Sie sagte:»Tu, was du nicht lassen kannst, Freddie«, und machte weiter mit dem Aufräumen.
Das Haus zu durchsuchen nahm weniger als fünf Minuten in Anspruch. Im ersten Stock gab es drei Zimmer und ein Bad. Es war nicht anzunehmen, dass Tim sich im Zimmer seiner Mutter versteckt hatte, denn dann hätte er ihren Liebesspielen lauschen müssen. Also blieben die beiden Kinderzimmer, die Manette durchsuchte, während Freddie sich die Garage vornahm.
Zurück im Wohnzimmer sahen sie sich nur an und schüttelten wortlos den Kopf. Sie mussten woanders weitersuchen. Doch vorher wollte Manette noch ein Wörtchen mit Tims Mutter wechseln. Niamh kam gerade mit einer Tasse Kaffee aus der Küche. Ihren ungebetenen Gästen hatte sie keinen angeboten. Umso besser, dachte Manette, denn sie hatte nicht vor, sich länger als unbedingt nötig hier aufzuhalten.
«Es wird Zeit, dass die Kinder wieder nach Hause kommen«, sagte sie zu Niamh.»Du hast deinen Standpunkt klargemacht, und es gibt keinen Grund, weiterhin diese Show abzuziehen.«
«Ach du je«, sagte Niamh und bückte sich, um etwas aufzuheben, das unter einen Sessel gerutscht war.»Charlie und seine Spielchen …«
Manette sah, dass es sich um ein Sexspielzeug handelte, und zwar um einen Vibrator, den Niamh grinsend auf den Couchtisch legte.»Was wolltest du mir eben sagen, Manette?«, fragte sie.
«Du weißt genau, was ich dir sagen wollte. Du hast dir die Titten vergrößern lassen, und du bestellst diesen armen Trottel von Charlie jeden Abend hierher, damit er es dir besorgt …«
«Manette«, sagte Freddie.
«Nein, lass mich«, entgegnete sie.»Es wird Zeit, dass ihr mal jemand ordentlich den Kopf wäscht. Du hast zwei Kinder, Niamh, und diesen Kindern gegenüber hast du eine Pflicht als Mutter, und das hat nichts mit Ian zu tun und damit, dass er dich wegen Kaveh verlassen hat …«
«Hör auf!«, fauchte Niamh.»Dieser Name wird in meinem Haus nicht ausgesprochen!«
«Welcher? Der des Vaters deiner Kinder oder des Mannes, dessentwegen er dich verlassen hat? Ian hat dich verletzt — akzeptiert. Das wissen wir alle. Du hattest ein Recht, dich verletzt zu fühlen, und glaub mir, auch das wissen wir alle. Aber Ian ist tot, und die Kinder brauchen dich, und wenn du das nicht begreifst, wenn du dermaßen egozentrisch bist, wenn du so verdammt bedürftig bist, wenn du dir jeden Tag aufs Neue beweisen musst, dass ein Mann — irgendein Mann — dich begehrt … Was zum Teufel ist los mit dir? Bist du Tim und Gracie jemals eine Mutter gewesen?«
«Manette«, murmelte Freddie.»Ich glaube, es reicht.«
«Wie kannst du es wagen …«Niamh war bleich vor Wut.»Ausgerechnet du! Du hast deinen Mann abgelegt für …«
«Es geht nicht um mich.«
«Ach nein? Du bist wohl perfekt, was, und über uns alle erhaben? Hast du überhaupt eine Ahnung, was ich durchgemacht habe? Was glaubst du wohl, wie es ist herauszufinden, dass der Mann, den du liebst, es seit Jahren mit Männern treibt? Auf öffentlichen Toiletten, in Parks, in Nachtclubs, wo sie sich gegenseitig befummeln und in den Arsch ficken? Wie es sich anfühlt, wenn einem diese Erkenntnis dämmert? Wenn einem klar wird, dass die Ehe, in der man lebt, nur Fassade ist, und schlimmer noch, dass der Mann, den man liebt, seit Jahren ein Doppelleben führt und einen der Gefahr aussetzt, sich alle möglichen ekelhaften Krankheiten einzufangen? Erzähl mir nicht, wie ich mein Leben zu leben habe. Erzähl mir nicht, ich sei egozentrisch, bedürftig, erbärmlich oder was dir sonst noch alles einfällt …«
Sie hatte angefangen zu weinen und wischte sich mit dem Handrücken die Tränen fort.»Macht, dass ihr rauskommt, und lasst euch nie wieder hier blicken! Wenn du es noch einmal wagst, mein Haus zu betreten, Manette, dann rufe ich die Polizei, das schwöre ich dir. Macht, dass ihr wegkommt, und lasst mich in Ruhe!«
«Und Tim? Und Gracie? Was ist mit den Kindern?«
«Sie können nicht bei mir wohnen.«
«Was meinst du damit?«, fragte Freddie.
