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Das Hauptproblem war die steigende Temperatur. Noch zehn Grad mehr, und sie würden, da war Rebka sich sicher, entweder langsamer gehen müssen oder sich alle einen Hitzschlag holen. Der Regenschauer, der eigentlich hätte hilfreich sein sollen, war inzwischen so heiß geworden, dass, trafen die Regentropfen bloße Haut, Verbrühungen die Folge waren. Und ein weiteres Ansteigen der Temperaturen dürfte während des Marsches ihrer kleinen Gruppe in die Pentacline-Senke hinein unausweichlich sein.

Doch sie mussten tiefer hinabsteigen! Wenn sie jetzt langsamer wurden oder wieder umkehrten, sei es, um sich auszuruhen, sei es, um Schutz vor dem Regen zu suchen, würden sie den Kräften des Gezeitensturms zum Opfer fallen.

Rebka trieb seine Schutzbefohlenen weiter an und ließ den Blick währenddessen immer wieder in das Gelände vor ihnen wandern, um zu sehen, wie weit sie sich dem Basaltplateau schon genähert hatten. Es waren nur noch wenige hundert Meter zu gehen, und der Weg sah recht einfach aus. Nur noch etwa hundert Schritte, und es gäbe weniger herumliegende Felsbrocken, weniger Spalten im Erdreich, was ihnen das Vorankommen so sehr erschwert hatte: Stattdessen würde das in dunkle tiefbraune Erdtöne getauchte Gelände ebener, leichter zu bewältigen als alles, was Rebka bisher in der Pentacline-Senke gesehen hatte. Vielleicht handelte es sich um den Grund eines jetzt ausgetrockneten Sees, um das, was einmal ein lang gestrecktes, flaches Gewässer gewesen war, ehe das Wasser bei der Hitze der letzten Tage verdampft war. Hier würden sie leicht und zügig vorankommen, das Gelände rasch durchqueren können. Auf der anderen Seite der schmalen Ebene stieg der Boden sanft an und führte zu der felsigen Anhöhe, auf deren Plateau sie das Schiff zu finden erwarteten.

Die beiden Anführer der kleinen Gruppe hatten sich der Ebene jetzt auf etwa zwanzig Schritte genähert. Der massige, abgeflachte Felsbrocken schien schon fast zum Greifen nahe zu sein, als Max Perry plötzlich zögerte und stehen blieb. Während Rebka das noch beobachtete und innerlich fluchte, stützte sich Perry schon auf einen großen, scharfkantigen Felsen und betrachtete nachdenklich das vor ihm liegende Gelände.

»Gehen Sie schon weiter, Mann!«

Perry schüttelte den Kopf, hob den Arm, um die anderen zum Stehenbleiben zu bewegen, und kauerte sich dann auf den Boden, um diesen genau zu untersuchen. Im gleichen Augenblick stieß Elena Carmel einen Schrei aus und deutete auf das Plateau des gewaltigen Basaltfelsens.

Der Himmel hatte sich schwarz verfärbt; doch die jetzt fast unablässig zuckenden Blitze boten mehr als genug Licht, um noch etwas zu erkennen. Dort, wohin Perry starrte, konnte Rebka nicht das Geringste sehen, außer einem leichten Hitzeflirren: Der Grund des ausgetrockneten Sees wirkte wie ein unscharfes Foto. Doch auf der anderen Seite dieser verschwommenen Ebene, dort, wohin Elena Carmels Finger zeigte, auf dem Basaltplateau, über das Staubwolken hinwegrollten, sah Rebka etwas völlig Unverkennbares: die Umrisse eines kleinen Raumschiffs. Es stand recht sicher dort, ein Stück weit von der Felskante entfernt, und es schien unbeschädigt. Dort hinaufzusteigen sollte keinem von ihnen sonderlich schwer fallen. In spätestens fünf Minuten sollten sie dort oben sein!

Elena Carmel hatte sich umgedreht und ihrer Schwester etwas zugerufen, bei all dem Donner unhörbar. Rebka jedoch konnte es ihr von den Lippen ablesen. »Die Sommer-Traumschiff!«, rief sie. Triumph stand auf ihrem Gesicht zu lesen. Und schon rannte sie los, auf ihrer aller Ziel zu, an Graves und Perry vorbei.

Sie war schon auf der Ebene, die aus getrockneten Schlamm zu bestehen schien, da erst blickte Perry auf und sah sie.

Eine Sekunde war er wie erstarrt, dann stieß er einen hohen, heulenden Warnlaut aus, der sogar noch das Donnergrollen übertönte.

