Als Valerie und Bernard nach unten kamen, prasselte ein Feuer im Kamin, und Manette und Freddie standen davor und wärmten sich den Rücken. An den Gesichtern ihrer Eltern, die freudige Erwartung ausstrahlten, sah Manette, dass sie über den Grund ihres Besuchs gesprochen hatten. Das wunderte sie nicht, denn beide hatten Freddie schon damals, als sie ihn zum ersten Mal mit nach Hause gebracht hatte, sofort ins Herz geschlossen.
Ihr Vater fragte, ob sie Kaffee wollten. Ihre Mutter bot ihnen Teegebäck aus einer Bäckerei in Windermere an. Manette und Freddie lehnten höflich ab.»Aber setzen wir uns doch«, sagte Manette und bugsierte Freddie zu einem der Sofas vor dem Kamin. Ihre Eltern nahmen auf dem anderen Sofa Platz, allerdings interessanterweise so dicht an der Kante, als müssten sie jederzeit bereit sein, die Flucht zu ergreifen — oder eine Flasche Schampus zu holen. Die Hoffnung stirbt immer zuletzt, dachte Manette.
Sie sagte:»Freddie?«
Er schaute erst ihren Vater, dann ihre Mutter an und sagte:»Bernard, Valerie, es geht um Ian und die Bücher der Firma.«
Es war nicht zu übersehen, wie Bernard der Schreck in die Glieder fuhr. Er sah seine Frau so entgeistert an, als vermutete er, Valerie und seine Tochter hätten ihn gemeinsam hereingelegt, während Valerie verwirrt schwieg. Manette wusste nicht, ob Freddie das bemerkt hatte, doch es spielte auch keine Rolle, denn er ging sofort in die Offensive:»Ich weiß, dass das nicht allen gefallen wird, aber wir müssen uns bei Mignons Unterhaltszahlungen etwas einfallen lassen. Oder noch besser, die Zahlungen ganz einstellen. Und wir müssen die Sache mit Vivienne Tully klären. Das Geld, das in das Haus von Nick und Alatea geflossen ist, zusammen mit dem Geld, das Mignon und Vivienne monatlich zufließt, und dem Geld, das der Fantasiegarten hier in Ireleth Hall verschlingt … Ich würde euch gern sagen, dass Fairclough Industries ein dickes Polster besitzt, aber wir müssen unbedingt irgendwo Abstriche machen. Und zwar so bald wie möglich.«
Das war so typisch Freddie, dachte Manette. Er war ernst und ehrlich und vollkommen arglos.
Sie wartete auf die Reaktion ihres Vaters. Ebenso wie Freddie. Ebenso wie Valerie. Das Feuer knisterte und knackte, und ein dickes Scheit rollte vom Rost. Bernard nutzte die Gelegenheit, um Zeit zu gewinnen. Er stand auf, nahm die Kaminzange vom Haken und kümmerte sich um das Problem, während die anderen ihm zusahen.
Als er sich ihnen wieder zuwandte, sagte Valerie:»Erklär mir, was das für Geld ist, das jeden Monat an Vivienne Tully geht. «Sie schaute dabei jedoch nicht Freddie, sondern Bernard an.
«Tja«, sagte Freddie liebenswürdig.»Es ist ein bisschen sonderbar. Sie bekommt seit Jahren monatliche Zuwendungen, die sich stufenweise erhöhen. Bisher habe ich Ians Buchführung noch nicht komplett durchgearbeitet, aber soweit ich das bisher beurteilen kann, hat Vivienne vor Jahren eine große Summe erhalten, und zwar per telegrafischer Überweisung auf ein Konto. Dann ist ein paar Jahre lang kein Geld geflossen, und schließlich haben die monatlichen Überweisungen angefangen.«
«Wann war das?«, fragte Valerie ruhig.
«Vor ungefähr achteinhalb Jahren. Also, ich weiß ja, dass sie im Vorstand der Stiftung sitzt, Bernard …«
«Wie bitte?«Valerie schaute ihren Mann an und sagte seinen Namen, während Freddie fortfuhr:»Aber das ist ein ehrenamtlicher Posten. Natürlich bekommen ehrenamtliche Mitarbeiter ihre Auslagen erstattet, darüber hinaus jedoch keine weiteren Zuwendungen. Aber der Betrag, den sie erhält, übersteigt bei Weitem alle vorstellbaren Auslagen — es sei denn«, fügte er lachend hinzu, und für dieses unschuldige Lachen hätte Manette ihn küssen können,»sie diniert jeden Abend mit potentiellen Spendern und schickt deren Kinder zusätzlich auf Privatschulen. Und da das nicht der Fall ist …«
«Ich habe schon verstanden«, sagte Valerie.»Du auch, Bernard? Oder ist es eher so, dass du ohnehin über alles im Bilde bist?«
Bernard schaute Manette an. Natürlich würde er gern wissen, was sie Freddie erzählt hatte und welches Spiel sie jetzt mit ihm trieben. Er würde sich verraten fühlen. Er hatte ihr am Vortag im Vertrauen einiges erzählt. Tja, dachte Manette, wenn er ihr wirklich alles anvertraut hätte, dann hätte sie die Wahrheit vielleicht für sich behalten. Aber das hatte er nicht getan. Er hatte ihr gerade so viel erzählt, wie nötig war, um sie zu beruhigen. Das hatte er zumindest angenommen.