«Sie erinnern mich an alles. Immer wieder. Das ertrage ich nicht. Ich ertrage sie nicht.«
Plötzlich fiel es Manette wie Schuppen von den Augen.»Warum in aller Welt hat er sich für dich entschieden? Warum hat er nicht begriffen?«
«Was?«, fragte Niamh.»Was?«
«Von Anfang an hat sich für dich alles nur um dich selbst gedreht. Und daran hat sich nichts geändert.«
«Ich weiß nicht, wovon du redest«, sagte Niamh.
«Macht nichts«, entgegnete Manette.»Ich weiß es.«
Deborah hatte ein schlechtes Gewissen gegenüber Tommy, aber nur ein bisschen. Er würde zum Crow & Eagle in Milnthorpe kommen, und sie würde nicht da sein, aber er würde nicht wissen, dass sie nach Lancaster gefahren war, denn ihr Mietwagen würde noch auf dem Parkplatz stehen. Wahrscheinlich würde er zuerst annehmen, sie sei zu einem letzten kurzen Spaziergang aufgebrochen, vielleicht zum Markt oder zum Friedhof hinter der Kirche, oder ein Stück die Straße Richtung Arnside hinunter, um die Seevögel zu beobachten. Denn es herrschte gerade Ebbe, und sämtliche Wasservögel, die hier oben überwinterten, tummelten sich dort auf der Suche nach Nahrung. Oder er würde annehmen, sie sei noch schnell zur Bank auf der anderen Straßenseite gegangen. Oder er würde denken, dass sie noch beim Frühstück saß. Aber das spielte alles keine Rolle. Sie war nicht bereit, sich einfach von ihm abholen und zu Simon zurückbringen zu lassen, und nur das zählte. Natürlich hätte sie ihm eine Nachricht hinterlassen können. Doch sie kannte Tommy. Wenn er Wind davon bekam, dass sie unterwegs nach Lancaster war, um sich noch einmal mit Lucy Keverne über Alatea Fairclough zu unterhalten, würde er hinter ihr her sein wie der Teufel hinter der armen Seele.
Sie hatte ihr Zimmer für eine weitere Nacht gebucht und dann Zed Benjamin angerufen, der sich sofort auf den Weg gemacht hatte und in Rekordzeit bei ihr eintraf. Kaum war er auf den Parkplatz eingebogen, um zu wenden, war sie hinausgelaufen und in seinen Wagen gestiegen.
Sie erzählte ihm nicht, dass sie ihn über den Grund von Alatea Faircloughs und Lucy Kevernes Besuch im George Childress Centre belogen hatte. Einem Klatschreporter schuldete sie absolut nichts, fand sie. Weder die Wahrheit noch ein Lügengespinst noch eine faule Ausrede.
Sie erklärte Zed, sie sei zu dem Schluss gekommen, dass Lucy Keverne ihr am Tag zuvor die Unwahrheit gesagt hatte. Dass sie wegen» Frauenproblemen «in Begleitung von Alatea Fairclough zur Uni in Lancaster gefahren sein sollte, ergebe einfach keinen Sinn. Schließlich handle es sich beim George Childress Centre um ein Institut für Fortpflanzungsmedizin — wozu hätte sie bei einem Termin dort die Unterstützung einer Freundin gebraucht? Wenn es um künstliche Befruchtung ging, hätte sie vielleicht ihren Ehemann oder ihren Lebensgefährten zu dem Termin mitgenommen — aber eine Freundin? Nein, es sehe ganz so aus, als sei da mehr im Busch, sagte Deborah, und sie brauche Zed Benjamins Unterstützung, um herauszufinden, um was es sich dabei handelte.
Zed, ganz Klatschreporter auf der Suche nach einer Story, dachte sofort an eine heimliche lesbische Beziehung zwischen Lucy Keverne und Alatea Fairclough. Womöglich hatte Ian Cresswell davon erfahren und damit gedroht, Nicholas Fairclough zu informieren. Dann ging er mehrere Szenarien durch, wie die beiden Frauen das Problem gelöst haben könnten, die alle damit endeten, dass sie Ian Cresswell aus dem Weg geräumt hatten. Deborah war es ganz recht, dass er auf der ganzen Fahrt über nichts anderes redete, denn solange er sich in seine Fantasiegeschichten hineinsteigerte, würde er nicht auf die Idee kommen, sich zu fragen, weshalb um alles in der Welt eine Polizistin von Scotland Yard an der Unterstützung durch einen Journalisten der Source interessiert sein könnte.