»Bei allem Respekt, Allianzrat Graves.« J’merlia bewegte sich ein wenig zur Seite und kniete vor ihm nieder. »Aber Kallik und ich vermochten nicht zu überhören, was Sie gerade zu Captain Rebka sagten — dass Meister Nenda und Atvar H’sial von Erdstoß entkommen sind, dann aber nach Gargantua geschleudert und durch die Beschleunigungskräfte getötet wurden.«
»In Richtung Gargantua, mein lo’tfianischer Freund. Vielleicht nicht nach Gargantua selbst. Was das angeht, war Professorin Lang äußerst nachdrücklich.«
»Mit der Bitte um Verzeihung, ich hätte sagen sollen in Richtung Gargantua. Verehrter Allianzrat, wäre es möglich, dass Kallik und meine bescheidene Wenigkeit selbst sich einige Minuten vom Dienst befreiten?«
»Ach, nun geht schon! Und nicht so kriecherisch! Ihr wisst doch, wie sehr ich das verabscheue!« Mit einer Handbewegung entließ Graves die beiden. Während die beiden Nichtmenschen zur unteren Kabine der Kapsel gingen, wandte Graves sich wieder Rebka zu.
»Also, Captain, falls Sie nicht gerade wieder zusammenbrechen und in Tiefschlaf fallen wollen, schlage ich vor, dass wir ebenfalls nach unten gehen und nach Commander Perry und Professorin Lang schauen. Wir haben reichlich Zeit. ›Nabelschnur‹ wird uns den Zugang zu Opal erst in einigen Stunden ermöglichen. Und unsere offiziellen Aufgaben im Dobelle-System sind jetzt erledigt.«
»Ihre vielleicht. Für meine gilt das nicht.«
»Das wird sie aber sein, Captain, schon sehr bald.« Der grinsende Totenschädel war so aufreizend beiläufig und selbstsicher wie immer.
»Sie wissen doch nicht einmal, wie mein Auftrag hier in diesem System eigentlich lautet!«
»Oh, das weiß ich sehr wohl! Sie wurden hierher geschickt, um herauszufinden, was mit Commander Perry los ist. Sie sollten nachforschen, was ihn dazu gebracht hat, einen Posten ohne jede Aufstiegschance im Dobelle-System zu behalten — und ihn dann davon kurieren.«
Rebka sank in einen Sessel vor dem Steuerpult. »Wie zum Teufel haben Sie das herausgefunden?« Seine Stimme verriet mehr Verwirrung als Verärgerung.
»Mit Hilfe der offensichtlichsten aller Quellen — Commander Perry. Er hat seine eigenen Freunde und seine eigenen Informationsquellen zu Hause im Hauptquartier des Phemus-Kreises. Er hat herausgefunden, warum Sie hierher geschickt worden sind.«
»Dann sollte er auch wissen, dass ich niemals herausgefunden habe, was ich hätte herausfinden sollen. Ich habe Ihnen ja gesagt, meine Aufgabe hier ist noch nicht erledigt.«
»Das ist nicht wahr. Ihre offizielle Aufgabe ist so gut wie vorbei, und schon bald wird sich auch alles andere erledigt haben. Wissen Sie, Captain, ich weiß, was vor sieben Jahren mit Max Perry geschehen ist. Ich habe es vermutet, als wir Erdstoß noch nicht einmal erreicht hatten, und ich habe mir die Bestätigung geholt, als ich den Commander unter Einfluss von Sedativa befragt habe. Dazu brauchte ich nur die richtigen Fragen zu stellen. Und ich weiß auch, was jetzt zu tun ist. Vertrauen Sie mir, und hören Sie zu!«
Julius Graves beugte seinen langen Oberkörper über einen Monitor, zog eine Daten-Einheit, so groß wie ein Zuckerwürfel, aus der Tasche und schob diese in die Maschine. »Das ist selbstverständlich eine reine Audioaufnahme. Aber Sie werden die Stimme wiedererkennen, auch wenn sie deutlich jünger klingt. Ich habe seine Erinnerungen sieben Jahre in die Vergangenheit geschickt. Ich werde Ihnen nur einen Ausschnitt vorspielen. Es ist niemandem damit gedient, privates Leid zu einem öffentlichen Ereignis zu machen.«
… Amy benahm sich immer noch albern und ausgelassen, trotz der Hitze. Sie hat gelacht, während sie vor mir davonlief, zurück zum Wagen, mit dem wir zu ›Nabelschnur‹ zurückkehren wollten. Er war nur ein paar Hundert Meter weit entfernt, aber ich wurde langsam müde.