Und ebenso wie am Vortag versuchte Bernard, sich dumm zu stellen:»Ich habe keine Ahnung, warum Ian Vivienne Geld überwiesen hat. Vielleicht fühlte er sich verpflichtet …«Er geriet ins Stocken.»Vielleicht war das seine Art, mich zu schützen.«
«Und wovor genau?«, wollte Valerie wissen.»Soweit ich mich erinnere, hat Vivienne eine besser bezahlte Stelle bei einer Londoner Firma angenommen. Sie wurde nicht entlassen. Oder doch? Gibt es etwas, wovon ich nichts weiß?«Dann fragte sie Freddie:»Über welche Summe reden wir hier eigentlich?«
Freddie nannte sie ihr. Und er nannte ihr den Namen der Bank. Valeries Lippen öffneten sich leicht. Sie durchbohrte Bernard mit ihrem Blick. Er wandte sich ab.
Valerie sagte:»Was soll ich deiner Meinung nach daraus schließen, Bernard?«
Bernard schwieg.
«Soll ich annehmen, dass sie Ian aus irgendeinem Grund erpresst hat?«, fragte sie.»Vielleicht hat er ja die Bilanzen gefälscht, und sie hat es herausgefunden, und daraufhin hat er sie an seinem Gewinn beteiligt? Oder vielleicht hat sie ihm angeboten, sich zu verziehen und Niamh nichts über seine sexuellen Neigungen zu verraten, solange er sie bezahlt … obwohl das natürlich nicht erklären würde, warum er ihr weiterhin Geld überwiesen hat, nachdem er sich von Niamh getrennt hat und mit Kaveh zusammengezogen ist, nicht wahr, Darling? Also bleiben wir doch bei der ersten Möglichkeit. Freddie, gibt es irgendwelche Hinweise darauf, dass Ian die Bilanzen manipuliert hat?«
«Tja, wenn, dann nur insofern, als auch die Zahlungen an Mignon gestiegen sind. Aber in seine eigene Tasche hat er kein …«
«Mignon?«
«Genau. Die monatlichen Überweisungen an sie sind drastisch gestiegen«, sagte Freddie.»Das Problem ist, dass die Erhöhung gar nichts mit gestiegenen Ausgaben zu tun hat, soweit ich das beurteilen kann. Okay, da war diese Operation, doch um die zu bezahlen, hätte eine Überweisung gereicht. Und in Anbetracht der Tatsache, dass sie hier auf dem Familiensitz wohnt, hat sie ja kaum laufende Kosten, oder? Ich weiß, sie bestellt sich alles Mögliche im Internet, aber wie viel Geld kann sie da schon ausgeben? … Na ja, andererseits könnte jemand, der in der Hinsicht eine Sucht entwickelt, auf diese Weise ein Vermögen verschleudern. Trotzdem …«
Freddie plapperte nur so drauflos. Manette wusste, dass es eine Reaktion auf die Anspannung zwischen ihren Eltern war, die er genau spürte. Eigentlich hätte ihm klar sein müssen, dass sie sich auf gefährliches Terrain begeben hatten, als sie ihre Eltern über die Zahlungen an Mignon und Vivienne informiert hatten, aber in seiner Naivität hatte Freddie nicht geahnt, dass es sich um ein Minenfeld handelte.
Nachdem Freddie geendet hatte, herrschte einen Moment lang Schweigen. Valerie schaute Bernard an. Bernard fuhr sich mit der Hand über den Kopf. Schließlich sagte er:»Das hätte ich dir nicht zugetraut.«
«Was?«, fragte Manette.
«Das weißt du genau. Ich hatte immer gedacht, zwischen uns bestünde ein Vertrauensverhältnis. Aber da habe ich mich wohl getäuscht.«
«Moment«, sagte Freddie hastig,»das hat nichts mit Manette zu tun, Bernard. «Dann nahm er Manettes Hand und erklärte mit einer Bestimmtheit, die sie überraschte:»In Anbetracht der Umstände sind ihre Sorgen vollkommen berechtigt. Und sie weiß nur von den Zahlungen, weil ich ihr davon erzählt habe. Fairclough Industries ist ein Familienunternehmen …«
«Und du gehörst nicht zur Familie«, fauchte Bernard.»Du hast einmal dazugehört, aber dann hast du es dir anders überlegt. Und wenn du glaubst …«