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19

Gezeitensturm minus zwo

Lärm bedeutete mangelnde Effizienz. Das Gleiche galt für mechanische Vibrationen. Gut laufende Motoren eines Flugwagens waren fast lautlos, und wenn man mit ihnen flog, lief alles butterweich.

Darya Lang lauschte dem Todesröcheln hinter sich und spürte, wie der Boden unter ihren Füßen bebte. Es gab keine Frage mehr, das Zittern wurde immer schlimmer. Sehr schnell sogar, man spürte es trotz des Windes, der den Wagen hin und her schleuderte.

»Wie weit noch?« Sie musste die Frage fast schreien.

Hans Rebka blickte nicht von den Instrumenten auf, doch er schüttelte den Kopf. »Vierzehn Kilometer. Vielleicht ist das zu weit. Das könnte eng werden.«

Sie taumelten kaum mehr als tausend Meter über dem Boden durch die Luft, gerade hoch genug, um zu verhindern, dass die Ansaugventile sich noch weiter mit Staub zusetzten. Die Landschaft unter ihnen konnte man kaum noch erkennen, geisterhaft und undeutlich schimmerte die Oberfläche von Erdstoß gelegentlich durch den trüben, feinen Staub, der überall umhergewirbelt wurde.

Lang schaute nach oben. Weit vor ihnen war ein dünner, vertikal verlaufender Faden zu erkennen. Sie rief: »Jetzt seh ich es, Hans! Da ist die Basis des Stängels!«, und im gleichen Augenblick rief Rebka: »Gar nicht gut! Wir verlieren an Auftrieb!«

Der Antrieb des Flugwagens begann zu stottern und zu keuchen. Kurze Augenblicke, in denen sie beinahe mit Höchstgeschwindigkeit sanft dahingleiten konnten, wechselten sich mit schleifenden Vibrationen und Sekunden von den Magen umdrehenden Sturzflügen ab. Sie sackten in die Staubschicht hinab. Der silberne Faden, ›Nabelschnur‹, schwand aus Daryas Blickfeld.

»Sechs Kilometer. Vierhundert Meter.« Rebka hatte ein letztes Mal die Entfernung abgemessen, bevor sie in den tosenden Sturm hinabgesunken waren und ihm keine andere Wahl mehr blieb, als blind, nur nach Instrumenten, zu fliegen. »Ich kann nicht genug sehen, um einen Landeanflug einzuleiten. Überprüfen Sie Ihre Haltegurte und achten Sie darauf, dass Ihre Maske und Ihr Atemfilter dicht sind! Kann sein, dass das jetzt richtig übel wird!«

Flugwagen waren eigentlich recht robuste Fahrzeuge. Sie waren darauf ausgelegt, auch unter extremen Umweltbedingungen noch zu funktionieren; doch was man selbst von ihnen wirklich nicht erwarten konnte, das war eine sanfte Landung, nachdem der gesamte Antrieb von Korundstaub völlig zersetzt worden war. Die letzten, schwachen Energieausbrüche des Antriebs kamen, als die Instrumente eine Höhe von zwanzig Metern meldeten. Rebka veränderte die Einstellung der Landeklappen, um einen Strömungsabriss zu verhindern, dann lenkte er das Fahrzeug in Richtung Boden — mit etwa der doppelten Geschwindigkeit als eigentlich üblich war. Im letzten Augenblick schrie er Dana zu, sie solle sich festhalten. Dann schlugen sie auf, heftig, wurden vom Aufprall wieder so weit hochgeschleudert, dass sie in sicherer Entfernung über einen scharfkantigen Felsbrocken hinwegjagten, der groß genug gewesen wäre, um die Unterseite des Wagens vollständig aufzuschlitzen, und kamen dann rutschend zum Stehen.

»Das war’s!« Noch während der Wagen rutschte, hatte Rebka schon auf die Entriegelung geschlagen, mit der er seine eigenen Haltegurte löste, und streckte nun den Arm aus, um Darya zu Hilfe zu kommen. Er warf einen letzten Blick auf den Mikrowellen-Sensor und warf ihr dann ein triumphierendes Grinsen zu. »Kommen Sie, ich habe eine Peilung! Der Fuß von ›Nabelschnur‹ liegt weniger als einen halben Kilometer vor uns!«

Am Boden waren die Umweltbedingungen deutlich besser, als Darya erwartet hatte. Zugegebenermaßen konnte man nur wenige Dutzend Meter weit sehen, und das Heulen des Windes wurde immer wieder durch dröhnende Explosionen in der Ferne unterbrochen. Doch der Boden war ruhig, reglos und zu Fuß durchaus überwindbar, außer an den Stellen, an denen vereinzelte Felsbrocken, jeder so hoch wie ein Haus, wie geborstene Zähne aus dem Boden ragten. Darya folgte Rebka, nachdem dieser einen Weg zwischen zweien dieser Felsen ausgewählt hatte, und dachte darüber nach, wie viel Glück sie doch gehabt hatten, dass der Antrieb genau zu diesem Zeitpunkt versagt hatte und nicht etwa wenige Sekunden später. Dann wären sie geradewegs in diese Felsbrocken hineingerast.

