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Valerie, die offenbar seine Verwirrung gespürt hatte, beeilte sich, Klarheit zu schaffen. Es sei ganz einfach: Nicht ihr Mann, sondern sie sei diejenige gewesen, die darauf bestanden habe, dass Ian Cresswells Tod genauer untersucht wurde.

Das, dachte Lynley, erklärte allerdings eine ganze Menge, erst recht nach allem, was sie bisher über Faircloughs Privatleben zutage gefördert hatten. Dennoch erklärte es nicht alles. Das Warum harrte immer noch einer Antwort. Warum Valerie? Warum überhaupt? Denn wenn sich herausstellte, dass es Mord gewesen war, dann war der Täter wahrscheinlich unter ihren Angehörigen zu suchen.

Lynley sagte:»Verstehe. Ich weiß nicht, ob das eine Rolle spielt. «Dann berichtete er ihnen von den Untersuchungen im Bootshaus. Alles, was er und Simon St. James dort hatten feststellen können, sagte er, decke sich mit dem Befund des Coroners. Demnach sei Ian Cresswell durch einen tragischen Unfall ums Leben gekommen. Dasselbe hätte jedem passieren können, der das Bootshaus benutzte. Der gemauerte Steg sei uralt und einige Steine darin locker. Die Steine, die sich aus dem Gemäuer gelöst hatten, seien nicht manipuliert worden. Wäre Cresswell aus einem anderen Bootstyp ausgestiegen, wäre er vielleicht nur gestolpert. Aber aus einem Skullboot auszusteigen, sei gefährlicher, weil es schwierig war, dabei die Balance zu halten. Hinzu seien die losen Steine gekommen, und beides zusammen hätte ihn das Leben gekostet. Er habe das Gleichgewicht verloren, sei mit dem Kopf auf die Steinmauer aufgeschlagen, ins Wasser gefallen und ertrunken. Es gebe keinerlei Anzeichen für Fremdeinwirkung.

Jetzt, dachte Lynley, hätte eigentlich ein allgemeines erleichtertes Aufatmen erfolgen müssen. Normalerweise hätte er erwartet, dass Valerie etwas wie» Gott sei Dank!«ausrufen würde. Stattdessen folgte ein langes, angespanntes Schweigen, woraus er schloss, dass der tatsächliche Grund für die Ermittlungen gar nicht Ian Cresswells Tod gewesen war.

Plötzlich ging die Haustür auf, und Mignon Fairclough trat ein, gestützt auf ihren Rollator.

«Freddie, machst du bitte die Tür zu, Darling?«, flötete sie.»Es fällt mir ein bisschen schwer. «Als Freddie McGhie aufspringen wollte, um ihrer Bitte nachzukommen, sagte Valerie scharf:»Ich denke, es dürfte dir nicht schwerfallen, die Tür selbst zuzumachen!«

Mignon legte den Kopf schief und sah ihre Mutter mit hochgezogenen Brauen an.»Also gut«, sagte sie, drehte sich mit ihrem Rollator betont umständlich um und schloss die Tür.»So«, sagte sie dann und wandte sich wieder ihrer Familie zu.»Das ist ja hier der reinste Taubenschlag, meine Lieben. Erst Manette und Freddie à deux. Wie aufregend! Mein Herz klopft bei dem Gedanken, was das alles bedeuten könnte. Dann kommt Nick angerauscht. Und rauscht wieder ab. Und jetzt ist unser gutaussehender Detective von Scotland Yard wieder unter uns und macht uns das Leben schwer. Verzeiht mir die Neugier, Mum und Dad, aber bei allem, was hier drinnen vor sich geht, habe ich es draußen keine Minute länger ausgehalten.«

«Das trifft sich gut«, sagte Valerie.»Denn wir reden gerade über die Zukunft.«

«Darf ich fragen, über wessen Zukunft?«

«Über unser aller Zukunft. Einschließlich deiner. Ich habe heute erfahren, dass dein monatlicher Unterhalt vor einiger Zeit beträchtlich erhöht wurde. Damit ist es jetzt vorbei. Du bekommst ab sofort überhaupt keinen Unterhalt mehr.«

Mignon schaute sie verdattert an. Damit hatte sie offenbar nicht gerechnet.»Aber Mum, meine Liebe … ich bin behindert. In meinem Zustand kann ich mich auf keine Arbeitsstelle bewerben. Du kannst mir also nicht einfach …«

«Da irrst du dich gewaltig, Mignon. Ich kann und ich werde.«

Mignon sah sich um, als suchte sie nach dem Grund für diese unerwartete Schicksalswende. Ihr Blick fiel auf Manette.»Du kleines Miststück«, sagte sie mit zusammengekniffenen Augen.»Das hätte ich dir wirklich nicht zugetraut.«

«Mignon!«, rief Freddie aus.

