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«Dann lasse ich Sie beide jetzt allein«, sagte Azhar.

«Müssen Sie noch arbeiten?«, fragte Barbara.

«Nein, ich fahre nach Hause«, antwortete er.»Und vielen Dank, Engracia.«

«De nada«, murmelte die junge Frau.

Sie setzten sich an einen Tisch, und Barbara nahm die Ausdrucke aus dem Umschlag. Als Erstes gab sie Engracia den Artikel mit dem Foto von der Bürgermeisterfamilie.»Ich hab mir ein Wörterbuch besorgt«, sagte sie,»aber das hat mich nicht viel weitergebracht. Ich meine, ein bisschen hat’s schon geholfen, aber …«

«Natürlich. «Engracia hielt das Blatt mit dem Artikel in der einen Hand und spielte beim Lesen mit der anderen an einem goldenen Ohrring. Nach einer Weile sagte sie:»Das hier hat etwas mit Wahlen zu tun.«

«Mit den Bürgermeisterwahlen?«

«. Der Mann — Esteban — kandidiert für den Bürgermeisterposten in dieser Stadt, und dieser Artikel stellt ihn vor. Es ist ein Artikel ohne Lob … wie nennt man das?«

«Lobhudelei?«

Engracia lächelte. Sie hatte sehr schöne Zähne und sehr glatte Haut. Sie trug Lippenstift, aber der war so gut gewählt, dass er kaum auffiel.»Ja. Lobhudelei«, sagte sie.»Hier steht, der Mann hat sehr viele Verwandte in der Stadt, und wenn die alle zur Wahl gehen, wird er gewinnen. Aber das ist wohl ironisch gemeint, denn die Stadt hat immerhin fünfundsiebzigtausend Einwohner. «Sie las ein bisschen weiter.»Hier steht etwas über seine Frau Dominga und über ihre Familie. Beide Familien leben offenbar schon seit Generationen in Santa María de la Cruz, de los Ángeles y de los Santos.«

«Und die Söhne?«

«Die Söhne … Ah. Carlos besucht das Priesterseminar, Miguel möchte Zahnarzt werden, Ángel will Architektur studieren, und die anderen beiden sind noch zu klein, um Berufswünsche zu haben, obwohl Santiago sagt, er möchte mal Schauspieler werden. Und Diego …«Sie las noch ein paar Zeilen und lachte.»Hier steht, er möchte Astronaut werden, falls Argentinien irgendwann ein eigenes Raumfahrtprogramm entwickelt, was er für ziemlich unwahrscheinlich hält. Ich glaube, das ist ein kleiner Scherz. Der Journalist hatte wohl Spaß an dem Jungen.«

Das brachte sie leider nicht viel weiter, dachte Barbara. Sie nahm die nächsten beiden Artikel aus dem Umschlag, die ebenfalls von Raul Montenegro handelten, und reichte sie Engracia.»Sehen Sie sich die mal an. «Sie fragte Engracia, ob sie ein Glas Wein oder etwas anderes trinken wolle. Schließlich nahmen sie einen Tisch in einem Weinlokal in Anspruch, und man erwartete von ihnen, dass sie etwas konsumierten.

Engracia bat um ein Glas Mineralwasser. Barbara ging zum Tresen, bestellte das Wasser und für sich ein Glas Hauswein. Als sie mit den Getränken an den Tisch zurückkehrte, konzentrierte Engracia sich gerade auf den Artikel mit dem Foto von Alatea in Montenegros Arm. Es handle sich um einen Bericht über einen einflussreichen Geldspender in Mexico City, sagte Engracia, und über den Bau einer Konzerthalle. Der Mann auf dem Foto habe die größte Summe für das Projekt gespendet, weswegen ihm die Ehre zuteilwurde, dem Gebäude einen Namen zu geben.

«Und?«, fragte Barbara in der Erwartung, dass die Halle nach Alatea benannt war, da sie auf dem Foto so strahlend lächelte.

«Die Halle heißt Musikzentrum Magdalena Montenegro«, sagte Engracia.»Das ist der Name seiner Mutter. Lateinamerikanische Männer stehen in der Regel ihrer Mutter sehr nahe.«

«Was ist mit der Frau, die mit ihm auf dem Foto abgebildet ist?«

«Hier steht nur, dass sie seine Begleiterin ist.«

«Nicht seine Frau? Seine Geliebte? Seine Lebensgefährtin?«

«Nein, nur Begleiterin.«

«Könnte es sich um eine beschönigende Umschreibung für Geliebte oder Lebensgefährtin handeln?«

Engracia betrachtete das Foto.»Schwer zu sagen. Aber ich glaube nicht.«

«Es könnte also sein, dass sie ihn nur an diesem einen Abend begleitet hat? Oder dass es sich um eine Frau von einem Escort-Service handelt?«

«Gut möglich«, sagte Engracia.»Vielleicht hat sie sich auch nur für das Foto neben ihn gestellt.«

«Verdammt«, murmelte Barbara. Als Engracia sie daraufhin zerknirscht anschaute, fügte sie hastig hinzu:»Oh, tut mir leid. Ich fluche nicht über Sie. Nur über das Leben im Allgemeinen.«

«Das alles scheint sehr wichtig für Sie zu sein. Kann ich Ihnen sonst irgendwie helfen?«, fragte Engracia.

