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«Ich wüsste nicht, was dich das angeht. Hat Timothy dir gestern irgendwas erzählt?«

«Tim ist gestern mit den Fäusten auf mich losgegangen. Ich denke, wir sind uns einig, dass das kein normales Verhalten für einen Vierzehnjährigen ist.«

«Ah, also darum geht’s. Du wolltest ihn doch unbedingt von der Schule abholen. Und Timothy hat sich nicht gefreut? Das tut mir aber leid«, sagte Niamh sarkastisch. Sie löffelte Kaffee in die Kanne und nahm eine Tüte Milch aus dem Kühlschrank.»Aber ich verstehe gar nicht, warum du dich darüber wunderst, Manette. Es hat schließlich einen Grund, dass er auf die Margaret Fox School geht.«

«Und wir beide kennen den Grund«, sagte Manette.»Was zum Teufel hat das alles zu bedeuten?«

«Was das zu bedeuten hat, wie du dich ausdrückst, ist, dass Timothys Verhalten schon seit einiger Zeit nicht normal ist. Ich nehme an, du kannst dir denken, warum.«

Gott, dachte Manette, die alte Leier: Tims Geburtstagsparty und der Überraschungsgast. Großartige Gelegenheit, um zu erfahren, dass der Vater jemand anderen liebt, noch dazu einen Mann. Manette hätte Niamh erwürgen können. Wie viel Profit wollte diese Frau noch aus dem schlagen, was Ian und Kaveh ihr angetan hatten? Manette sagte:»Es war nicht Tims Schuld, Niamh. Und versuch nicht, dieses Gespräch auf deine übliche Tour zu sabotieren«, fügte sie hinzu.»Das mag vielleicht bei Ian funktioniert haben, aber bei mir ist das zwecklos.«

«Ehrlich gesagt habe ich nicht das geringste Bedürfnis, über Ian zu reden, da kannst du also ganz beruhigt sein.«

Das war ja etwas ganz Neues, dachte Manette. Eine interessante Abwechslung, denn seit einem Jahr hatte Niamh gar kein anderes Gesprächsthema gehabt als Ian und das, was er ihr angetan hatte. Nun, sie würde Niamh beim Wort nehmen. Sie war sowieso hergekommen, um über Tim zu reden.»Sehr gut«, sagte sie.»Denn ich habe auch nicht vor, über Ian zu reden.«

«Ach?«Niamh betrachtete ihre perfekt manikürten Fingernägel.»Das ist ja ein Ding. Ich dachte immer, Ian sei eins deiner Lieblingsthemen.«

«Wie bitte?«

«Also wirklich, tu doch nicht so verwundert. Du hast vielleicht die ganzen Jahre über versucht, es zu verbergen, aber ich habe von Anfang an gewusst, dass du hinter Ian her warst.«

«Wie bitte

«Du hast doch immer geglaubt, dass er zu dir kommen würde, wenn er irgendwann genug von mir hätte. Dass er sich stattdessen Kaveh als neuen Lebensgefährten ausgesucht hat, müsste dich doch eigentlich genauso wütend gemacht haben wie mich.«

Großer Gott, dachte Manette. Niamh hatte es auf raffinierte Weise geschafft, von Tim abzulenken.»Hör auf mit dem Blödsinn«, sagte sie.»Ich weiß genau, was du vorhast. Aber es wird nicht funktionieren. Ich bleibe, bis wir über Tim geredet haben. Wir können das jetzt gleich erledigen, oder wir können bis heute Abend Katz und Maus spielen. Doch irgendetwas …«Sie warf einen bedeutungsvollen Blick auf den Liebeseimer»… sagt mir, dass du mich gern möglichst bald los wärst. Aber das schaffst du nicht, indem du mich ärgerst.«

Niamh entgegnete nichts darauf. Ihre Rettung war der Wasserkocher, der in dem Moment piepte. Sie füllte die Kaffeekanne mit kochendem Wasser und rührte den Kaffee mit einem Löffel um.

Manette sagte:»Alle Externen gehen nach Schulschluss nach Hause zu ihren Eltern. Aber Tim wohnt immer noch bei Kaveh, nicht bei dir. Was glaubst du, was das mit seinem Seelenzustand macht?«

«Was was mit seinem Seelenzustand macht, Manette?«Niamh fuhr herum.»Dass er immer noch bei Ians geliebtem Kaveh wohnt? Oder dass man ihn nach Hause gehen lässt, anstatt ihn einzusperren wie einen Verbrecher?«

«Sein Zuhause ist hier, nicht in Bryanbarrow. Das weißt du ganz genau. Wenn du ihn gestern erlebt hättest … Herrgott noch mal, was ist los mit dir? Tim ist dein Sohn. Warum hast du ihn noch nicht zu dir nach Hause geholt? Warum hast du Gracie nicht zu dir geholt? Bestrafst du die beiden aus irgendeinem Grund? Wieso spielst du mit dem Leben deiner Kinder?«