»He, mach mal langsam! Ich muss schließlich die ganze Ausrüstung tragen!«
Sie wirbelte herum und neckte mich. »Ach, komm schon, Max! Du musst endlich mal lernen, auch ein bisschen Spaß zu haben! Du brauchst doch das ganze Zeug gar nicht. Lass es einfach hier – merkt doch wirklich keiner, wenn das weg ist!«
Sie brachte mich zum Lächeln, trotz des immer lauter werdenden Tosens um uns herum und trotz des Schweißes, der mir am ganzen Körper herunterlief. Auf Erdstoß war es wirklich heiß.
»Das kann ich nicht machen, Amy — das ist öffentliches Eigentum! Das muss ich alles nachweisen! Warte auf mich!«
Aber sie hat nur gelacht. Und ist einfach weitergetänzelt — auf diese seltsam flirrende Oberfläche, diesen zerbrechlichen, schimmernden Boden, wie es ihn nur während des Gezeitensturms gibt …
… bevor ich sie erreichen konnte, war sie fort. Einfach so, im Bruchteil einer Sekunde. Einfach von Erdstoß verschluckt. Alles, was mir blieb, was ich mit mir nehmen konnte, war der Schmerz …
»Die Aufnahme ist noch länger, aber der Rest führt nicht weiter.« Graves hielt die Aufzeichnung an. »Nichts, was Sie sich nicht selbst denken könnten, und ein paar Dinge, die Sie nicht hören sollten. Amy hat in geschmolzener Lava den Tod gefunden, nicht in siedendem Schlamm. Max Perry hat, als er mit uns in der Pentacline-Senke unterwegs war, wie damals dieses Flirren überhitzter Luft gesehen, — aber erst zu spät reagiert, um Elena Carmel noch retten zu können.«
Hans Rebka zuckte mit den Schultern. »Selbst wenn Sie jetzt wissen, was Max Perry dazu gebracht hat, sich so in sich selbst zurückzuziehen, bleibt mir immer noch der schwierigste Teil meiner Aufgabe. Ich soll ihn schließlich wieder zu sich bringen, kurieren, Sie erinnern sich, und wie ich das anstellen soll, weiß ich wirklich nicht!«
Rebka war sich ganz sicher, dass dieses Gefühl eigenen Scheiterns und der Unfähigkeit vorbeiginge, nicht mehr war als eine Nebenwirkung, die Erschöpfung nach Tagen pausenloser Anspannung nach sich zog. Doch das machte dieses Gefühl keinen Deut leichter zu ertragen.
Er starrte zu einem der Displays an der Wand hinüber, auf dem eine Schlinge zu erkennen war, die kopfüber auf dem Wasser trieb, völlig zerschmettert von der Wucht des aufgewühlten Ozeans. Er konnte nichts anderes sehen als schwarzen, glitschigen Schlamm, aus dem völlig ungeordnet verschlungene Wurzelstücke emporragten. Er fragte sich, ob irgendjemand überlebt hatte, als diese Schlinge gekentert war.
»Wie?«, fuhr er dann fort. »Wie soll ich jemanden aus einer Depression herausholen, die seit sieben Jahren andauert? Von so etwas habe ich keine Ahnung.«
»Natürlich nicht. Das ist mein Fachgebiet, nicht das Ihre.« Abrupt drehte Graves sich um und ging auf die Treppe zu. »Kommen Sie!«, forderte er Rebka über die Schulter hinweg auf. »Es wird Zeit nachzuschauen, was unter Deck passiert. Ich denke, diese verflixten Nichtmenschen planen eine Meuterei, aber das werden wir vorerst ignorieren. Im Augenblick müssen wir mit Max Perry reden.«
Drehte Graves gerade wieder durch? Rebka seufzte. Ach, waren das noch Zeiten, als er durch die Wolkendecke von Erdstoß gebrochen war und sich gefragt hatte, ob sie noch eine weitere Turbulenz überleben würden! Dichtauf folgte er dem anderen Mann, die Treppe hinunter zur zweiten Ebene der Kapsel.
J’merlia und Kallik waren nirgends zu sehen.
»Ich hab’s Ihnen ja gesagt«, erklärte Graves. »Die sind im Frachtraum. Die beiden führen irgendetwas im Schilde, das ist so klar wie die nächste Steuererhöhung. Helfen Sie mir mal!«
Mit der Hilfe des jetzt völlig verwirrten Rebka trug der Allianzrat zunächst Max Perry, dann auch Geni Carmel auf die obere Ebene der Kapsel. Darya Lang, die immer noch vor sich hin murmelte, kurz vor dem Erwachen, ließ er in ihrem Medi-Korsett.