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«Es ist ungewöhnlich, doch andere Leute kommen damit auch zurecht.«

«Das mag ja sein, aber ich bin nicht andere Leute. Wir müssten ein Kind mit seiner leiblichen Mutter, seinem leiblichen Vater, den leiblichen Großeltern und Gott weiß wem sonst noch alles teilen, und ich weiß, dass das alles fortschrittlich und modern ist, doch ich möchte es nicht. Ich kann mich einfach nicht dazu überwinden, so etwas für mich zu akzeptieren.«

«Womöglich verlieren die leiblichen Eltern mit der Zeit das Interesse an dem Kind«, wandte St. James ein.»Sie sind immerhin noch sehr jung.«

Deborah, die neben ihm im Bett saß, schaute ihn fassungslos an.»Sie könnten das Interesse verlieren? Wir reden hier von einem Kind, nicht von einem Welpen. Sie werden das Interesse nicht verlieren. Könntest du dir das für dich vorstellen?«

«Nein, aber ich bin auch kein Fünfzehnjähriger. Außerdem würde es Absprachen geben. Die würde der Anwalt ausarbeiten.«

«Nein«, sagte sie.»Bitte frag mich nicht wieder. Ich kann das nicht.«

Er schwieg. Sie hatte sich abgewandt. Ihr Haar fiel ihr über den Rücken bis fast an die Taille. Er berührte eine Strähne, sah, wie sie sich von allein um seinen Finger wickelte. Er sagte:»Würdest du wenigstens noch ein bisschen darüber nachdenken, ehe du eine endgültige Entscheidung triffst? Wie gesagt, die junge Frau würde sich gern mit uns treffen. Das könnten wir wenigstens machen. Vielleicht magst du sie ja. Und den Jungen und die Eltern. Weißt du, die Tatsache, dass sie in Kontakt mit dem Kind bleiben will … Das ist doch eigentlich nicht schlecht, Deborah.«

«Wie meinst du das?«Sie wandte sich ihm wieder zu.

«Es lässt auf ein gewisses Verantwortungsbewusstsein schließen. Sie will das Kind nicht einfach nur schnellstmöglich loswerden und weiterleben, als sei nichts geschehen. Auf ihre Weise möchte sie für das Kind sorgen, für es da sein, falls es ihr irgendwann Fragen stellen möchte.«

«Fragen können wir genauso gut beantworten. Das weißt du genau. Und warum in aller Welt — wenn sie sich unbedingt um ihr Kind kümmern will — will sie ausgerechnet ein Ehepaar aus London als Adoptiveltern, anstatt ein Paar aus Southampton? Das ergibt doch überhaupt keinen Sinn. Sie ist doch aus Southampton, oder?«

«Ja.«

«Also.«

Er vermutete, dass sie keine weitere Enttäuschung verkraften würde, und er konnte es ihr nicht verübeln. Aber wenn sie nicht weitermachten, wenn sie nicht jeder Gelegenheit nachgingen, die sich ihnen bot, konnte es gut passieren, dass sie eine Chance verpassten, und wenn sie ein Kind wollten, wenn sie wirklich ein Kind haben wollten …

Das war natürlich die Kernfrage. Aber wenn er sie stellte, würde er sich auf ein Minenfeld begeben, und er war lange genug mit Deborah verheiratet, um zu wissen, dass es einige Minenfelder gab, die allzu gefährlich waren. Dennoch fragte er:»Hast du denn eine bessere Idee? Weißt du eine andere Möglichkeit?«

Sie antwortete nicht gleich. Er hatte jedoch das Gefühl, dass sie tatsächlich eine Idee hatte, etwas, das sie sich nicht auszusprechen traute. Als er seine Frage wiederholte, antwortete sie:»Leihmutterschaft.«

«Großer Gott, Deborah, das ist aber …«

«Keine Eispenderin, Simon, eine Leihmutter. Unser Embryo, unser Kind und eine Frau, die bereit ist, es auszutragen. Es wäre nicht ihr Kind. Sie hätte keine Bindung zu ihm. Oder zumindest hätte sie kein Recht dazu.«

Ihn verließ der Mut. Er fragte sich, wie etwas, das für andere Leute das Natürlichste auf der Welt war, sich für sie beide zu einem derartigen Sumpf aus Enttäuschungen, Arztbesuchen, Spezialisten, Prozeduren, Anwälten, Fragen, Antworten und noch mehr Fragen hatte entwickeln können. Und jetzt das? Monate würden vergehen, bis eine Leihmutter gefunden wäre, die dann auf Herz und Nieren überprüft werden müsste, während Deborah Gott weiß welche Medikamente nahm, um Eier heranreifen zu lassen, die dann — was? — geerntet werden konnten, während er mit einem Behälter in der Hand auf die Toilette geschickt wurde, um seinen notwendigen Teil beizusteuern. Und all das, um — vielleicht, wenn sie Glück hatten und nichts schiefging — ein leibliches Kind zu bekommen? Das Ganze erschien ihm fürchterlich kompliziert, auf unmenschliche Weise mechanisiert und nur bedingt erfolgversprechend.