«Was weißt du denn schon über das Leben meiner Kinder? Was hast du denn je gewusst? Dir ging es doch immer nur um Ian. Ian, Ian, Ian. Der gute, geliebte Ian, der keinem Fairclough je etwas zuleide tun konnte. Selbst dein Vater hat sich auf seine Seite geschlagen, als er mich verlassen hat. Dein Vater. Der heilige Ian verlässt dieses Haus Hand in Hand — oder soll ich lieber sagen, Hand am Arsch — mit diesem … diesem … Araber, der noch ein halbes Kind ist, und dein Vater rührt keinen Finger. Keiner von euch. Und jetzt arbeitet dieser Araber für deine Mutter, als hätte er nicht mein Leben zerstört. Und du wirfst mir vor, ich würde Spielchen spielen? Du stellst mein Verhalten in Frage, während keiner von euch versucht hat, Ian dazu zu überreden, wieder nach Hause zu kommen, wo er hingehörte, zu seiner Familie, zu seinen Kindern, zu seiner … seiner …«Sie schnappte sich ein Geschirrtuch, denn ihre Augen, die sich mit Tränen gefüllt hatten, drohten überzulaufen und ihr Make-up zu ruinieren. Nachdem sie ihre Tränen getrocknet hatte, warf sie das Geschirrtuch in den Mülleimer, drückte den Kaffeesatz nach unten, wie um einen Schlusspunkt unter ihre letzten Worte zu setzen.

Manette beobachtete sie. Zum ersten Mal wurde ihr einiges klar. Sie sagte:»Du hast überhaupt nicht vor, sie zu dir zu holen, nicht wahr? Du willst die Kinder bei Kaveh lassen. Warum?«

«Trink deinen verdammten Kaffee und hau endlich ab«, fauchte Niamh.

«Erst, wenn wir ein paar Dinge geklärt haben. Erst, wenn ich genau verstanden habe, was du vorhast. Ian ist tot, das Problem kannst du also von der Liste streichen. Jetzt also geht’s um Kaveh. Aber Kaveh wird wahrscheinlich nicht sterben, es sei denn, du bringst ihn um …«Manette brach ab. Die beiden Frauen starrten einander an.

Niamh wandte sich als Erste ab.»Geh«, sagte sie.»Mach einfach, dass du wegkommst.«

«Was ist mit Tim? Was ist mit Gracie? Was passiert mit den beiden?«

«Nichts.«

«Was bedeutet, du lässt sie bei Kaveh. Bis jemand dich juristisch oder sonst wie zwingt, sie bei dir aufzunehmen, bleiben sie in Bryanbarrow. Damit Kaveh auch wirklich kapiert, was er angerichtet hat. Diese beiden Kinder, die übrigens an dem, was passiert ist, überhaupt keine Schuld tragen …«

«Sei dir da nicht so sicher.«

«Wie bitte? Willst du etwa behaupten, dass Tim … Mein Gott. Du bist ja wirklich nicht bei Trost.«

Es hatte keinen Zweck, das Gespräch weiterzuführen. Manette ließ ihren Kaffee Kaffee sein und ging. Noch ehe sie die Haustür erreichte, hörte sie von draußen Schritte, und gleich darauf rief jemand:»Niamh? Süße? Bist du da?«

Als sie die Tür, die nur angelehnt war, ganz öffnete, stand ein Mann vor ihr, in der Hand einen Strauß Chrysanthemen. Der Ausdruck freudiger Erwartung in seinem Gesicht wies ihn zweifelsfrei als den Absender des Liebeseimers aus, der gekommen war, um sich mit dem darin enthaltenen Spielzeug zu vergnügen, dachte Manette. Ein feiner Schweißfilm glänzte auf seinen pummeligen Wangen.

«Oh!«, sagte er und schaute sich um, als hätte er sich in der Haustür vertan.

«Komm rein, Charlie«, rief Niamh, die hinter Manette stand.»Meine Schwägerin wollte gerade gehen.«

Charlie. Er kam Manette irgendwie bekannt vor, doch sie konnte sich nicht erinnern, woher. Bis er nervös zum Gruß nickte und sich an ihr vorbei ins Haus schob. Er roch nach Küche und noch irgendetwas anderem. Zuerst dachte Manette an Fish ’n Chips, aber dann fiel ihr ein, dass er der Eigentümer einer der drei chinesischen Imbissbuden am Marktplatz in Milnthorpe war. Sie hatte mehr als einmal auf dem Heimweg von einem Besuch bei Nicholas dort angehalten, um für Freddie etwas zum Essen mitzunehmen. Sie hatte diesen Mann bisher immer nur in Kochkleidung gesehen, die weiße Jacke mit Fett und Sojasoße bespritzt. Und jetzt war er hier, doch was er im Schilde führte, hatte absolut nichts mit Chop Suey und Frühlingsrollen zu tun.