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«Und das bedeutet?«

«Das bedeutet, Alatea gehört zu diesem Familienzweig, aber sie ist nicht Alatea.«

«Sondern?«

«Santiago.«

Lynley versuchte, diese Information zu verdauen. In seiner Nähe war eine Putzfrau dabei, den Boden zu schrubben. Sie warf ihm bedeutungsvolle Blicke zu, anscheinend in der Hoffnung, dass er sich einen anderen Platz suchte, so dass sie unter seinem Tisch wischen konnte. Schließlich fragte er:»Wie meinen Sie das, Barbara?«

«Ich meine genau das, was ich gesagt habe, Sir. Alatea ist Santiago. Santiago ist Alatea. Entweder das, oder die beiden sind eineiige Zwillinge, und wenn ich im Bio-Unterricht nicht gepennt hab, dann gibt es nur gleichgeschlechtliche eineiige Zwillinge.«

«Das heißt also … Was?«

«Crossdressing, Sir. Transsexualität. So was hält man doch lieber vor der Familie geheim, oder?«

«Ja, wahrscheinlich. Unter gewissen Umständen. Aber diese Umstände …«

«Sir«, fiel Barbara ihm ins Wort.»Santiagos Spur verliert sich, als er ungefähr fünfzehn ist. Ich schätze, in dem Alter hat er angefangen, als Alatea aufzutreten. Um dieselbe Zeit ist er von zu Hause abgehauen. Das habe ich unter anderem in einem Telefongespräch mit der Familie erfahren.«

Sie berichtete ihm, was die spanische Studentin ihr nach dem Gespräch mit Argentinien erklärt hatte: Die Familie wolle, dass Alatea nach Hause komme, ihr Vater und ihre Brüder würden sie jetzt verstehen, Carlos, der Priester, habe die Familie zur Einsicht gebracht, alle beteten für Alateas Rückkehr in den Schoß der Familie, die Angehörigen seien seit Jahren auf der Suche nach ihr, sie solle nicht länger vor ihnen weglaufen, ihr Verschwinden habe Elena María das Herz gebrochen …

«Wer ist Elena María?«Lynley schwirrte der Kopf.

«Eine Kusine«, sagte Barbara.»Ich schätze, Santiago hat die Mücke gemacht, weil er sich gern als Frau verkleidete, wovon sein Vater und seine Brüder wahrscheinlich nicht besonders begeistert waren. Latinos, Sie wissen schon. Macho, und so weiter. Irgendwann jedenfalls ist er Raul Montenegro über den Weg gelaufen …«

«Wer zum Teufel …«

«Ein reicher Typ aus Mexiko. Einer, der so viel Geld hat, dass er eine Konzerthalle bauen lassen und sie nach seiner Mutter benennen kann. Also, Santiago läuft Raul über den Weg, und Raul fährt auf ihn ab, denn der Typ ist vom anderen Ufer, wenn Sie verstehen, was ich meine. Und er steht vor allem auf möglichst junge Knaben, wenn man den Fotos glauben darf, die ich gefunden hab. Jedenfalls waren unsere zwei Hübschen im siebten Himmel. Auf der einen Seite Santiago mit seiner Vorliebe für Frauenkleider und auf der anderen Raul, der stockschwul ist, das aber nicht gern an die große Glocke hängen will. Raul tut sich also mit Santiago zusammen, der aussieht wie ein zum Anbeißen hübsches junges Mädchen, mit dem er sich sogar in der Öffentlichkeit blicken lassen kann. Und die beiden bleiben zusammen, bis sich was Besseres findet.«

«Und was sollte das sein?«

«Nicholas Fairclough, würd ich mal vermuten.«

Lynley schüttelte den Kopf. Das klang einfach allzu unglaublich.»Barbara, sagen Sie maclass="underline" Sind das alles Vermutungen, oder haben Sie irgendwelche Beweise für Ihre Behauptungen?«

Sie ließ sich nicht beirren.»Sir«, sagte sie,»es passt alles zusammen. Santiagos Mutter wusste genau, von wem die Rede war, als Engracia angerufen und nach Alatea gefragt hat. Aber da sie nur Söhne hat, dachten wir, Alatea müsse eine Nichte von ihr sein. Bis ich mir Santiago genauer unter die Lupe genommen und mir dann noch mal die jüngsten Fotos von Alatea als Dessous-Model angesehen habe, und … Glauben Sie mir, Sir, sie ist Santiago. Er ist abgehauen, hat sich als Frau ausgegeben, und keiner hat’s gemerkt, und als er dann Raul Montenegro begegnet ist, war die Sache geritzt. Wahrscheinlich haben die beiden glücklich und zufrieden zusammengelebt, bis Nicholas Fairclough aufgekreuzt ist.«

Lynley musste zugeben, dass das plausibel klang. Denn Nicholas Fairclough, ehemaliger Drogensüchtiger und Alkoholiker, würde seinen Eltern auf keinen Fall offenbaren, dass ein Mann sich als seine Frau ausgab, mit einer falschen Heiratsurkunde, dem einzigen Dokument, das der Person ein Aufenthaltsrecht im Land sicherte.