Elena hörte den Laut und drehte sich um. Als sie das tat, ließ ihr Gewicht die Kruste aus gebranntem Lehm, weniger als einen Zentimeter dick, brechen. Dampf schoss empor, wirbelte pechschwarzen, heißen Schlamm rings um ihren Körper. Elena schrie, hob die Arme, versuchte das Gleichgewicht zu halten. Unter der brüchigen Oberfläche bot der brodelnde Schlamm nicht mehr Halt als heißer Sirup: Bevor noch irgendwer etwas unternehmen konnte, war Elena bereits bis zur Taille darin versunken. Sie schrie vor Schmerzen, als siedender Schlamm sich um ihre Beine und ihre Hüfte schloss.

»Vorbeugen!« Perry warf sich auf den Bauch, um das eigene Gewicht besser zu verteilen, und versuchte, auf der brüchigen Oberfläche zu ihr zu kriechen.

Doch Elena Carmel hatte zu große Schmerzen, um seinem Befehl auch nur die geringste Beachtung zu schenken. Und Perry war nicht schnell gut: Elena sank sehr rasch ein. Perry war drei Schritte vielleicht noch von ihr entfernt, da erreichte der brodelnde Schlamm ihre Kehle. Die stieß einen letzten, entsetzlichen Schrei aus.

Hastig versuchte Perry noch, sie zu fassen zu bekommen, ihren Haarschopf, ihren ausgestreckten Arm, erreichte sie, vermochte sie dennoch nicht festhalten.

Sie sank immer tiefer. Sie hatte einen Verbrennungsschock erlitten, und es war kein einziger Laut zu hören, als der sengend heiße Schlamm in ihren Mund quoll, in ihre Nase, in ihre Augen. Sekundenbruchteile später hatte der Schlamm sie verschluckt. Ein winziger Strudel auf der Oberfläche war ein letzter Hinweis, wo Elena versunken war, doch keinen Lidschlag später war die Oberfläche spiegelglatt und ruhig, nichts verriet mehr den Ort der Tragödie.

Perry aber gab nicht auf, kroch weiter, stieß die Arme bis zu den Ellenbogen in die kochende Schwärze. Er brüllte vor Schmerzen, tastete blind umher und fand nichts.

Bis zu diesem Augenblick hatten die anderen aus ihrer kleinen Gruppe Gestrandeter stocksteif dagestanden. Jetzt aber erwachte Geni mit einem furchtbaren Schrei zum Leben und stürzte vorwärts. Blitzschnell setzte Julius Graves ihr nach, hielt sie fest, gerade noch am Rande dieses siedenden Kessels aus Treibsand.

»Nein, Geni! Nicht! Sie können ihr nicht mehr helfen! Sie ist fort!« Er hielt sie an der Taille fest, mühte sich, sie wieder in Sicherheit zu zerren. Sie wehrte sich mit der Kraft der Verzweiflung. Ihm blieb nur, sie festzuhalten, bis Rebka und Darya Lang es endlich bis zu ihm an die Kante geschafft hatten und Genis Arme packten.

Geni hatte noch nicht aufgegeben, zu dem Ort zu gelangen, an dem ihre Zwillingsschwester versunken war. Sie wand sich, die Bewegung riss Darya mit, hinaus auf die brüchige Kruste. Sofort brach Darya ein, ihr linker Fuß sank bis zum Knöchel ein. Mit einem Schrei sackte sie in Richtung Rebka zu Boden, einer Ohnmacht nahe. Rebka konnte nicht anders, als Geni Graves überlassen, um nun Darya auf sicheren Grund zu zerren.

Ein letztes, verzweifeltes Mal versuchte Geni zu der Stelle zu gelangen, wo der Schlamm nun keine Kruste mehr besaß. Dort, wo Elena in die Tiefe gezogen worden war, sprudelte und blubberte es plötzlich, als atme jemand aus. Doch Perry kroch mit schmerzverzerrtem Gesicht langsam rücklings über die trügerische Kruste hinweg in Richtung des deutlich ungefährlicheren Terrains, in dem die geborstenen Felsbrocken lagen. Seine Hände waren zu nichts mehr zu gebrauchen, doch er kam hoch auf die Füße und nutzte sein reines Körpergewicht, um Geni zurückzustoßen.

Gemeinsam stolperten sie in Sicherheit. Genis verzweifelte Gegenwehr ließ nach. Als der erste Schock sich gelegt hatte, vergrub sie ihr Gesicht in den Händen und begann jämmerlich zu schluchzen.

Einen Arm immer noch um Darya Lang gelegt, begutachtete Rebka jetzt die restliche Gruppe. Sie alle waren von Elenas Tod wie betäubt, er aber war derjenige, der sich darum kümmern musste, sie alle irgendwie am Leben zu erhalten. Innerhalb von dreißig Sekunden jedoch hatte sich ihre Lage von ›schwierig‹ in ›verzweifelt‹ verwandelt. Die Luft konnte man kaum noch atmen, und die Oberfläche von Erdstoß wurde zunehmend aktiver. Das Einzige, was sie sich jetzt nicht leisten konnten, war tatsächlich, noch langsamer an den Ort zu gelangen, wo, wie es schien, ihre einzige Überlebenschance lag.