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«Und was schreibt dieser Toy4You?«

«Was man von einem erwarten würde, der ein Kind vorsichtig anlockt: ›ein bisschen harmloser Spaß‹, ›unter Freunden‹, ›nur freiwillig‹, ›man muss volljährig sein‹, später dann ›Sieh’s dir an und sag mir, was du davon hältst‹ und ›Könntest du dir vorstellen‹ und so weiter.«

«Und Tim?«

Freddie trommelte mit den Fingern auf den Schreibtisch. Er schien sich zu überlegen, was er antworten sollte. Entweder das, oder er war noch dabei, die einzelnen Teile zu einem Gesamtbild zusammenzusetzen.

«Freddie?«, sagte Manette vorsichtig.

«Es sieht so aus, als hätte Tim mit diesem Typen einen Deal ausgehandelt.«

«Mit diesem Toy4You?«

«Mhmm. Der Typ — ich nehme jedenfalls an, dass es ein Mann ist — schreibt in seiner letzten Maiclass="underline" ›Wenn du das machst, tu ich alles, was du willst.‹«

«Und was meint er mit ›das‹?«

«Er hat ein Video mitgeschickt.«

«Und?«

«Der Garten von Gethsemane«, sagte Freddie.»Aber die römischen Soldaten nehmen keinen fest.«

«Mein Gott«, entfuhr es Manette. Dann weiteten sich ihre Augen, und sie schlug sich mit der Hand vor den Mund.»O Gott, Freddie, glaubst du, Tim hat diesen Mann dazu angestiftet, Ian umzubringen?«

Freddie sprang so hastig auf, dass sein Stuhl beinahe umgefallen wäre.»Nein«, sagte er.»Die Mail ist nach Ians Tod gekommen. Was auch immer Tim von dem Mann will, es hat nichts mit dem Tod seines Vaters zu tun. Und ich glaube, dass er es bekommt, wenn er bereit ist, in diesem Porno mitzuwirken.«

«Was kann er bloß von dem Mann wollen, Freddie? Wir müssen ihn unbedingt finden.«

«Du sagst es.«

«Aber wie …?«Dann fiel ihr die Landkarte ein, die sie gesehen hatte, und sie durchsuchte die Sachen auf Tims Schreibtisch.»Moment«, sagte sie,»Moment. «Dann fand sie sie. Doch sie sah sofort, dass die Karte ihnen nichts nützen würde, denn es handelte sich um einen vergrößerten Ausschnitt aus einem Stadtplan, und wenn Freddie die Straßennamen nicht zufällig bekannt vorkamen, würden sie im Internet einen Straßenatlas suchen und irgendwie versuchen müssen herauszufinden, um welche Stadt es sich handelte.

«Ach Gott, Freddie, das sind nur ein paar Straßen«, jammerte sie und zeigte ihm den Ausdruck.»Was machen wir jetzt bloß? Wir müssen ihn finden!«

Freddie warf einen Blick auf die Karte, faltete sie zusammen und schaltete den Laptop aus.»Los, fahren wir«, sagte er.

«Aber wohin denn?«, fragte Manette.»Weißt du etwa, wo das ist?«Gott, dachte sie, wieso hatte sie sich von dem Mann scheiden lassen?

«Nein«, antwortete er,»aber ich glaube, ich weiß, wer es mir sagen kann.«

ARNSIDE — CUMBRIA

Lynley hatte die Strecke in kürzester Zeit zurückgelegt. Der Healey Elliott war ursprünglich als Rennwagen konstruiert worden, und trotz seines hohen Alters enttäuschte er Lynley nicht. Nach knapp einer Stunde fuhr er von der Autobahn ab. Inzwischen war es sehr diesig geworden, und er musste äußerst vorsichtig fahren.

Die Straße, die über Milnthorpe nach Arnside führte, war eng und kurvenreich, es gab nur wenige Haltebuchten, in die langsame Fahrer abbiegen konnten, um ihn vorbeizulassen, und an dem Tag schienen sämtliche Bauern Cumbrias mit ihrem Traktor unterwegs zu sein.

Lynley hatte das Gefühl, sich beeilen zu müssen. Der Himmel wusste, was Deborah vorhatte, und sie war dickköpfig genug, um irgendetwas Verrücktes zu unternehmen, was sie in Gefahr brachte. Dass Simon ihr immer noch nicht den Hals umgedreht hatte, grenzte an ein Wunder, dachte Lynley grimmig.

Auf halber Strecke zwischen Milnthorpe und Arnside sah er die Nebelbank, die sich mit erstaunlicher Geschwindigkeit über die Bucht schob, als würde sie von unsichtbaren Pferden gezogen.