Darya war immer noch nicht davon überzeugt, dass Erdstoß so gefährlich war, wie Perry das immer behauptet hatte, und sie hatte immer noch dieses drängende, innige Bedürfnis, hierzubleiben und den Planeten zu erkunden. Doch nachdem sie jetzt so weit geflogen waren, um ›Nabelschnur‹ zu erreichen, erschien es ihr durchaus sinnvoll, das Artefakt dann auch zu nutzen. Sie blickte angestrengt nach vorn. Sie waren doch bestimmt schon mindestens einen halben Kilometer weit gegangen.

Darya achtete diesen einen Augenblick lang nicht darauf, wohin sie trat, und glitt prompt auf einer dicken Staubschicht aus, glatt und tückisch wie ein Ölfilm. Rebka, der vor ihr ging, stürzte in einer dichten Staubwolke zu Boden, rollte sich herum und kam taumelnd wieder auf die Beine. Statt dann jedoch langsam weiterzugehen, blieb er stehen und deutete geradewegs zum Himmel hinauf.

Sie waren jetzt in ein Gebiet gekommen, das vor dem Wind geschützt war. Die Sicht hatte sich um das Zehnfache gesteigert. Eine kreisförmige Scheibe, ein wenig unscharf zu erkennen dank des Staubs, der von den höheren Windschichten mitgetragen wurde, hing über ihnen am Himmel. Sie konnten zusehen, wie sie höher stieg und ein wenig kleiner zu werden schien.

In dem Augenblick, da er aufschrie, begriff sie, was sie da gerade sah. »Der Fuß des Stängels. Er geht rauf!«

»Aber wir sind doch früher hier, als wir erwartet hatten!«

»Ich weiß. Das sollte der auch nicht tun. Der geht viel zu früh rauf!«

›Nabelschnur‹ verschwand aus ihrem Blick, die keulenförmige Verankerung zog sich in die Wolken und den umherwirbelnden Staub zurück. Rings um die immer weiter aufsteigende Basis war das Vorfeld zu erkennen, auf dem die Flugwagen standen. Deren Größe kannte Darya und versuchte so, die Entfernung abzuschätzen. Das unterste Ende musste schon mehr als einen Kilometer von der Oberfläche entfernt sein.

Sie wandte sich zu Rebka um. »Hans, unser Wagen! Wenn wir wieder dahin zurücklaufen, und dann damit starten, dann …«

»Das klappt nicht.« Er trat etwas näher an sie heran. »Selbst wenn wir unseren Wagen noch einmal in die Luft bekämen: Es gibt nirgends auf der Basis von ›Nabelschnur‹ einen Platz, auf dem wir würden landen können. Es tut mir leid, Darya. Dieses ganze Schlamassel ist meine Schuld. Ich habe uns hierher gebracht, und jetzt sitzen wir hier fest. Wir sind erledigt.«

Er sprach lauter, als das unbedingt nötig gewesen wäre — denn als wollte der Wind zeigen, dass Rebkas Worte völliger Unsinn seien, hatte er sich gelegt, abrupt und vollständig. Der Staub, der immer noch durch die Luft wirbelte, wurde immer weniger, die Oberfläche war völlig ruhig, und in der Ferne konnte Darya tatsächlich ihren Flugwagen erkennen. Über ihnen war immer noch der Fuß von ›Nabelschnur‹ zu erkennen, schwebte quälend nah über ihnen.

Es war sicherlich der denkbar ungünstigste Augenblick für einen derartigen Gedanken, doch Darya kam zu dem Schluss, dass dieser Anflug der Qual, der in Hans Rebkas Stimme mitschwang, ihn noch anziehender machte als je zuvor. Selbstbewusstsein und Kompetenz waren wahrlich gute Eigenschaften — aber auch aufeinander angewiesen und sich auf einander verlassen zu können hatte seine Vorzüge.

Sie deutete nach oben. »Höher steigt es nicht, Hans. Wer steuert das denn?«

»Vielleicht niemand.« Jetzt schrie er nicht mehr. »Die Steuersequenz könnte vorprogrammiert gewesen sein. Aber es könnten auch Perry oder Graves sein — vielleicht haben die das hochgezogen, um von der Oberfläche entkommen zu können. Vielleicht halten sie den Stängel dort oben einsatzbereit und warten jetzt darauf, dass wir irgendwann auftauchen. Aber wir können sie nicht erreichen!«