«Du hältst dich da raus«, fauchte sie ihn an.»Oder möchtest du vielleicht gern über Manette und Ian reden, Freddie?«

«Da gibt es nichts zu reden, das weißt du ganz genau«, sagte Manette.

«Es gibt einen Schuhkarton voll mit Briefen, Darling. Ein paar davon sind verbrannt, aber der Rest ist nach wie vor in einwandfreiem Zustand. Ich kann sie jederzeit herholen. Auf den Augenblick warte ich schon seit Jahren.«

«Okay, ich war als junges Mädchen in Ian verknallt. Versuch ruhig, mehr daraus zu machen, du wirst nicht weit kommen.«

«Und was ist mit ›Ich liebe dich mehr, als ich jemals einen anderen lieben werde‹ und ›Ach, bitte, ich möchte, dass du mein Erster bist‹?«

«Ich bitte dich«, sagte Manette angewidert.

«Ich könnte dir noch mehr davon zitieren, ich kenne jede Menge deiner Briefe auswendig.«

«Und keiner von uns will es hören«, fuhr Valerie sie an.»Es wurde genug gesagt. Es reicht.«

«O nein, es reicht noch lange nicht. «Mignon ging auf das Sofa zu, auf dem ihre Schwester und Freddie saßen. Sie sagte:»Wenn’s dir nichts ausmacht, Freddie«, und machte Anstalten, sich zu setzen. Ihm blieb gar nichts anderes übrig, als aufzustehen, wenn er seine Schwägerin nicht auf dem Schoß haben wollte. Er gesellte sich zu Bernard, der am Kamin stand.

Lynley sah ihnen allen an, dass sie versuchten, sich auf etwas Neues einzustellen. Sie ahnten, dass etwas auf sie zukam, auch wenn sie nicht wussten, was es war. Offenbar hatte Mignon jahrelang Informationen über sämtliche Familienmitglieder gesammelt. Bisher hatte sie davon keinen Gebrauch machen müssen, jetzt jedoch schien sie entschlossen, das zu tun. Sie schaute erst ihre Schwester und dann ihren Vater an. Dann sagte sie lächelnd, ohne ihren Blick von ihrem Vater abzuwenden:»Weißt du, Mum, ich glaube nicht, dass sich hier viel ändern wird. Und ich schätze, dass Dad das auch nicht glaubt.«

Valerie ließ sich nicht so leicht aus der Ruhe bringen.»Die Unterhaltszahlungen an Vivienne Tully werden ebenfalls eingestellt, falls du darauf anspielst. So ist es doch, nicht wahr? Ich nehme an, dass du deinen Vater schon seit Jahren mit Vivienne Tully erpresst. Kein Wunder, dass so viel Geld in deine Richtung geflossen ist.«

«Ach, und jetzt hältst du ihm die andere Wange hin?«, höhnte Mignon.»Sind wir schon so weit? Ist es schon so weit gekommen zwischen euch?«

«Was zwischen deinem Vater und mir ist, geht dich nichts an. Niemandes Ehe geht dich etwas an.«

«Ich möchte mich nur vergewissern, dass ich alles richtig verstanden habe«, sagte Mignon.»Er treibt’s mit Vivienne Tully in London, er kauft ihr eine Wohnung, er führt ein verdammtes Doppelleben — und jetzt soll ich dafür bezahlen, weil ich den Anstand besessen habe, dir nichts davon zu erzählen?«

«Stell dich nicht dar als die noble Retterin«, sagte Valerie.

«Hört, hört«, murmelte Freddie.

«Du weißt genau, warum du mir nichts davon erzählt hast«, fuhr Valerie fort.»Die Informationen waren dir nützlich, und du bist eine ganz gewöhnliche Erpresserin. Du solltest niederknien und dem Herrgott dafür danken, dass ich den Inspector nicht bitte, dich zu verhaften. Abgesehen davon ist alles, was mit Vivienne Tully zu tun hat, eine Angelegenheit zwischen deinem Vater und mir. Das alles geht dich nichts an. Das Einzige, womit du dich befassen solltest, ist die Frage, was du in Zukunft aus deinem Leben zu machen gedenkst. Denn es fängt morgen an, und das wird ganz anders aussehen als bisher.«