sind, waren extrem photophob. Ihr Leben ähnelte dem der auf der Erde ausgestorbenen Biber. Genau wie die Biber lebten sie in Gemeinschaften, meistens im Wasser, und sie errichteten gemeinsam genutzte Baue. Der Hauptgrund, warum man bei ihnen eine bedingte Vernunftbegabtheit vermutet hat, war die Komplexität dieser Baue. Und um sie zu bauen, verwendeten sie Schlamm und die Äste der einzigen baumartigen Gewächse auf Pavonis Vier. Die wachsen nur in der Nähe der Festland-Torfhügel. Daher war es also praktisch unvermeidbar, dass die Bercia in der Nacht auch den Hügel aufsuchen würden, auf dem die Carmels lagerten.«

Nun wandte er sich wieder Elena zu. »Hat Ihnen irgendjemand etwas über die Bercia erzählt, bevor Sie dorthin aufgebrochen sind? Wer die waren, oder wie die aussahen?«

»Nein.«

»Und Ihnen?«, fragte er, nachdem er sich zu Geni Carmel umgewandt hatte.

Sie schüttelte den Kopf, dann fügte sie noch hinzu: »Nein.« Ihre Stimme war kaum noch hörbar.

»Dann würde ich gern noch eine Beschreibung der Physis der Bercia hinzufügen. Alle Erfahrungen, die Menschen mit dieser Spezies jemals gemacht haben, ließen darauf schließen, dass sie sanftmütig waren und sich ausschließlich von Pflanzen ernährten. Doch um das Xylem der großen Stämme durchkauen zu können, hatten die Bercia kräftige Kiefer und große, scharfe Zähne.« Er nickte Elena Carmel zu. »Bitte erzählen Sie weiter! Beschreiben Sie den Rest der Nacht auf Pavonis Vier!«

»Ich weiß nicht mehr genau, wann wir eingeschlafen sind oder wie lange wir geschlafen haben.« Elena Carmel blickte zu ihrer Schwester hinüber. »Ich bin erst aufgewacht, als ich gehört habe, wie Geni geschrien hat. Sie hat mir erzählt …«

»Ich möchte es von Geni selbst hören.« Mit dem Finger deutete Graves auf ihre Schwester. »Ich weiß, dass es schlimm ist, alles noch einmal wiederholen zu müssen, aber bitte erzählen Sie, was Sie gesehen haben!«

Geni Carmel sah entsetzlich verängstigt aus. Graves beugte sich vor und ergriff ihre Hände. Dann wartete er.

»Pavonis Vier hat einen großen Mond«, begann Geni schließlich. »Ich schlafe nicht so fest wie Elena, und das Mondlicht hatte mich geweckt. Erst habe ich mich gar nicht umgesehen — ich lag einfach nur in meinem Schlafsack und habe zu dem Mond hochgeschaut. Ich kann mich noch erinnern, dass darauf ein dunkles Muster zu erkennen war, wie ein abgerundetes Kreuz auf der Spitze einer Pyramide. Dann hat sich irgendetwas Großes vor den Mond geschoben. Ich dachte erst, es sei eine Wolke oder so was, und ich habe auch gar nicht begriffen, wie nah es war, bis ich seinen Atem gehört habe. Es hat sich genau über mich gebeugt. Ich habe einen abgeflachten, dunklen Schädel gesehen und eine Schnauze voller spitzer Zähne. Und dann habe ich nach Elena geschrien.«

»Bevor wir weitermachen«, warf Graves ein, »möchte ich wieder eine verifizierbare Erläuterung zu Protokoll nehmen. Auf dem Planeten Shasta, der Heimatwelt von Elena und Geni Carmel, gibt es keine gefährlichen Fleischfresser. Aber das war früher anders. Das größte und gefährlichste dieser Tiere war ein vierbeiniger Invertebrat, der als ›Skrayal‹ bezeichnet wurde. Auch wenn dieses Tier anatomisch gesehen keinerlei Übereinstimmungen mit einem Bercia besaß, war er diesem bei oberflächlicher Betrachtung doch ein wenig ähnlich, und er war etwa gleich groß und gleich schwer. Elena Carmel, was haben Sie gedacht, als Ihnen klar wurde, dass ein Bercia sich über Ihre Schwester gebeugt hat, und eine ganze Gruppe dieser Lebewesen rings um Ihre Schlafsäcke stand?«

»Ich dachte … ich dachte, das wären Skrayal. Nur am Anfang.« Sie zögerte, dann sprudelten die Worte regelrecht hervor. »Klar, als ich sie dann besser habe sehen können und ein wenig darüber nachgedacht habe, da wusste ich, dass das ja gar nicht sein konnte, und außerdem haben wir ja nie einen Skrayal gesehen — die waren schon lange vor unserer Geburt ausgestorben. Aber bei uns gibt es überall Geschichten darüber und Bilder von denen, und als ich aufgewacht bin, da wusste ich erst einmal gar nicht, wo ich überhaupt bin — ich habe nur diese riesigen Tiere gesehen, und die Zähne von dem, der sich gerade über Geni gebeugt hat.«

»Was haben Sie getan?«

»Ich habe geschrien, dann nach der Lampe gegriffen und die so hell gemacht, wie das nur ging.«

»Wussten Sie, dass die Bercia hochgradig photophob waren und bei starker Beleuchtung sofort einen tödlichen Schock erleiden würden?«

»Ich hatte keine Ahnung!«

»Wussten Sie, dass die Bercia mutmaßlich intelligent waren?«

»Ich habe doch schon gesagt, dass wir von den Bercia zuvor noch nicht einmal gehört hatten! Wir haben das alles erst später erfahren, als wir die Planeten-Datenbank an Bord der Sommer-Traumschiff durchgegangen sind.«

»Also konnten Sie auch gar nicht wissen, dass das die einzigen Überlebenden ihrer Spezies waren? Und dass die Jungen ohne Pflege durch die Muttertiere nicht überleben konnten?«

»Wir wussten überhaupt nichts über sie. Wir haben das erfahren, als wir nach Capra City zurückgekehrt sind und gehört haben, dass wir mit Haftbefehl gesucht würden.«