«Könnte es sein, dass Ian Cresswell irgendwie dahintergekommen ist?«, überlegte Lynley laut.

«Genau das hab ich mich auch gefragt«, sagte Barbara.»Wer, wenn nicht Ian Cresswell, wird auf den ersten Blick gesehen haben, wen er vor sich hatte?«

MILNTHORPE — CUMBRIA

Deborah fühlte sich elend, und das nicht erst, seitdem die Frau an der Rezeption im Crow & Eagle ihr Tommys Nachricht gegeben hatte. Denn alles, worum sie sich bemüht hatte, drohte in einem kompletten Chaos zu enden.

Sie hatte versucht, den widerwärtigen Zed Benjamin davon zu überzeugen, dass das, was Lucy Keverne ihnen erzählt hatte, nicht für eine Story in der Source reichte. Da Zed sie, Deborah, immer noch für eine Polizistin von Scotland Yard hielt, hatte sie gehofft, dass er, als sie gesagt hatte» Tja, meine Arbeit hier ist damit beendet«, ebenfalls zu dem Schluss gelangen würde, dass in Cumbria für ihn nichts zu holen war. Wenn die angebliche Polizistin der Meinung war, dass sich niemand etwas hatte zuschulden kommen lassen, dann schien es doch nur logisch, dass es auch keine Story gab. Aber Zed Benjamin hatte das anders gesehen. Er war der Meinung gewesen, dass alles erst anfing.

Entsetzt hatte sie ihn gefragt, an was für eine Story er denn denke.»Zwei Menschen sind bereit, einer Frau für eine Leihmutterschaft mehr zu bezahlen, als das Gesetz vorsieht«, hatte sie ihm gesagt.»Wie viele solche Menschen gibt es in England? Wie viele Menschen haben keine Freundin oder Verwandte, die bereit ist, sich aus lauter Mitgefühl als Leihmutter zur Verfügung zu stellen? Das Gesetz, das so etwas verbietet, ist lächerlich. Es gibt schlicht und einfach keine Story.«

Aber auch da war Zed anderer Meinung gewesen. Das Gesetz selbst sei die Geschichte, hatte er ihr erklärt. Denn es stürze Frauen in Verzweiflung, die daraufhin zu verzweifelten Mitteln griffen, um ihr Problem zu lösen.

«Verzeihen Sie, Mr. Benjamin«, hatte Deborah darauf erwidert,»aber ich glaube kaum, dass die Source sich auf Ihre Empfehlung hin zur Fürsprecherin aller unfruchtbaren Frauen aufschwingen wird.«

«Das werden wir ja noch sehen«, hatte er darauf knapp erwidert.

Sie hatten sich vor ihrem Hotel verabschiedet, und an der Rezeption hatte man ihr einen verschlossenen Umschlag überreicht, auf dem ihr Name in einer Handschrift geschrieben stand, die sie sofort wiedererkannte von den vielen Briefen, die Tommy ihr geschrieben hatte, als sie in Kalifornien Fotografie studierte.

Die Nachricht war kurz und knapp: Deb, was soll ich sagen? Tommy. Und es stimmte. Was hätte er sagen sollen? Sie hatte ihn belogen, sie hatte seine Anrufe ignoriert, und jetzt war er genauso sauer auf sie wie Simon. Gott, was hatte sie für einen Schlamassel angerichtet.

Sie ging auf ihr Zimmer und packte ihre Sachen, während sie darüber nachdachte, wie gründlich sie alles vermasselt hatte. Angefangen hatte es mit Simons Bruder David, den sie ewig hingehalten hatte in Bezug auf die offene Adoption, die er nur arrangiert hatte, weil er ihnen helfen wollte. Dann hatte sie Simon immer wieder vor den Kopf gestoßen, vor allem, als sie stur darauf beharrt hatte, weiterhin in Cumbria zu bleiben, obwohl klar gewesen war, dass ihre Aufgabe hier längst erledigt war. Und indem sie sich in Alatea Faircloughs Privatangelegenheiten eingemischt hatte, hatte sie wahrscheinlich auch deren Hoffnungen auf ein Kind zerstört.

Sie setzte sich aufs Bett. Seit einigen Jahren wurde ihr Leben von etwas bestimmt, das vollkommen außerhalb ihrer Kontrolle lag, dachte sie. Sie wünschte sich sehnlichst ein Kind, doch es war ihr nicht gegeben, sich diesen Wunsch zu erfüllen. Wahrscheinlich hatte Alatea Fairclough dasselbe durchgemacht wie sie.