Barbara überlegte. Es gab tatsächlich noch eine Möglichkeit. Nachdem sie schnell die Zeitdifferenz ausgerechnet hatte, sagte sie:»Sie könnten für mich mit jemandem telefonieren. «Sie nahm ihr Handy aus der Tasche.»Da drüben spricht niemand Englisch.«

Sie erklärte Engracia, dass sie die Privatnummer des Bürgermeisters von Santa María und so weiter gewählt habe, wo es jetzt früher Nachmittag sei, und bat sie, sich nach einer gewissen Alatea Vasquez del Torres zu erkundigen, falls sich jemand meldete.

«Die Frau auf dem Foto«, sagte Engracia und zeigte auf den Artikel über Raul Montenegro.

«Ganz genau«, sagte Barbara.

Als es am anderen Ende zu klingeln begann, reichte Barbara der jungen Spanierin das Telefon. Das Einzige, was Barbara in dem nun folgenden Gespräch aufschnappen konnte, war der Name Alatea. Aber aus dem Handy hörte sie eine Frauenstimme. Sie klang schrill und aufgeregt, und an Engracias Gesicht konnte sie ablesen, dass dieser Anruf in Santa María de la Cruz, de los Ángeles y de los Santos sich gelohnt hatte.

Dann entstand eine Pause in dem Gespräch, und Engracia schaute Barbara an.»Das war eine Kusine«, sagte sie zu Barbara.»Elena María.«

«Also haben wir die falsche Nummer?«

«Nein, nein. Sie ist gerade zu Besuch. Dominga, die Frau des Bürgermeisters, ist ihre Tante. Sie holt sie gerade. Sie war schrecklich aufgeregt, als sie Alateas Namen gehört hat.«

«Bingo«, murmelte Barbara.

«Wie bitte?«

«Sorry, nur so ein Spruch. Sieht so aus, als würden wir Fortschritte machen.«

«Ah. «Dann meldete sich wieder eine Stimme vom anderen Ende der Welt, und Engracia begann wieder wie ein Schnellfeuergewehr Spanisch zu sprechen. Barbara schnappte hin und wieder ein» entiendo«, ein» sabes?«, ein» no sé«, viele» sí«und» gracias «auf.

Nachdem Engracia das Gespräch beendet hatte, sagte Barbara:»Und? Was gibt’s Neues?«

«Eine Nachricht für Alatea«, sagte Engracia.»Diese Dominga bittet uns, Alatea zu sagen, sie soll nach Hause kommen. Wir sollen ihr ausrichten, dass ihr Vater sie versteht. Und die Jungs auch. Sie sagt, Carlos hat sie alle für Alateas glückliche Heimkehr beten lassen.«

«Und hat die Frau Ihnen gesagt, wer zum Teufel Alatea ist?«

«Sie scheint irgendwie zur Familie zu gehören.«

«Eine Schwester, die aus irgendeinem Grund auf diesem alten Foto fehlt? Eine Schwester, die geboren wurde, nachdem das Foto aufgenommen wurde? Die Frau von einem der jungen Männer? Eine Kusine? Eine Nichte?«

«Das hat sie nicht gesagt, zumindest nicht eindeutig. Aber sie hat mir erzählt, dass Alatea mit fünfzehn von zu Hause weggelaufen ist. Sie dachten, sie wäre nach Buenos Aires gegangen, und haben sie dort jahrelang gesucht. Vor allem Elena María hat nach ihr gesucht. Dass Alatea verschwunden ist, hat ihr das Herz gebrochen, auch das sollen wir ihr ausrichten.«

«Seit wann genau ist Alatea denn verschwunden?«, wollte Barbara wissen.

«Seit dreizehn Jahren.«

«Und jetzt ist sie in Cumbria gelandet«, murmelte Barbara.»Wie zum Teufel …?«

Sie hatte mit sich selbst gesprochen, aber Engracia nahm noch einmal einen der Ausdrucke in die Hand, die sie vorhin gelesen hatte, einen der Artikel über Raul Montenegro, und sagte:»Vielleicht hat er ihr ja geholfen? Wenn der Mann genug Geld hat, um für den Bau einer Konzerthalle zu spenden, dann hat er auch genug Geld, um einer schönen Frau ein Flugticket nach London zu spendieren, oder? Oder ein Flugticket wer weiß wohin. An irgendeinen Ort der Welt, der ihr gefällt.«