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Die rothaarige Frau sagte:»Mrs. Fairclough, ich bin Ihnen gegenüber nicht ehrlich gewesen. Darf ich reinkommen, um es Ihnen zu erklären?«

«Was wollen Sie von mir?«, erwiderte Alatea steif und förmlich.

«Ich habe Sie verfolgt und beobachtet«, sagte Deborah St. James.»Sie sollen wissen, dass …«

«Wie viel zahlt er Ihnen?«, fragte Alatea.

«Es geht nicht um Geld.«

«Es geht immer um Geld. Ich kann Ihnen nicht so viel zahlen, wie er Ihnen bietet, aber ich bitte Sie … Ich flehe Sie an …«Alatea nahm die Kassette, die sie zusammen mit ihrem Schmuck auf der Bank abgestellt hatte, und reichte Deborah beides.»Nehmen Sie das hier.«

Deborah wich einen Schritt zurück.»Ich will das nicht. Ich bin nur gekommen, um …«

«Sie müssen es nehmen. Und dann gehen Sie bitte. Sie kennen ihn nicht. Sie ahnen nicht, zu was Männer wie er fähig sind.«

Deborah musterte Alatea mit zusammengezogenen Brauen. Sie schien zu überlegen. Alatea versuchte noch einmal, ihr die Kassette und den Schmuck zu geben.»Ich verstehe«, sagte Deborah.»Ich fürchte nur, es ist bereits zu spät, Mrs. Fairclough. Manche Leute lassen sich nicht mehr aufhalten, und ich glaube, dieser Mann gehört dazu. Er hat so etwas Verzweifeltes an sich … Er hat es nicht direkt gesagt, aber ich glaube, dass für ihn eine Menge auf dem Spiel steht.«

«Das macht er Ihnen nur vor. So ist er nun mal. Es war schlau von ihm, eine Frau zu schicken. Wahrscheinlich denkt er, auf diese Weise könnte er mich in Sicherheit wiegen. Obwohl er nur eins im Sinn hat, nämlich mich zu zerstören. Er hat die Macht dazu, und er wird es tun.«

«Aber es gibt keine Geschichte. Jedenfalls keine, die ein Sensationsblatt wie die Source drucken würde.«

«Und das soll mich beruhigen?«, fragte Alatea.»Was hat ein Artikel in der Source überhaupt damit zu tun? Was hat das mit dem zu tun, womit er Sie beauftragt hat? Sie haben mich fotografiert, nicht wahr? Sie sind mir gefolgt und haben Fotos von mir gemacht, und mehr Beweise braucht er nicht.«

«Ich verstehe nicht, was Sie meinen«, sagte Deborah.»Er braucht doch keine Beweise. Das brauchen diese Typen doch nie. Beweise bedeuten denen gar nichts. Die arbeiten hart an der Grenze der Legalität, und wenn sie die Grenze mal überschreiten, haben sie eine ganze Armee von Anwälten auf ihrer Seite, die sich um das Problem kümmern.«

«Dann verkaufen Sie mir Ihre Fotos«, sagte Alatea.»Wenn er mich auf den Fotos sieht …«Sie zog ihren Ring mit dem großen Diamanten vom Finger. Sie nahm die Ohrringe mit den Smaragden ab, die Valerie ihr zur Hochzeit geschenkt hatte.»Hier, nehmen Sie das. Und geben Sie mir dafür die Fotos.«

«Die Fotos sind wertlos. Ohne Text bedeuten sie überhaupt nichts. Und überhaupt, ich will Ihren Schmuck nicht und auch nicht Ihr Geld. Ich möchte Sie nur um Verzeihung bitten für … na ja, eigentlich für alles, aber vor allem dafür, dass ich Ihnen womöglich alles verdorben habe. Wir sind uns sehr ähnlich, Sie und ich.«

Alatea schöpfte Hoffnung. Dass die Frau sie um Verzeihung bat, bedeutete vielleicht, dass noch nicht alles verloren war.»Sie werden ihm also nichts sagen?«

Die Frau sah sie traurig an.»Ich fürchte, er weiß schon Bescheid. Das ist es ja gerade. Deswegen bin ich hergekommen. Ich möchte, dass Sie vorbereitet sind auf das, was auf Sie zukommt. Sie sollen wissen, dass es alles meine Schuld ist und dass es mir furchtbar leidtut. Ich habe versucht, ihm die Informationen vorzuenthalten, aber diese Leute sind gewieft, und seit er in Cumbria ist … Es tut mir so leid, Mrs. Fairclough.«

Alatea begriff, was das bedeutete, nicht nur für sie, sondern auch für Nicky und für ihr gemeinsames Leben.»Er ist hier«, fragte sie.»In Cumbria?«

«Ja, schon seit Tagen. Ich dachte, Sie wüssten das. Hat er Sie nicht …«

«Wo ist er jetzt?«

«Ich glaube, in Windermere.«

Jetzt musste sie handeln. Und zwar schnell. Alatea verabschiedete sich von Deborah und ging nach oben. Sie warf die Kassette und den Schmuck aufs Bett. Holte einen kleinen Koffer aus dem Wandschrank am Ende des Flurs. Ihr blieb nicht viel Zeit, um die Sachen zusammenzupacken, die sie brauchte.