In Arnside verlangsamte er sein Tempo. Er war noch nie bei den Faircloughs gewesen, aber von Deborahs Beschreibung her wusste er, wo ihr Anwesen lag. Er fuhr an einem Pier vorbei, der in das leere Bett des River Kent hineinragte, und bremste, um eine Frau die Straße überqueren zu lassen, die einen Kinderwagen schob und an deren Hose sich ein Kleinkind festhielt, das dick gegen die Kälte eingepackt war. Während er wartete — wenn man in Eile war, schien sich immer alles gegen einen zu verschwören —, las er die Warnhinweisschilder: Achtung, schnell steigende Flut! Achtung, Treibsand! Gefahr! Vorsicht! Warum in aller Welt, fragte er sich, zogen Leute an einem Ort Kinder groß, wo ein falscher Schritt genügte, um in einen nassen Tod gerissen zu werden?

Endlich ging es weiter. Er fuhr durch das Dorf und über die von viktorianischen Villen gesäumte Promenade, bis er die Einfahrt zu Arnside House erreichte. Das Haus, das von einem weitläufigen Rasen umgeben war, bot eine fantastische Aussicht, die allerdings heute durch den immer dichter werdenden Nebel behindert wurde.

Es sah verlassen aus. Nirgendwo im Haus brannte Licht, obwohl es so ein düsterer Tag war. Lynley wusste nicht, ob das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen war. Dass kein Auto vor der Tür stand, ließ zumindest hoffen, dass Deborah sich nicht in eine dumme Situation gebracht hatte.

Er hielt auf dem mit Kies bedeckten Vorplatz. Als er ausstieg, stellte er fest, dass sich die Luft während der wenigen Stunden, die er fort gewesen war, verändert hatte. Sie war derart feucht, dass er das Gefühl hatte, Kiemen zum Atmen zu brauchen.

Er klingelte, obwohl er nicht damit rechnete, dass jemand öffnen würde. Doch dann hörte er drinnen Schritte auf dem Fliesenboden, und im nächsten Augenblick ging die Tür auf. Dann stand die schönste Frau vor ihm, die er je gesehen hatte.

Es traf ihn wie ein Schock: die dunkle Haut, die üppigen Locken, aus dem Gesicht gehalten mit Perlmuttkämmen, die großen, dunklen Augen, der sinnliche Mund, die femininen Kurven. Nur ihre Hände verrieten sie, und das auch nur durch ihre Größe.

Er konnte sich gut vorstellen, wie Alatea und Nicholas Fairclough es geschafft hatten, allen in ihrer Umgebung etwas vorzumachen. Wenn Barbara Havers ihm nicht geschworen hätte, dass es sich bei dieser Frau um Santiago Vasquez del Torres handelte, Lynley hätte es nicht geglaubt. Eigentlich konnte er es immer noch nicht glauben. Deswegen wählte er seine Worte mit Bedacht.

«Mrs. Fairclough?«, sagte er. Als sie nickte, zeigte er ihr seinen Dienstausweis.»DI Thomas Lynley, New Scotland Yard. Ich bin hier, um mit Ihnen über Santiago Vasquez del Torres zu sprechen.«

Sie erbleichte so schnell, dass Lynley fürchtete, sie würde in Ohnmacht fallen. Sie trat einen Schritt von der Tür zurück.

«Santiago Vasquez del Torres«, wiederholte Lynley.»Der Name scheint Ihnen bekannt vorzukommen.«

Sie tastete hinter sich nach der Eichenbank, die an der holzgetäfelten Wand stand, und setzte sich kraftlos darauf.

Lynley trat ein und schloss die Haustür. Durch vier kleine bleiverglaste Fenster mit einem Muster aus roten Tulpen und grünen Blättern fiel weiches Licht auf die Frau, die völlig in sich zusammengesunken war.

Lynley war sich immer noch nicht ganz sicher, wie verlässlich seine Informationen waren, doch er entschloss sich, einen Frontalangriff zu wagen.»Wir müssen miteinander reden. Ich habe Grund zu der Annahme, dass Sie Santiago Vasquez del Torres aus Santa María de la Cruz, de los Ángeles y de los Santos in Argentinien sind.«

«Bitte, nennen Sie mich nicht so.«

«Ist das Ihr wahrer Name?«

«Nicht mehr, seit ich in Mexiko war.«

«Bei Raul Montenegro?«

Sie richtete sich auf.»Hat er sie geschickt? Ist er hier?«

«Mich hat niemand geschickt.«

«Das glaube ich Ihnen nicht. «Sie stand auf, eilte an ihm vorbei und wäre beinahe über die Schwelle an der Tür gestolpert, die in einen langen, dunklen, eichengetäfelten Flur führte.

Lynley folgte ihr. Sie öffnete eine doppelflügelige Tür mit bleiverglasten Fenstern mit einem Muster aus Lilien und Farnwedeln und betrat einen großen Raum, der etwa zur Hälfte restauriert war. Alatea verkroch sich in der Kaminecke, wo sie sich mit angezogenen Knien auf eine Bank setzte.