Er atmete tief aus.»Deborah«, sagte er und wusste zugleich, dass sie aus seinem Ton eine Skepsis heraushören würde, die ihr nicht gefiel. Dass es ihm vor allem darum ging, sie zu schützen, würde ihr nicht in den Sinn kommen. Und das war in Ordnung, dachte er, denn sie konnte es nicht ausstehen, dass er sie vor dem Leben zu schützen versuchte, auch wenn sie dazu neigte, sich alles viel zu sehr zu Herzen zu nehmen.

«Ich weiß, was du denkst«, sagte sie leise.»Und das bringt uns in eine ausweglose Situation, nicht wahr?«

«Wir haben nur unterschiedliche Ansichten. Wir nähern uns den Dingen aus verschiedenen Richtungen. Wo einer von uns eine Möglichkeit sieht, sieht der andere nur unüberwindliche Schwierigkeiten.«

Sie dachte darüber nach. Dann sagte sie langsam:»Wie seltsam. Dann kann man wohl nichts machen.«

Sie legte sich hin, kehrte ihm jedoch den Rücken zu. Er schaltete das Licht aus und legte eine Hand auf ihre Hüfte. Sie reagierte nicht.

WANDSWORTH — LONDON

Es war fast Mitternacht, als Lynley eintraf. Obwohl er es ihr versprochen hatte, hätte er besser nach Hause fahren und sich hinlegen sollen. Stattdessen stieg er die Stufen zu Isabelles Wohnung hinunter und schloss die Tür auf.

Sie kam ihm entgegen. Er hatte angenommen, sie sei längst schlafen gegangen, und zuerst sah es auch so aus, als käme sie aus dem Bett. Aber neben dem Sofa in ihrem Wohnzimmer war eine Lampe an, und er sah eine aufgeschlagene Zeitschrift dort liegen, die sie offenbar weggelegt hatte, als sie den Schlüssel im Schloss gehört hatte. Auch ihren Morgenmantel hatte sie auf dem Sofa liegen lassen, und sie kam nackt auf ihn zu, und als er die Tür hinter sich zudrückte, schmiegte sie sich in seine Arme und küsste ihn.

Sie schmeckte nach Zitrone. Einen Moment lang überlegte er, was der Geschmack bedeutete. Konnte es sein, dass sie wieder angefangen hatte zu trinken und ihm das zu verheimlichen versuchte? Aber als seine Hände von ihren Hüften über ihre Taille zu ihren Brüsten wanderten, war ihm das nicht mehr wichtig.

Sie begann, ihn auszuziehen.»Das ist ganz schlecht, weißt du das?«, murmelte sie.

«Was?«

«Dass ich den ganzen Tag an fast nichts anderes denken konnte. «Sein Jackett fiel zu Boden, und sie knöpfte sein Hemd auf. Er beugte sich zu ihr und küsste ihren Nacken, ihre Brüste.

«Das«, sagte er,»ist in deinem Beruf wirklich ganz schlecht.«

«In deinem auch.«

«Aber ich bin disziplinierter.«

«Tatsächlich?«

«Allerdings.«

«Und wenn ich dich hier berühre? So?«Er lächelte.»Wie ist es dann um deine Disziplin bestellt?«

«Dasselbe, fürchte ich, was mit deiner passiert, wenn ich dich hier küsse, und wenn ich mit meiner Zunge … so etwas mache.«

Sie atmete scharf ein. Sie kicherte.»Sie sind ja ein ganz Schlimmer, Herr Inspector. Aber ich bin durchaus in der Lage, Gleiches mit Gleichem zu vergelten. «Sie zog ihm die Hose herunter, machte ihn so nackt, wie sie selber war, und drückte sich aufreizend gegen ihn.

Er spürte, dass sie genauso gierig war wie er.»Ins Schlafzimmer?«, fragte er.

«Nein, heute nicht, Tommy.«

«Also hier?«

«Ja, hier.«

2. November

BRYANBARROW — CUMBRIA