Als sie gerade die oberste Schublade der Kommode öffnen wollte, die zwischen den beiden Fenstern stand, hörte sie, wie vor dem Haus eine Autotür zugeschlagen wurde. Sie schaute aus dem Fenster und sah, dass Nicky früher als erwartet nach Hause gekommen war. Ausgerechnet heute. Er unterhielt sich mit Deborah St. James und wirkte aufgebracht. Alatea hörte, wie er Deborah anschrie, konnte jedoch nicht verstehen, was er sagte.

Aber das brauchte sie auch nicht. Es reichte zu sehen, dass die beiden miteinander redeten. Nickys Gesichtsausdruck sagte ihr, worüber sie sich unterhielten. An Flucht war nicht mehr zu denken. Ihr Auto konnte sie nicht nehmen, denn Nicky und Deborah standen in der Einfahrt. Sie konnte auch nicht zu Fuß zum Bahnhof von Arnside gehen, auch dazu müsste sie das Haus durch die Haustür verlassen, vor der Nicky und Deborah standen. Verzweifelt ging sie im Zimmer auf und ab. Dann wusste sie plötzlich, was sie zu tun hatte. Sie eilte auf die andere Seite des Hauses, die zum Garten hin gelegen war, und schaute aus dem Fenster. Sie würde über den Rasen laufen, der bis zur Ufermauer reichte. Und jenseits der Mauer lag die Bucht.

Es herrschte gerade Ebbe. Das bedeutete, sie konnte die Bucht zu Fuß überqueren und so nach Grange-over-Sands gelangen. Das waren nur wenige Kilometer. Auch dort gab es einen Bahnhof.

Sie musste also nur ein paar Kilometer überwinden. Dann würde sie frei sein.

WINDERMERE — CUMBRIA

Tim hatte die Nacht am Seeufer unter einem Wohnwagen verbracht. Als er auf dem Weg vom Fotoladen bei der Feuerwehr von Windermere vorbeigekommen war, hatte er in einer offenen Tür einen Stapel nach Rauch stinkender Wolldecken entdeckt und davon eine geklaut. Jetzt brauchte er nur noch zu warten, bis Toy4You bereit war. Er jedenfalls war bereit. Bald, sagte er sich, würde er die Lösung für das Chaos haben, in dem er umherirrte, seit Kaveh Mehran in sein Leben getreten war.

Der Wohnwagen hatte ihm Schutz gegen den nächtlichen Regen geboten, und mit der Decke, in die er sich gewickelt hatte, war auch die Kälte erträglich gewesen. Am Morgen war er dann wieder in die Stadt gegangen und hatte sich die ganze Zeit irgendwo herumgetrieben, und als er am Nachmittag ins Einkaufszentrum zurückkehrte, sah er genauso schlimm aus, wie er sich fühlte, die Knochen taten ihm weh, und er stank wie ein Schwein.

Als Toy4You ihn erblickte, rümpfte er die Nase, zeigte auf die Toilette und raunzte ihn an, er solle sich gefälligst ein bisschen frisch machen. Anschließend drückte er ihm drei Zwanzig-Pfund-Scheine in die Hand und sagte:»Geh los und kauf dir was Anständiges zum Anziehen. Was hast du dir dabei gedacht? Wenn die anderen Darsteller dich so sehen, wollen sie nichts mit dir zu tun haben.«

«Wo ist das Problem?«, fragte Tim.»Wir werden doch sowieso nichts anhaben, oder?«

Toy4You sah ihn durchdringend an.»Und besorg dir auch was zu essen. Ich will nicht, dass du plötzlich mittendrin anfängst zu maulen, weil du Hunger hast.«

«Ich maule nicht.«

«Das sagen sie alle.«

«Du kannst mich mal«, sagte Tim, nahm das Geld aber trotzdem.

«So ist’s recht«, sagte Toy4You sarkastisch.»Ich sehe, wir haben uns verstanden.«

Tim zog los. Er stellte fest, dass er tatsächlich Hunger hatte. Eigentlich hatte er gedacht, dass er nie wieder etwas essen würde, doch als er wieder an der Feuerwehr vorbeikam und der Duft nach frischgebratenem Speck ihm entgegenwehte, überkam ihn plötzlich ein unbändiger Hunger. Der Duft erinnerte ihn an seine frühe Kindheit, an warme Brötchen und Rührei mit Speck. Sein Magen knurrte vernehmlich. Also gut, dachte er, dann würde er sich also etwas zu essen besorgen. Aber zuerst die Klamotten. Er kannte einen Oxfam-Laden im Zentrum, da würde er schon irgendeine Hose und einen Pullover finden. Auf keinen Fall würde er sich etwas Neues kaufen, das wäre reine Geldverschwendung. Ab morgen würde er sowieso keine Kleider mehr brauchen.